Sozialausgaben treiben die Kosten

Die Situation der Kommunalhaushalte sowie die Gestaltung der Finanzbeziehungen zwischen Gemeinden, Ländern und Bund standen im Mittelpunkt des Kommunalkongresses 2015 der Bertelsmann-Stiftung. Eine Forderung ist unüberhörbar: Die Finanzbasis der Gemeinden muss gestärkt werden.

In der Frage um die gerechte Verteilung von Gut und Geld in Staat und Gesellschaft gehen die Meinungen auseinander. Das war auf dem neunten Kommunalkongress der Bertelsmann-Stiftung nicht anders. Rund 20 Experten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft diskutierten Mitte März in Berlin über die Finanzbeziehungen von Kommunen, Ländern und Bund.

Die Kommunen benötigen eine solide Finanzausstattung als Grundvoraussetzung ihrer Handlungsfähigkeit, stellte Dr. Brigitte Mohn, Vorstand der Stiftung, zum Auftakt der Veranstaltung klar. Der Stellenwert der Kommunen im staatlichen Gefüge sei nicht hoch genug einzuschätzen. „Wir brauchen und unterstützen den Dialog für ein gutes Gelingen“, sagte Mohn.

„Überall wächst Ungleichheit“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann-Stiftung, Aart De Geus, und das sei „für alle Kommunen ein Thema“. Der Kongress wolle im richtigen Moment ein Forum bieten, um über Kommunalfinanzen zu sprechen.

Es gibt Kommunen, beispielsweise in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Nordhessen, die sich nach Krisenjahren trotz verbesserter Wirtschaftslage nicht aus ihrem konjunkturellen Tief befreien können. Andere, vor allem in Bayern und Baden-Württemberg, überstehen jede Krise, ohne über Kassenkredite nachdenken zu müssen. Die Grenzen zwischen Arm und Reich verlaufen nicht zwangsläufig in Nord-Süd-Richtung, oft sind sie Nachbarn. Beispiel Nordrhein-Westfalen: Die Städte Düsseldorf – Duisburg oder die Kreise Coesfeld – Recklinghausen.

Dr. René Geißler, Projektmanager kommunale Finanzen im Programm „Lebenswerte Kommune“ in der Bertelsmann-Stiftung, präsentierte auf dem Kommunalkongress in Berlin eine Deutschlandkarte der kommunalen Finanzkraft, die exakt diese Disparitäten veranschaulichte. Der Finanzexperte hat dazu die Ausgaben- (Finanzierungssalden und Kassenkredite) wie die Einnahmeseite (Gemeindesteuern) von rund 400 Kommunen (Kreise und kreisfreie Städte) in Deutschland über einen sechsjährigen Zeitraum (2008 bis 2013) unter die Lupe genommen. Es wurde deutlich, dass die Folgen der Finanzkrise 2008 die Strukturprobleme in den Kommunen mit hoher Kassenkreditverbindlichkeit zusätzlich verschärft haben.

Essen mit Höchstverschuldung

Laut Geißler verteilt sich die Hälfte der Gesamtsumme aller Kassenkredite auf nur 25 Städte, Essen an der Spitze. Die Ruhrgebietsmetropole bringt dabei dieselbe Summe auf die Waagschale wie alle Kommunen in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen zusammen. „Da hilft die beste Konjunktur nichts“, kommentierte der Finanzexperte René Geißler.

Als eine der wesentlichen Ursachen für diese Schräglagen bestätigte Geißler die Auffassung der kommunalen Spitzenverbände. Die Sozialausgaben mit „breitem Leistungskatalog“ würden mit zu hoher Dynamik steigen. Beispiel Kindertagesstätten: Allein die Kitas sorgten für eine Verdoppelung der Ausgaben von elf auf 22 Milliarden Euro in nur sieben Jahren (2006 bis 2013).

„Eine Entlastung für die Kommunen gibt es nur dann, wenn die Ausgabendynamik gebremst wird“, bekräftige denn auch Uwe Lübking, Beigeordneter beim Deutschen Städte- und Gemeindebund in Berlin. Prof. Dr. Joachim Wieland, Rechtswissenschaftler an der Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, bestätigte unter Beifall des Plenums: „Die Kommunen erhalten immer mehr Aufgaben und sind finanziell nicht ausreichend dafür ausgestattet.“ Wenn der Bund höhere monetäre Leistungen erbringe, wolle er auch stärker mitreden. Wieland sieht an diesem Punkt die kommunale Selbstverwaltung langfristig in Gefahr.

Stichwort Länderfinanzausgleich. Nach Angaben von Staatssekretär Werner Gatzer aus dem Bundesfinanzministerium soll es im Juni „belastbare Eckpunkte“ zur aktuellen Diskussion um die Zukunft des Solidarpakts geben. Auf Überlegungen zu grundlegenden Änderungen im Länderfinanzausgleich reagierte der Staatssekretär mit einem eindeutigen „Nein“. Der Finanzausgleich habe sich bewährt.

Schuldenbremse kommt

Die Kontroverse um Geber- und Nehmer-Länder fasste Gatzer so zusammen: „Es gibt keinen Punkt, in dem sich die Länder einig sind, bis auf den einen: Der Bund soll alles bezahlen.“ Aber auch für den Bund werde es in Zukunft schwieriger, „ein Zubrot zu geben“, so Prof. Thomas Lenk, Direktor des Instituts für öffentliche Finanzen an der Universität Leipzig mit Hinweis auf die „Schuldenbremse“.

Das Thema Schuldenabbau blieb auf dem Kommunalkongress selbstverständlich nicht ausgespart. Dr. Michael Lübbersmann, seit 2011 Landrat im Kreis Osnabrück, gab die Strategie vor: „Steuerung muss vom Kopf her kommen, man muss es wollen“, erklärte der Landrat. Sein praktiziertes Erfolgsrezept: Eine kritische Etatbewertung, die jährlich auf den Prüfstand kommt.

Ingrid Kozanák

Die Autorin
Ingrid Kozanák, Wuppertal, ist freie Journalistin