Smart City: Sprechende Gebäude

Modell für die Stadt der Zukunft: In Aspern Seestadt in Wien werden Konzepte der Energieversorgung unter realen Bedingungen ausprobiert und erforscht. Foto: ASCR

Wie lassen sich Städte in Zukunft intelligenter mit Energie versorgen? Und wie lässt sich das optimal steuern? Antworten auf diese und weitere Fragen will ein großangelegtes Forschungsprojekt in Wien liefern, in dem die smarte City von morgen bereits heute Realität ist.

Global stehen Städte vor großen Herausforderungen, bei deren Bewältigung Politik, Verwaltung und Wirtschaft nicht allein auf theoretische Konzepte vertrauen können. Die Aspern Smart City Research GmbH (ASCR) – 2013 von Siemens, Wien Energie, Wiener Netze und der Stadt Wien (Wirtschaftsagentur Wien und Wien 3420) ins Leben gerufen – forscht daher auf Basis von Echtdaten aus dem Stadtentwicklungsgebiet Aspern Seestadt in Wien an umfassenden Lösungen für die Energiezukunft im urbanen Raum.
Dabei ist – über die vier Forschungsdomänen „Smart Building“, „Smart Grid“, „Smart User“ und „Smart ICT“ (= Informations- und Kommunikationstechnologie) das System als Ganzes der Forschungsgegenstand. Mit über 100 beteiligten Forschenden aus verschiedensten Fachrichtungen ist das Forschungsprojekt einzigartig in Europa.

Gebäude im Austausch – miteinander und mit dem Netz

Ein Bereich mit großem Potenzial für die klimagerechte Energiezukunft sind Gebäude: Rund 40 Prozent der Endenergie in Europa werden hier verbraucht. Im Forschungs-schwerpunkt „Smart Building“ beforscht die ASCR Gebäude im urbanen Raum als Produzenten erneuerbarer Energie, identifiziert Einsparpotenziale bei gleichzeitig hohem Komfort für Bewohner sowie geringstmöglichen Errichtungs- und Instandhaltungskosten über den gesamten Lebenszyklus hinweg.
Als konkrete Forschungsumgebungen dienen fünf Gebäude – jeweils mit unterschied-licher Nutzung: ein Wohngebäude, ein Studentenwohnheim, ein Bildungscampus, ein Technologiezentrum als Gewerbefläche und eine Parkgarage.
Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Austausch der Gebäude untereinander. Von der Photovoltaikanlage über die Wärmepumpe hin zu den individuellen Haushalten und Speichermedien – die Gebäude der Zukunft sind mit verschiedenster Sensorik ausgestattet.

Building Energy Management System

Als Herzstück verknüpft das intelligente Building Energy Management System (BEMS) die gemessenen Daten mit dem Ziel eines optimierten Eigenverbrauchs, reagiert automatisch auf Veränderungen und kommuniziert mit den Sensoren und Aktoren anderer Gebäude. Unter Berücksichtigung von Informationen wie Nutzungsgewohnheiten, Sensordaten oder Wetterprognosen können so der voraussichtliche Energiebedarf sowie die zu erwartende eigene Energieproduktion berechnet werden.
So verbrauchen Smart Buildings Energie nicht nur intelligent, sondern werden Produ-zenten, bei Bedarf Speicher oder – in Kommunikation mit Energienetzen und -märkten – dezentrale Netzeinspeiser, um punktuell Flexibilitäten zur Verfügung zu stellen.
Der Einsatz solcher dezentraler erneuerbarer Energien ist einer der wichtigsten Bausteine für die nachhaltige Stromversorgung von morgen. In der aktuellen Projektphase beforscht die ASCR dazu „Energy Districts“, die automatisierte, optimal gesteuerte Nutzung, Speicherung und Weiterleitung der Energie nicht allein in einzelnen, sondern im Verbund mehrerer Gebäude ermöglichen sollen.
Doch damit die einzelnen Gebäude an Regelenergiemärkten teilnehmen und ihr Potenzial für die Versorgungssicherheit der Stadtbewohner optimal genutzt werden kann, müssen sie zunächst in ein Gesamtkonzept von Markt und Netz integriert werden. Dazu braucht es Systeme, die diese geringen Flexibilitäten sammeln und koordinieren – sogenannte virtuelle Kraftwerke.

Erprobung intelligenter Ladestrategien für Elektromobilität

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt befasst sich mit der zunehmenden Zahl von Elektroautos und den damit verbundenen Herausforderungen für das Stromnetz. Mit „Smart Charging“ wird nach intelligenten Ladestrategien gesucht, die umweltfreundlich, kundenorientiert und gleichzeitig netzdienlich sind, indem sie mit dem Fahrzeug, mit lokalen Energieproduktionsstätten, dem Netz und schließlich den Energiemärkten interagieren.
Dabei werden nicht nur Fahrzeugtyp, augenblicklicher Ladestatus und Wetterprognosen für die Energieproduktion hauseigener PV-Anlagen berücksichtigt – auch aktuelle Netz-parameter spielen eine zentrale Rolle. Mittels „Grid Monitor“ wird der Zustand des Versorgungsnetzes dabei konstant überwacht, so dass Spitzen im Energieverbrauch im Bedarfsfall nivelliert und Bezugsleistungen sichergestellt werden können. In einem weiteren Schritt – „Vehicle to Grid“ – sollen dann auch die Autobatterien als Speicher von Energie dienen, die bei Bedarf ins Netz eingespeist werden kann.
Fest steht: Die Energieversorgung ist eine der zentralen Herausforderungen für die Städte der Zukunft – und die Liste möglicher Lösungsansätze ist lang. Entsprechend bedeutend ist es, schon heute die Konzepte von übermorgen zu erproben. Nur so kann das Energie-system im urbanen Raum so optimiert werden, dass Städte und ihre Bewohner tatsächlich profitieren.

Der Autor: Robert Grüneis ist Geschäftsführer der Aspern Smart City Research GmbH mit Sitz in Wien.