Sind Prädikate für Kurorte angesichts des Wandels in der medizinischen Versorgung ein Label ohne Wert? Durchaus nicht. Umfassend gelebt, kann ein solches Gütezeichen nicht nur Wegweiser für Gesundheitstouristen sein. Es bietet auch die Chance, der Kommune ein unverwechselbares Profil zu geben.
Lange Zeit war für Kommunen der Status als prädikatisierter Kurort nicht nur Markenzeichen, sondern vor allem Grundlage zur Erhebung von Kur- und Fremdenverkehrsabgaben sowie für finanzielle Zuwendungen zur Aufwandsdeckung speziell für die kurörtliche Infrastruktur. Außerdem war es Kurorten vorbehalten, Kuren für Patienten und Gäste durchzuführen.
Durch die Neureglung der Tourismusfinanzierung in vielen Bundesländern mit alternativen Finanzierungsmöglichkeiten verlieren die rein finanziellen Gründe für die Prädikatisierung jedoch teilweise ihre Bedeutung. Zudem haben sich die Geschäftsmodelle der Heilbäder und Kurorte deutlich verändert: Die Zahl der verkauften Kuren ist massiv zurückgegangen. Dem gegenüber gewinnen neue Angebote für den Selbstzahlermarkt und neue Möglichkeiten der Produktgestaltung unter Einbindung von über die Krankenkassen bezuschussten Präventionsreisen sowie Produkte im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung an Bedeutung.
Auch die einstige Ausrichtung der Kliniken auf den Bereich Kur wurde beinahe vollständig durch die Behandlung von Reha-Patienten abgelöst. Diese nehmen aufgrund ihres Gesundheitszustandes am kurörtlichen Geschehen deutlich weniger beziehungsweise oftmals gar nicht mehr teil. Was spricht vor diesem Hintergrund für eine Kommune weiterhin dafür, die hohen Anforderungen der kurörtlichen Prädikatisierung zu erfüllen?
In Deutschland gibt es mehr als 350 hoch prädikatisierte Heilbäder und Kurorte, und es kommen immer wieder neue hinzu. Die Kommunen sehen also demnach weiterhin einen Nutzen im Prädikat. Grundlage der Prädikatisierung bilden die ortsgebundenen (z. B. Thermalsole, Moor) beziehungsweise ortstypischen Heilmittel (z. B. Kneipp-Kuren) mit jeweils unterschiedlichen Anforderungen an die Orte.
Gesundheitsreisende geben Geld aus
Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, der durch das Vorliegen eines Prädikats begünstigt werden kann, ist der Gesundheitstourismus – sprich Reisen, bei denen die Gäste bewusst und aktiv etwas für ihre Gesundheit tun. Gesundheitsreisende leisten sich nachweislich überdurchschnittliche Ausgaben – bei Tagesausflügen liegen diese sogar viermal mal so hoch wie beim „normalen“ Reisenden.
Es lohnt sich daher, die Frage nach den Erwartungen der Gesundheitstouristen an prädikatisierte Kommunen und nach der spezifischen Bedeutung des Prädikats zu stellen. Aktuelle Marktforschungsdaten belegen, dass Gesundheitsreisende die kurörtlichen Prädikate als Qualitätssignal verstehen, dies vor allem hinsichtlich Ambiente und medizinisch-therapeutischer Kompetenz. Sie verbinden mit dem Prädikat das Vorkommen natürlicher Heilmittel sowie das Vorhandensein besonderer Einrichtungen und therapeutischer Dienstleistungen.
Besonders wichtig sind den Gesundheitsreisenden dabei Einrichtungen mit Bezug zu den örtlichen Heilmitteln, allen voran Bäder und Thermen, aber auch Grünanlagen beziehungsweise Kurparks. Klassische kurörtliche Einrichtungen wie Kurmittelhäuser und Trinkkur- beziehungsweise Wandelhallen rücken in der Bedeutung dagegen eher in den Hintergrund.
Mehr als zwei Drittel der Gesundheitsreisenden in Heilbädern und Kurorten gaben in einer bevölkerungsrepräsentativen Befragung an, dass ihnen die Prädikate sympathisch oder sehr sympathisch sind. Immerhin für ein Drittel war das Prädikat auch relevant bei der Reiseentscheidung für den jeweiligen Ort.
Das Prädikat allein zieht jedoch die Kunden noch nicht in die Kommune. Vielmehr müssen die mit ihm verbundenen „Botschaften“ im Ort möglichst durchgängig erlebbar sein und in einer hohen Aufenthaltsqualität sowie in attraktiven Angeboten und Services zum Ausdruck kommen.
Inselgemeinde Norderney setzt Akzente
Was hiermit gemeint ist, lässt sich beispielsweise gut am Thalasso-Nordseeheilbad Norderney (rund 6100 Einwohner, Niedersachsen) zeigen: Die Insel setzt außergewöhnliche Akzente und unterstreicht deutlich ihre Thalasso-Kompetenz, zum Beispiel mit dem Leitbetrieb Badehaus Norderney und mit infrastrukturellen Einrichtungen wie Thalasso-Kurwegen. Besondere Aufenthaltsqualität bieten unter anderem Thalasso-Plattformen am Strand. Auf der gesamten Insel sind Thalasso-Angebote vorhanden.
Von Prädikaten, die solchermaßen ganzheitlich „gelebt“ werden, profitieren nicht nur Gesundheitsreisende. Vielmehr stiften sie Nutzen für die Gäste und Besucher insgesamt, sind Qualitätssignal für den Gast über den Gesundheitstourismus hinaus, roter Faden zur Erlebbarkeit des Ortes und das kommunale „Storytelling“ sowie Grundlage der eigenen Gesundheits- und Tourismusmarke.
Beispielsweise hat das Nordseeheilbad St. Peter-Ording (rund 4000 Einwohner, Schleswig-Holstein) einen durchgängigen Relaunch zur modernen Positionierung des Prädikats Seeheilbad gemeistert. Ein umfassendes Konzept zum Erlebnisraumdesign macht das Meer unter anderem mit einer Natur-Seebrücke erlebbar und schafft Aufenthaltsqualität für alle Gäste und Einheimischen.
In prädikatisierten Kurorten profitieren die ansässigen Unternehmen von der Standortqualität und dem Standortmarketing im Hinblick darauf, dass der Ort als für Fachkräfte attraktiv wahrgenommen wird. Zudem bildet die Prädikatisierung eine Vermarktungsgrundlage für touristische Leistungsanbieter. Dem Moorheilbad Bad Aibling (rund 18.000 Einwohner, Bayern) etwa ist es durch eine Impulsinvestition in ein neues Thermalbad und eine klare touristische Positionierungsstrategie gelungen, nicht nur den „Turn around“ zu mehr Gästen zu erreichen, sondern auch den Ort selbst für Neubürger, Fachkräfte und Unternehmensansiedlungen attraktiver zu machen. Auch wurde erreicht, touristische Leistungsträger zur Investition in ihre Einrichtungen zu motivieren. Die Gemeinde selbst verbesserte die Aufenthaltsqualität für Gäste und Einheimische.
Bad Salzungen nuzt die Kraft der Sole
Ein Prädikat bringt auch Gewinn für die medizinischen Marktpartner (Zuweiser, Krankenkassen), weil es ein eindeutiges Qualitätszeichen und Angebotsgrundlage für Therapien und Vorsorgeleistungen ist. Zum Beispiel hat das Soleheilbad Bad Salzungen (rund 15.700 Einwohner, Thüringen) mit seiner „Solewelt“ eine umfassende Infrastruktur zur Inwertsetzung des Heilmittels Sole geschaffen. Die mehrteilige Anlage unter anderem mit Aktivbad, Gradierwerk und Salzgrotte bietet eine ideale Grundlage für therapeutische und präventive Angebote und für Wohlfühlleistungen. Kassenleistungen werden explizit einbezogen.
Für die Bürger bedeuten die in prädikatisierten Orten vorzufindenden spezifischen Angebote in den Bereichen Freizeit, Erholung und Gesundheitsförderung eine hohe Lebens- und Wohnqualität. Gleichzeitig wirken sie als Standortfaktoren für die Gewinnung von neuen Einwohnern. Der heilklimatische und Kneippkurort Daun (rund 23.000 Einwohner, Rheinland-Pfalz) etwa entwickelte sich unter dem durch und durch gelebten Konzept der „Therapeutischen Landschaften“ als gesunder Lebens-, Wohn- und Arbeitsort. Spürbar wird dies unter anderem in den Kitas und den Schulen, durch Initiativen des betrieblichen Gesundheitsmanagements und Angebote für Senioren.
„Gelebte“ Prädikate stiften auf Grundlage der speziellen natürlichen Gegebenheiten vor Ort Identifikation und Identität auch nach innen – also über den Tourismus hinaus. Sie können Impulsgeber für die Infrastruktur- und Angebotsentwicklung sein. So bewirken sie letztlich, dass die Kommune insgesamt ein spezifisches Profil bekommt.
Anne Dorweiler / Detlef Jarosch
Die Autoren
Anne Dorweiler ist Consultant bei der auf die Bereiche Gesundheit und Tourismus spezialisierten Beratungsgesellschaft Project M mit Standorten in Hamburg, München und Trier,
Detlef Jarosch ist Senior Consultant bei diesem Unternehmen und Experte für kurörtliche Infrastruktur
Info: Thalasso
Thalasso-Therapien (von griech. thalassa = Meer) bauen auf der Heilkraft des Meeres auf, es werden die Wirkstoffe und Wirkungen von Meerwasser, Meeresluft, Sonne, Algen, Sand und Schlick zur Gesundung von Körper und Seele eingesetzt. Die positiven Einflüsse dieser Elemente auf das Wohlbefinden und die Gesundheit des Menschen sind medizinisch nachgewiesen.