Selbsthilfe für alle Generationen im Dorfladen

Ein Laden bringt Leben ins Dorf. Das wird oft erst deutlich, wenn Tante Emma für immer geschlossen hat. Als Reaktion auf den Strukturwandel der Nahversorgung nehmen Bürger den Aufbau und Betrieb von Dorfläden selbst in die Hand. In Wiesenfeld und Otersen ergänzen sogar Cafés das Warenangebot.

 

Der Einzelhandel ist eine Branche, in der sich einzelne Anbieter einen harten Konkurrenzkampf um die Kundschaft liefern. Das gilt auch für den ländlichen Raum. Dort mussten in den vergangenen Jahren immer mehr kleine Lebensmittelgeschäfte schließen, während Supermarktketten oder Discounter ihr Angebot ausbauten. Die Wege zum Einkaufen werden für die Kunden somit immer länger. Doch mittlerweile findet ein vergleichsweise neues Geschäftsmodell immer mehr Anhänger, das die Vorteile eines wohnortnahen und regional orientierten Angebots mit der Bereitschaft zur Selbstverantwortung verbindet – gemeint ist der Dorfladen in Bürgerhand.

Vor 20 Jahren war die Nahversorgung in Wiesenfeld im Landkreis Main-Spessart kein Thema, das den Einwohnern allzu viel Kopfzerbrechen bereitete. In diesem mit 1200 Einwohnern größten Stadtteil von Karlstadt (Bayern) gab es einen Tante-Emma-Laden sowie einen Bäcker und eine Fleischerei. Doch wie in so vielen anderen ländlichen Gemeinden verschwand dieses Angebot, als die Betreiber ihr Geschäft altersbedingt aufgaben. Irgendwann wuchs die Zahl derjenigen, die eine Einkaufsmöglichkeit in unmittelbarer Nähe ihres Wohnortes vermissten. Außerdem fehlte ein Treffpunkt, an dem man sich ungezwungen begegnen und austauschen konnte.

Wiesenfelder Bürger werden Anteilseigner

Vor vier Jahren beschloss eine Gruppe von Wiesenfelder Bürgern, das Heft selbst in die Hand zu nehmen. Nicht nur ein Dorfladen sollte entstehen, sondern parallel dazu auch ein Café. Zunächst gründeten sich diverse Arbeitskreise, die das Vorhaben aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten sollten. Als Rechtsform entschied man sich für die Unternehmergesellschaft (UG). Zudem waren zahlreiche Bürger bereit, Anteilseigner zu werden. Aktuell sind es 229.

„Eine der wichtigsten Aufgabe war die Suche nach einer geeigneten Räumlichkeit“, berichtet die Leiterin des Dorfladens, Ulrike Rupprecht. „Als Glücksfall erwies sich ein Gebäude, das in früherer Zeit als Kuhstall gedient hatte und nun liebevoll restauriert wurde.“ Nach zweijähriger Bauphase eröffnete am 31. Juli 2015 ein Ladenlokal mit 100 Quadratmetern Fläche sowie ein Café mit 25 Sitzplätzen und Außengastronomie.

Nach Informationen von Marco Amrhein, Leiter des Fachbereichs Planen und Bauen der Stadt Karlstadt, betrugen die Baukosten insgesamt 320.000 Euro. „Ein Zuschuss von 133 000 Euro kam aus dem Dorferneuerungsprogramm des Freistaates Bayern. Die restlichen 187.000 Euro steuerte die Stadt Karlstadt bei.“

Das Sortiment des Dorfladens umfasst alle Dinge des täglichen Bedarfs – von Nudeln bis zu Waschmittel. Die Lebensmittel kommen bis auf wenige Ausnahmen alle von Anbietern aus der Region. Beispielsweise werden die Äpfel und Erdbeeren von einem benachbarten Obstbauern geliefert.

„Hier weiß man genau, wie ein Tier vor seiner Schlachtung gehalten wurde“, erklärt Rupprecht. „Das macht den Unterschied, und die Kunden sind bereit, dafür ein paar Cent mehr zu zahlen als im Supermarkt.“ Das Konzept funktioniere in der Praxis nur dann, wenn die Bürger voll und ganz dahinter stehen, sagt Rupprecht. Ehrenamtliches Engagement spielt eine große Rolle. So übernehmen freiwillige Helfer die Dekoration, wenn Feste gefeiert werden. Dennoch sei eine ausreichende Anzahl von Fachkräften, die unter anderem auf Hygiene und die sachgerechte Lagerung von Lebensmitteln achteten, unverzichtbar, stellt Rupprecht fest. Inzwischen zählen drei festangestellte Fachverkäufer und sechs Aushilfen zum Mitarbeiterstamm.

Als Vorteil erweist sich die räumliche Nähe zwischen Dorfladen, Café und Kirche. Auch eine Schule sowie ein Kindergarten befinden sich in der Nachbarschaft. „Nicht nur Kinder kommen hier vorbei und kaufen ein Eis. Inzwischen verabreden sich auch Jugendliche über eine Whats-App-Gruppe.“

Da man von Anfang an die Versorgung von älteren Menschen im Blick hatte, wurde ein Lieferwagen angeschafft. „Zurzeit überlegen wir, ihn wieder zu verkaufen, denn er wird kaum genutzt.“ schildert Rupprecht. „Die Älteren sind so begeistert von ihrem Dorfladen, dass sie sich immer wieder aufraffen und zu Fuß zum Einkaufen gehen.“

Kaffee, Kuchen, Kunst und Begegnung

Auch Günter Lühning, Initiator des Bürgerladens in Otersen, einem 500 Einwohner zählenden Dorf der Gemeinde Kirchlinteln im niedersächsischen Landkreis Verden, spricht von einer effektiven Form der Bürgerselbsthilfe für alle Generationen. „Ältere Menschen erhalten ihre Selbstständigkeit, während Kinder in einem geschützten Rahmen lernen können, wie man mit seinem Taschengeld umgeht.“

Während der neunmonatigen Vorbereitungszeit fanden diverse Bürgerversammlungen statt, bis der Dorfladen am 1. April 2001 in den gemieteten Räumen eines früheren Edeka-Geschäfts eröffnet wurde. Nach zehn Jahren entschied sich die große Mehrheit der insgesamt 160 Dorfladen-Mitglieder dafür, das Angebot um ein Café zu erweitern. Dafür kaufte und sanierte man ein 200 Jahre altes Fachwerkhaus. Dieser Schritt erforderte eine neue Rechtsform. Statt der ursprünglichen GbR wählte man den wirtschaftlichen Verein (w.V.).

Seit der neue Dorfladen im Jahre 2011 seinen Betrieb aufnahm, steht eine 180 Quadratmeter große Ladenfläche zur Verfügung, die genügend Platz für ein Sortiment mit 2700 Artikeln bietet. Das 70 Quadratmeter große Mehrgenerationen-Café verfügt über zwei Terrassen und 48 Sitzplätze. Dort gibt es nicht nur Kaffee und Kuchen, sondern unter anderem Kunstausstellungen, einen Senioren-Treff sowie eine Männergruppe.

Finanzielle Zuschüsse für den Dorfladen und das Café steuerten die EU und die Kommune bei. Doch auch die Bürger selbst griffen tief in die Tasche und brachten Eigenmittel in Höhe von 100.000 Euro ein. Zusätzlich packten viele beim Bau eigenhändig mit an. 5000 Stunden an Eigenleistungen kamen so zustande. „Von Anfang an war uns wichtig, dass andere Interessenten von den Erfahrungen lernen konnten“, sagt Lühning. Deshalb wurde 2004 ein Dorfladen-Netzwerk ins Leben gerufen und 2008 sogar ein Dorfladen-Handbuch veröffentlicht. Seit 2011 existiert im Ort eine Wissenstransferstelle, die Ratsuchenden weiterhilft und künftig weiter ausgebaut werden soll.

Michaela Allgeier

Die Autorin
Michaela Allgeier, Essen, ist Autorin und Beraterin in den Themenfeldern Demografische Entwicklung und Gerontologie sowie Integration

Info: Die geeignete Rechtsform
Die Broschüre „Der Dorfladen in Bayern“ des bayerischen Wirtschaftsministeriums informiert umfassend über Gründung und Betrieb von Dorfläden und bietet eine Übersicht über geeignete Rechtsformen (S. 22 bis 25). – PDF-Download