Bislang hat die sogenannte Störerhaftung den WLAN-Ausbau im öffentlichen Raum in Kommunen blockiert. Die Ende Juli in Kraft getretene Änderung des Telemediengesetzes hat diese Haftungsform abgeschafft. Allerdings besteht für die Rechtsprechung nach wie vor erheblicher Beurteilungsspielraum.
Mitte Mai dieses Jahres war in der Medienlandschaft zu vernehmen, dass sich die Koalitionspartner auf Bundesebene auf eine Änderung des Telemediengesetzes (TMG) und eine Abschaffung der Störerhaftung von WLAN-Betreibern verständigt hätten. Tatsächlich hat der Bundestag am 2. Juni eine Änderung des TMG versabschiedet, die am 27. Juli in Kraft getreten ist. Ist nun endlich der Weg frei für ein breites WLAN-Angebot in den Städten und Gemeinden? Leider nein. Der Gesetzgeber bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück.
Die von der Rechtsprechung entwickelte Störerhaftung betrifft die mittelbare Haftung für eine Urheberrechtsverletzung nach Paragraf 97 Urheberrechtsgesetz. Der Störer, zum Beispiel der Inhaber eines Internetanschlusses, kann demnach auf Unterlassung in Anspruch genommen und mit kostspieligen Abmahnungen konfrontiert werden, obwohl nicht er, sondern ein anderer Nutzer die Urheberrechtsverletzung begangen hat.
Die Rechtsprechung in Deutschland ist in diesem Bereich uneinheitlich. Bisher gerieten auch die Betreiber öffentlicher WLAN-Hotspots in den Fokus einer Haftung. In den meisten anderen europäischen Ländern existiert eine vergleichbare Haftung nicht.
Die Politik hat mittlerweile erkannt, dass der deutsche Sonderweg sich als Hemmschuh für den gewünschten flächendeckenden Ausbau von WLAN-Hotspots herauskristallisiert hat. Gesetzesänderungen in der Vergangenheit führten gleichwohl nicht zum angestrebten Paradigmenwechsel. Auch die Gesetzesinitiative vom September 2015 trug dazu nicht bei, sondern führte eher zu einer weiteren Verunsicherung der WLAN-Betreiber.
WLAN-Betreiber gelten als Access-Provider
Im Mittelpunkt der jüngsten Gesetzesänderung sowie der Gesetzesinitiative vom September 2015 steht die Abänderung von Paragraf 8 des Telemediengesetzes, der auf europäisches Recht, insbesondere Art. 12 der E-Commerce-Richtlinie – RL 2000/31/EG – (im Folgenden ECRL) zurückgeht. Die aktuelle Gesetzesfassung schreibt nun im neu eingeführten Abs. 3 eindeutig fest, dass WLAN-Betreiber als Access-Provider anzusehen sind. Betreiber von WLAN-Hotspots – unabhängig davon ob sie geschäftlich tätig sind oder nicht – stehen damit auf einer Stufe mit klassischen Anbietern von Internetleitungen (Internetprovidern) wie die Telekom, Vodafone oder 1&1. Weitere Änderungen beschloss der Bundestag nicht.
Nach dem Wortlaut von Paragraf 8 Abs. 1 TMG neuer sowie alter Gesetzesfassung (seit 2007) sind Access Provider bei einer gewissermaßen passiven Durchleitung nicht für die Übermittlung fremder Informationen verantwortlich.
Die Einstufung von WLAN-Anbietern als Access-Provider ist nicht überraschend. Auch schon nach alter Gesetzeslage hatte sich diese Ansicht in der Rechtsprechung verstärkt durchgesetzt. Hinzu kommt, dass der Bundesgerichtshof Ende des Jahres 2015 entschieden hat, dass auch Internetprovider als Störer – wenn auch nachrangig – in Anspruch genommen werden können. Damit erscheint es bereits für den juristischen Laien kaum nachvollziehbar, dass die genannten marginalen Anpassungen des Gesetzes eine so richtungsweisende Veränderung nach sich ziehen soll.
Ein wesentlicher Unterschied besteht zum Gesetzesentwurf vom September 2015. Der darin vorgesehene Paragraf 8 Abs. 4 TMG ist weggefallen. Dieser Absatz sah eine Haftungsfreistellung nur vor, wenn der WLAN-Betreiber von der Rechtsprechung auszulegende unbestimmte Rechtsbegriffe erfüllt wie etwa eine Ergreifung „zumutbarer Maßnahmen“ zur Verhinderung von Rechtsverstößen. Die vagen unbestimmten Rechtsbegriffe, deren Auslegung durch die Gerichte nicht abschätzbar war, hatten zur Folge, dass sich die Unsicherheit für die Anbieter von WLAN-Hotspots eher verstärkte.
Mit der aktuellen Gesetzesfassung wurde diese weitergehende Unsicherheit wieder unschädlich gemacht. Der Gesetzgeber folgert daraus, das gewünschte Ziel einer Abschaffung der Störerhaftung erreicht zu haben. Dementsprechend liest sich die Gesetzesbegründung. So heißt es darin, ein umfassender Haftungsausschluss in straf-, zivil- und verwaltungsrechtlicher Hinsicht sei gewünscht. Ferner sei eine Haftung als Störer einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden Kostenrisiken einer Abmahnung oder eines Gerichtsverfahrens gänzlich ausgeschlossen.
Auslegungshilfe hat keine Gesetzeskraft
Die Ausführungen suggerieren zwar, dass das Gesetz genau in die gewünschte Richtung tendiert, nach der juristischen Dogmatik handelt es sich bei Gesetzesbegründungen jedoch lediglich um eine nachrangige Auslegungshilfe. Der Regelungsgehalt eines Gesetzes ergibt sich allem voran aus dem Wortlaut und sodann aus der Systematik des Gesetzes. Davon abweichend kann der Vorrang des EU-Rechts dazu führen, dass der eindeutige Wortlaut einer Vorschrift im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung etwa durch eine Vorschrift einer EU-Richtlinie überlagert wird. Die vorrangigen Auslegungsmethoden lassen für eine Heranziehung der deutschen Gesetzesbegründung im Falle von Paragraf 8 TMG wenig Raum.
Aufgrund der europarechtlichen Gesetzesgrundlage erlangt das beim Europäischen Gerichtshof anhängige Verfahren „C-484 Sony gegen McFadden“ zu Recht eine erhöhte Aufmerksamkeit, eine Entscheidung steht aktuell noch aus. Das Verfahren geht zurück auf eine Vorlagefrage des Landgerichts München I. Der Entscheidungsgegenstand ist für Hotspot-Anbieter von wesentlicher Bedeutung, zu klären ist die Verantwortlichkeit als Störer bei einer Urheberrechtsverletzung, die offenbar ein Nutzer begangen hat.
Am 16. Juni 2016 veröffentlichte das Gericht den Schlussantrag des Generalanwalts Maciej Szpunar zum genannten Verfahren. Schlussanträge haben keine Bindungswirkung für die Gerichtsentscheidung, sind gleichwohl aber als Anregung der entscheidenden Richter zu verstehen.
Der Generalanwalt betrachtet gewerbliche Hotspot-Anbieter nach Paragraf 12 ECRL ebenfalls als Access-Provider und bejaht eine umfassende Haftungsfreistellung auch in Bezug auf Abmahn- und Gerichtskosten. Auch wenn die Ausführungen des Generalanwalts schlüssig erscheinen, bleibt ungeklärt, ob der EuGH sich bei seiner Entscheidung seinen Ausführungen anschließen wird. Auch die konkrete Bezugnahme der Gesetzesbegründung zum neu geschaffenen Paragraf 8 TMG ändert daran nichts.
Möglichkeiten nicht ausgeschöpft
Auf den ersten Blick scheint es so, dass der deutsche Gesetzgeber zwar betreffend der Störerhaftung Handlungsbedarf sah, angesichts des vorrangigen EU-Rechts jedoch keinen Alleingang wagte und sich insofern an der Rechtsprechung des EuGH orientierte. Das Europarecht allerdings trifft für einen Bestandsschutz der Störerhaftung keine Vorgaben. Der deutsche Gesetzgeber hätte somit freie Hand gehabt, den Anbieter von WLAN-Hotspots von einer Haftung umfänglich freizustellen. Über die Gründe für diesen „fehlenden Mut“ lässt sich nur spekulieren.
Sollte sich der EuGH den vorgenannten Ausführungen des Generalanwalts anschließen, bleiben weitere Fragen zu klären. Art. 12 Abs. 4 ECRL lässt unabhängig von einer Störerhaftung nationale behördliche und gerichtliche Entscheidungen zu, Rechtsverletzungen zu verhindern. Dabei billigt die Norm europäischen Mitgliedsstaaten einen weiten Ermessensspielraum bei der gesetzlichen Ausgestaltung zu, das heißt ein EU-rechtlicher Einfluss besteht diesbezüglich nicht. Auch der Generalanwalt im genannten Verfahren sieht kaum einen Einfluss des EU-Gesetzgebers an dieser Stelle, auch wenn er einer Verpflichtung zur Stilllegung, Überwachung und Verschlüsselung von WLAN-Hotspots als Maßnahme kritisch gegenübersteht.
Der deutsche Gesetzgeber hat sich für konkrete gesetzliche Regelungen auch im Rahmen der jüngsten Reform bisher nicht entschieden. Anbieter von WLAN-Hotspots müssen daher nach wie vor damit rechnen, dass sie behördlichen oder gerichtlichen Entscheidungen ausgesetzt werden, deren Reichweite aktuell ungewiss ist. Denkbar sind bei anhaltenden Urheberrechtsverletzungen durch Nutzer auch Sanktionsmaßnahmen.
Damit bleibt festzuhalten, dass die aktuelle Reform des Telemediengesetzes den Betreibern von WLAN-Hotspots keine Rechtssicherheit in Bezug auf Abmahnungen oder einen uneingeschränkten Betrieb bietet. Lediglich für private Anbieter ist nun klargestellt, dass diese von der Haftungserleichterung für Access-Provider profitieren.
Frank Utikal
Der Autor
Frank Utikal ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei St-B-K Steuerberatung & Rechtsberatung Krefeld. Er ist schwerpunktmäßig in den Bereichen Urheber- und Medienrecht sowie im gesamten gewerblichen Rechtsschutz tätig