Plädoyer für Reformen auf dem Strommarkt

In den letzten Jahren hat die Energiewende an Fahrt aufgenommen – für das Öko-Institut der Anlass, eine positive Zwischenbilanz zu ziehen. Was aber steht für die Zukunft an: Wie sollte sich der Strommarkt weiterentwickeln? Vorschläge aus der Forschung von Hauke Hermann.

Strommarkt
Der Anteil der erneuerbaren Energien bei der Stromproduktion ist deutlich gestiegen. Es muss sich aber auch noch einiges tun, um Versorgungssicherheit gewährleisten zu können. Foto: Adobe Stock/visdia

Nachdem im Jahr 2023 der Kernenergieausstieg abgeschlossen wurde, hat der Kohleausstieg in diesem Jahr an Tempo zugelegt. Das liegt auch daran, dass Maßnahmen ausgelaufen sind, die im Rahmen der Erdgaskrise beschlossen wurden. Im ersten Halbjahr 2024 betrug der Anteil der erneuerbaren Energien bereits 57 Prozent – im Jahr 2019 waren es noch 42,5 Prozent.

Für den täglichen Kraftwerkseinsatz, den sogenannten Dispatch, steigt die Bedeutung von Marktpreisen für die Steuerung des Systems. In diesem Sommer lässt sich die Wirkung der Marktpreise gut beobachten: Um die Mittagszeit sind die Strompreise sehr niedrig, weil durch die PV-Einspeisung viel Stromangebot da ist. Am Abend treten dann Preisspitzen am Spotmarkt auf. Diese Preisspitzen sind wichtig, weil sie einen Anreiz dafür bieten, in diesen Stunden flexibel Strom zu produzieren.

Strommarkt braucht Reformen

In Hinsicht auf den Kraftwerksdispatch benötigt der Strommarkt aktuell an zwei Stellen eine Reform, um besser zu funktionieren. Zum einen ist wichtig, dass die Netznutzungsentgelte reformiert werden. Bisher setzen sie noch viel zu oft Anreize für einen Grundlaststrombezug. Sinnvoller wäre es, dann viel Strom zu nutzen, wenn die Einspeisung erneuerbarer Energien hoch ist. Die Netzentgelte verhindern jedoch die notwendige Dynamik, weil flexible Verbraucher durch hohe Leistungspreise abgestraft werden. Der aktuelle Vorschlag der Bundesnetzagentur zu den Netznutzungsentgelten für industrielle Verbraucher (§ 19 StromNEV) ist daher ein sehr wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Damit auch andere Verbraucher — zum Beispiel im kommunalen Bereich — flexibilisiert werden können, sollten auch für weitere Bereiche ähnliche Regelungen gefunden werden.

Zudem werden am Strommarkt räumliche Preissignale benötigt. Damit können insbesondere die Steuerung der Im- und Exporte sowie der Kraftwerksdispatch steuerbarer Kraftwerke und Speicher verbessert werden. In der Folge würden der Redispatchbedarf und somit auch die Netznutzungsentgelte sinken.

Versorgungssicherheit des Strommarktes kommt ans Limit

In Deutschland wurde die Versorgungssicherheit bisher durch den Strommarkt und über ein System von verschiedenen Reserven sichergestellt. Durch den Kohleausstieg und die gleichzeitig steigende Stromnachfrage durch neue Verbrauchsquellen wie Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge kommt das aktuelle System jedoch an seine Grenzen.

Im Fokus der Energiewende waren bisher Strommengen, also Terawattstunden (TWh). Zukünftig wird auch die Bereitstellung der gesicherten Leistung, also Gigawatt (GW), eine größere Bedeutung erhalten. Hier kann die Kraftwerkstrategie der Bundesregierung eine sinnvolle Brücke bilden. Mittelfristig ist ein Kapazitätsmechanismus geplant.

Wasserstoff für die Zukunft

Mit der Kraftwerksstrategie plant die Bundesregierung, gesicherte Kraftwerksleistung auszuschreiben. Dabei sind verschiedene Segmente vorgesehen. In einem Segment sollen H2-ready Gaskraftwerke ausgeschrieben werden, die am Anfang mit Erdgas betrieben und dann auf Wasserstoff umgerüstet werden sollen.

Viele kommunale Unternehmen betreiben Anlagen für Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Bisher waren dies in erster Linie fossile Anlagen. Aber angesichts der nationalen Klimaschutzziele werden bei der KWK ebenfalls Änderungen gebraucht. Auch hier ist es notwendig, die Emissionen zu senken und zunehmend Wasserstoff und andere klimaneutrale Brennstoffe einzusetzen oder alternative Wärmequellen zu erschließen.

Neue KWK-Anlagen können selbstverständlich an den Ausschreibungen im Rahmen der Kraftwerksstrategie teilnehmen. Dazu gehört dann ein deutlich flexiblerer Betrieb als bisher und eine klare Perspektive für die Umrüstung auf Wasserstoff.


Der Autor

Hauke Hermann ist Senior Researcher im Bereich Energie & Klimaschutz am Berliner Standort des Öko-Instituts. Er forscht zum Strommarkt und zu marktbasierten Instrumenten der Klimapolitik.


Hauke Hermann

Mehr zum Thema

Wie können mehr Ökostromanlagen an das Stromnetz angeschlossen werden?

Der Bundesverband Erneuerbare Energien hat eine Studie in Auftrag gegeben, die das Potenzial einer höheren Auslastung der Transformatoren in den …

Umfrage: Digitalisierung als Chance für die Energiewende

Eine Bitkom-Umfrage zeigt: Die meisten Deutschen sehen in der zunehmenden Digitalisierung des Energiesektors Vorteile, aber auch Risiken. Intelligente Stromnetze, Smart …

Ein Viertel des deutschen Stroms aus Windenergie

Laut Statistischem Bundesamt stammen rund 25 Prozent des in Deutschland erzeugten Bruttostroms aus Windenergie. Die Bedeutung von Windenergie für die …