Schienennahverkehr zwischen Abgrund und Anfang

Wie läuft es mit Straßen-, U- und S-Bahnen: Ist der Schienennahverkehr auf dem Weg zum richtigen Gleis? Sind die Weichen in Richtung Zukunft gestellt – und wo sollte man umstellen? Ein Zwischenruf aus Verbandssicht.

Schienennahverkehr
Nach der Pandemie sind die Fahrgäste auch im Schienennahverkehr zurück – aus Verbandssicht bleibt aber noch viel zu tun. Foto: Adobe Stock/dizfoto1973

Das Fahrziel aus Sicht des Bundesverbands SchienenNahverkehr:  die Verkehrswende mit mehr und zufriedenen Fahrgästen voranzubringen – durch ein hochwertiges Mobilitätsangebot und eine stabile, zukunftsfähige Infrastruktur. Wie sieht es aktuell aus? Aus Verbandssicht stehen wir am Abgrund und gleichzeitig am Anfang.

Wir blicken auf eine marode Infrastruktur durch jahrzehntelange Vernachlässigung und eine fehlende Finanzierungsstrategie des Bundes. Das lähmt den Bahnverkehr auf etlichen Strecken und führt zu unzufriedenen Fahrgästen.

Auch die Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) leiden unter diesen Voraussetzungen. Hinzu kommt die politische Unentschlossenheit für das nachhaltige Fördern des Verkehrsträgers Schiene. Massive Preissteigerungen – vor allem in den Bereichen Personal, Energie und Material – führen zu finanziellen Schieflagen bei EVU und Aufgabenträgern (AT). Zusätzlich verschärft der Fachkräftemangel – Stellwerks- und Fahrpersonale – die Situation im täglichen Betrieb.

Für guten Schienennahverkehr fehlen Geld und Kapazität

Mit dem Deutschland-Ticket wurde zwar ein günstiges und einfaches Tarifangebot eingeführt. Aber es ist nicht das Allheilmittel für die Verkehrswende. Für das Gegenstück – ein sehr gutes Verkehrsangebot – fehlen Geld und Kapazität. Nur mit einer strukturellen und finanziellen Stärkung des Systems durch den Bund, kann das Ticket sein Potenzial entfalten und die Verkehrswende vorantreiben.

Es gibt aber auch positive Aspekte. Wir freuen uns über die Rückkehr unserer Fahrgäste, deren Anzahl das prepandemische Niveau endlich wieder überschritten hat. Die Schiene konnte ihre Resilienz beweisen – auch zu Zeiten des Ukraine-Kriegs. Der Wettbewerb im SPNV wird Schritt für Schritt stabilisiert und fortgeführt. Gleichzeitig geht die Digitalisierung von Fahrgastinformationen und Ticketing voran.

Gelungen ist ebenfalls die herausfordernde Umsetzung des Deutschland-Tickets. Es bringt eine erhöhte gesellschaftliche und politische Aufmerksamkeit für den öffentlichen Personennahverkehr und vereinfacht den Zugang für alle Fahrgäste. Auch den Wandel der DB-Infrastruktursparte zur gemeinwohlorientierten  InfraGO AG  und den diesjährigen Start der Generalsanierung sehen wir als großen Fortschritt. Nun heißt es: dran bleiben und wirklich umsetzen.

Erhöhung der Regionalisierungsmittel ist erforderlich

Große Herausforderungen aber bleiben: Grundsätzlich muss über Verkehrsmittelgrenzen hinweg gedacht werden und das Gesamtsystem öffentlicher Verkehr gefördert sowie vernetzt werden. Daher ist an erster Stelle eine substanzielle Erhöhung der Regionalisierungsmittel notwendig, damit Angebote auf der Schiene ausgebaut werden können und nicht nur der Status Quo erhalten bleibt oder sogar gefährdet wird.

Digitalisierung und Modernisierung der Infrastruktur sind große Herausforderungen und werden vorerst schmerzhaft in der Umsetzung. Sie müssen gemeinschaftlich bewältigt werden, denn nur mit einer kapazitativ und qualitativ hochwertigen Infrastruktur lässt sich das notwendige Angebot auch fahren.

Der gemeinsame Umsetzungswille in konstruktiver Zusammenarbeit und die auskömmliche Finanzierung durch Bund und Länder sind die Schlüsselfaktoren. Dabei müssen Kommunen mitgenommen werden und sich aktiv beteiligen, um das Bild zu vervollständigen.

Kommunen können wichtigen Teil beitragen

Aus Verbandssicht bedarf es einer engen Zusammenarbeit der Kommunen mit Verkehrs- und DB-Infrastrukturunternehmen sowie Aufgabenträgern für eine gesamtheitliche Mobilitätslösung. Ein konkretes Beispiel dafür sind Fahrradabstellanlagen auf Bahnhofsvorplätzen: Sie bedürfen einer gemeinsamen Anstrengung und Finanzausstattung aller genannten Akteure. Hier liegt der Ball auch bei den Kommunen, mit einer proaktiven Kontaktaufnahme Angebote vor Ort zu schaffen.

Best Practice-Beispiele, von denen man sich anregen lassen kann, gibt es bereits: etwa das Infrastrukturprojekt i2030 des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) – gemeinsam mit den Ländern Berlin und Brandenburg sowie mit der Deutschen Bahn wird der Schienenausbau geplant, um mit neuen Gleisen und modernen Bahnhöfen mehr Angebote für Fahrgäste zu schaffen. 

Weitere Best-Practice Beispiele sind Projekte der Bike&Ride-Offensive mit Kommunen. Auch gibt es deutschlandweit gemeinschaftlich geplante und umgesetzte Bahnhofsmodernisierungen. Als Ergänzung zum SPNV schaffen einige Kommunen bereits Letzte-Meile-Lösungen mit on demand-Verkehren rund um die Uhr.

Die Möglichkeiten der aktiven Beteiligung an der Mobilität sind vielfältig und sollten unbedingt genutzt werden.                       


Der Autor

Robert Dorn ist Geschäftsführer des Bundesverbandes SchienenNahverkehr e. V. (BSN).


Robert Dorn

Mehr zum Thema

KI; Elektrobus; Verkehr; Mobilität; Zukunft; Künstliche Intelligenz

Mobil mit Künstlicher Intelligenz

Smart, leise, abgas- und staufrei, pünktlich, auf individuelle Bedürfnisse ausgerichtet: Zumindest einiges könnte bald Realität werden — mit Hilfe von …