Pionier bleibt am Ball

Jühnde war das erste Bioenergiedorf in Deutschland, das sein Strom- und Wärmekonzept unter Beteiligung der Bürger auf die Basis von regional nachwachsenden Rohstoffen umstellte. Jetzt modernisiert das Pionierdorf seine Anlagen. Das Ziel: Steigerung des Wärmenutzungsgrad um mehr als 40 Prozent.

Die Idee zum Bioenergiedorf Jühnde in Niedersachen entstand 1999 an den Universitäten Göttingen und Kassel. Im Jahr 2005 konnten dann eine Biogasanlage und eine Hackschnitzelheizung in dem niedersächsischen 770-Einwohner-Ort den Betrieb aufnehmen. Das damalige Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft förderte das zu dem Zeitpunkt einmalige Projekt über die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) mit 1,32 Millionen Euro für die Baumaßnahmen und 1,4 Millionen Euro für die wissenschaftliche Begleitforschung. Heute gibt es über 100 umgesetzte Bioenergiedörfer in Deutschland sowie zahlreiche weitere Orte, die entsprechende Planungen verfolgen.

Die Jühnder sind nach wie vor Pioniere. Während es vor zehn Jahren galt, die wirtschaftliche und organisatorische Machbarkeit eines Bioenergiedorfes nachzuweisen, steht heute die Optimierung insbesondere unter Effizienzgesichtspunkten im Mittelpunkt. In den Anfangsjahren wurden in vielen Bioenergiedörfern großzügige Reserven eingeplant, denn die Wärmeversorgung sollte auch an den kältesten Wintertagen 100-prozentig funktionieren. In Jühnde steht deshalb ebenso ein Spitzenlastkessel auf Heizölbasis mit 1600 Kilowatt-Leistung.

Außerdem erzeugt die Biogasanlage bis heute, wie in vielen anderen Orten auch, möglichst unter Volllast ganzjährig rund um die Uhr Strom, der ins öffentliche Stromnetz eingespeist und nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vergütet wird. Die Wärme fällt quasi nebenbei an, man spricht auch von einer „stromgeführten“ Anlage. Die Folge: In den Sommermonaten kann die Wärme nicht vollständig genutzt werden. Die Jühnder entwickelten deshalb zusammen mit dem Beratungsunternehmen Economic Trading Solutions (ETS) ein Konzept, mit dem sie die Effizienz des Gesamtsystems deutlich steigern wollten. Dabei sind der Einsatz hocheffizienter Technik und die flexible Fahrweise von großer Bedeutung. Die Umstrukturierung besteht aus zwei wesentlichen Komponenten.

Zwei neue Wärmespeicher

So soll die Biogasanlage einerseits künftig wärme- statt stromgeführt betrieben werden und folglich im Sommer mit geringerer Leistung als im Winter laufen. Zwei neu installierte Wärmespeicher sorgen dafür, dass genügend warmes Wasser für besonders kalte Tage und die Sommermonate vorhanden ist und der Heizölkessel stillgelegt werden kann. Andererseits soll der Strom künftig nicht mehr kontinuierlich ins Netz fließen, sondern dann, wenn die Nachfrage besonders hoch ist, zum Beispiel zu windstillen oder sonnenarmen Zeiten. Die Fähigkeit zur flexiblen und bedarfsgerechten Produktion ist der große Vorzug der Bioenergie gegenüber anderen erneuerbaren Energien. Die Strombörse honoriert Strom zu Zeiten hoher Nachfrage mit deutlich höheren Preisen und das EEG gewährt zusätzlich eine Flexibilitätsprämie. Die Jühnder rechnen dadurch mit Zusatzerlösen von rund 150.000 Euro pro Jahr.

Die Modernisierung der Jühnder Anlage findet in enger Zusammenarbeit mit der Wissenschaft statt: die Gemeinde Jühnde bringt die Erfahrungen mit der flexiblen Fahrweise als assoziierter Partner in den Projektverbund „biopower2gas“ ein, in dem verschiedene leistungsregelbare Biogaskonzepte untersucht werden. Darüber hinaus testet Jühnde Fahrpläne zum flexiblen Anlagenbetrieb, die das Ingenieurbüro Cube Engineering aus Kassel im Rahmen von Flexibilitätsstudien erstellt hat, in der Praxis.

Effizienzsteigerung und flexibler Anlagenbetrieb versprechen höhere Einnahmen. Dem stehen allerdings hohe Investitionen gegenüber, denn die Mikrobiologie im Fermenter einer Biogasanlage lässt sich nicht beliebig an- und abschalten, sie produziert kontinuierlich Gas, das in Zeiten geringer Stromnachfrage gespeichert werden muss. Um es dann in Spitzenlastzeiten kurzfristig verstromen zu können, braucht man zusätzliche Kapazitäten. Die Jühnder Genossenschaft will deshalb in einen neuen Behälter mit neuem Gasspeicher und in zwei zusätzliche, an- und abschaltbare Blockheizkraftwerke (BHKW) investieren.

Weitere Komponenten ergänzen das Effizienzsteigerungs-Paket. Ein Hochtemperatur-ORC -Modul ist geplant, das die Wärme der BHKW-Abgase zur Verstromung nutzt. Eine Ultraschall-Desintegrationsanlage soll die Biogassubstrate mechanisch aufschließen, um die Biogasausbeute zu steigern und die Substratkosten zu verringern. Und ein zusätzliches Silo für die Biogassubstrate garantiert mehr Flexibilität bei der Lagerung der Einsatzstoffe. Alles in allem betragen die Investitionen für das Update auf Jühnde 2.0 rund drei Millionen Euro. Insgesamt sollen sie den elektrischen Wirkungsgrad um rund 14 Prozent, die Substrateffizienz um elf Prozent und den Wärmenutzungsgrad sogar um 40 Prozent steigern.

Amortisation nach fünf Jahren

ETS errechnete eine Amortisation dieser Ausgaben nach fünf Jahren. „Die Finanzierung des Vorhabens war eine besondere Herausforderung“ betont Eckhard Fangmeier, Vorstand und Sprecher des Bioenergiedorfs Jühnde Durch die Flexibilitätsprämie im EEG 2014, die Effizienzsteigerung der Anlagenkomponenten und die Konzentration auf die bestmögliche KWK-Nutzung ist jedoch ein wirtschaftlich interessantes Konzept entstanden.

Mit der regionalen VR-Bank und mit starker Unterstützung der Gemeinde Jühnde für die Absicherung der Kredite konnte bei den derzeit niedrigen Zinsen eine attraktive Finanzierung aufgebaut werden. Das große Fernziel von Jühnde 2.0: Die Anlage technisch und ökonomisch fit zu machen für die Zeit nach dem EEG. Noch bekommt die Biogasanlage bis 2025 die EEG-Vergütung von rund 21 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Diese hohe Vergütung wird nach 2025 sinken. Andererseits sind Anlage und Wärmenetz dann abgeschrieben, die Gestehungskosten für Strom und Wärme sinken dann ebenfalls. Ob dies zusammen mit der größeren Effizienz der Anlage reicht, um ab 2026 bezahlbare Wärme für die Genossen erzeugen und den Strom verkaufen zu können, ist noch offen.

Allerdings wären die Jühnder nicht Pioniere, hätten sie nicht auch hier schon Lösungsansätze. „Dem notwendigen Wärmeenergiebedarf im Dorf von rund 4,5 Millionen Kilowattstunden stehen etwa 2,2 Millionen Kilowattstunden elektrischer Energiebedarf gegenüber. Insgesamt erzeugt die Biogasanlage aber fünf Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr. Diesen zusätzlichen Strom könnten wir am besten auf dem regionalen Markt verkaufen“, erklärt Fangmeier.

Und diesen regionalen Markt entwickelt Jühnde schon heute über das Thema Elektromobilität. Das Dorf beteiligt sich am Schaufenster E-Mobilität, einem Projekt zur Nutzung der Elektromobilität im ländlichen Raum unter Koordination des Landkreises Göttingen. In Jühnde befindet sich dazu ein Carsharing-System mit Elektroautos im Aufbau. 20 Familien machen bereits mit. Den Strom tanken sie an einer öffentlichen Ladesäule an der Biogasanlage und an Ladestationen in den Haushalten. Der Netzbetreiber Energienetzmitte untersucht am Beispiel Jühnde, wie die Erzeugung von regenerativem Strom im Dorf mit dem Verbrauch in den Haushalten zusammenpasst. Sollte sich der Stromabsatz an Elektro-Autos in den nächsten zehn Jahren deutlich ausweiten, könnte dies eine Option für die Jühnder Biogasanlage sein.

Nicole Paul

Die Autorin
Nicole Paul ist Referentin Öffentlichkeitsarbeit bei der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) in Gülzow-Prüzen