Der Anspruch aller Akteure der Stadtplanung sollte die Schaffung von lebenswerten Städten sein. Dem Immissionsschutz kommt dabei eine wesentliche Bedeutung zu. Was das für die Praxis bedeutet, diskutierten Fachleute auf einer Fachtagung in Hamburg. Sie blickten auf zweieinhalb Dekaden Lärmbekämpfung zurück und gaben einen Ausblick.
Der Stellenwert des Immissionsschutzes in Städten hat vor dem Hintergrund eines ansteigenden Nutzungsdrucks und verschiedener Planungsinteressen zugenommen. Nicht selten kommt dem Lärmschutz eine vermittelnde Rolle zwischen Akteuren der Stadt-, Verkehrs-, Freiraum- und Infrastrukturplanung zu.
Als ein gelungenes Beispiel des Zusammenspiels von Stadtentwicklung und Immissionsschutz wurde im April dieses Jahres auf einer Fachtagung des Beratungsbüros Lärmkontor die Entwicklung der Hafencity Hamburg vorgestellt. Von der ersten Vorstudie zur Entwicklung des Hafenrandes (1996) über den ersten Spatenstich (2001) bis aktuell zur baulichen Umsetzung mussten dort auch verschiedene immissionsschutzrechtliche Herausforderungen gelöst werden. Frühzeitig wurde in der Planung auf die Herausforderungen des Projektes reagiert.
Lärmminderung in der Hafencity Hamburg
Bereits zu Beginn der Entwicklung der Hafencity wurde der Immissionsschutz berücksichtigt, wie Iris Scheel von der Hamburg Port Authority erläuterte. Diese Institution initiierte bereits 1998 mit dem „Beirat Hafenlärm“ ein Beteiligungsgremium, um Nachbarschaftsverhältnisse verträglich zu gestalten.
In der Hafencity trifft ein neu geplanter Stadtteil mit Wohnnutzungen auf ein benachbartes Hafen- und Industriegebiet mit vorhandenen Genehmigungen für Tag- und Nachtbetriebe. Es sollen sowohl für die Hafen- und Industriebetriebe Entwicklungsmöglichkeiten erhalten als auch eine rechtssichere Abwägung in der Bauleitplanung erreicht werden.
Dauermessungen des Hafenlärms in der Hafencity zeigten, dass im Tagzeitraum keine Konflikte mit den Richtwerten der TA Lärm zu erwarten sind. Im Nachtzeitraum hingegen werden diese Richtwerte überschritten. Der Hafen war dabei jedoch leiser, als es eigentlich erlaubt wäre: Die maximal möglichen Emissionen der Betriebe wurden noch nicht ausgeschöpft.
Als gemeinsamer Lösungsansatz wurde ein Drei-Säulen-Konzept entwickelt: Eine Deckelung des Hafenlärms soll die Immissionen durch Hafenaktivitäten im „status quo“ festschreiben. Hiermit soll die Gesamtlösung dauerhaft tragfähig gestaltet werden. Neben der Bauleitplanung, die etwa über eine optimierte Anordnung und Ausrichtung der Baukörper die Immissionen vermindern soll, sind bauliche Maßnahmen die dritte Säule des Konzepts.
Über die sogenannte „Hafencity-Lösung“ referierte Bernd Kögel vom veranstaltenden Unternehmen. Das Schutzziel in der Hafencity wurde über einen Innenraumpegel bei gekippten Fenstern statt über einen Außenlärmpegel vor dem Fenster definiert. Als Minderungsmaßnahmen wurden sowohl einfache Fensterkonstruktionen mit Kippbegrenzer und absorbierenden Fensterlaibungen, Loggien sowie komplexere Fensterkonstruktionen (wie verglaste Wintergärten) und schließlich das sogenannte Hafencity-Fenster entwickelt.
Dieses Fenster besteht in seiner wirksamsten Ausprägung aus zwei Fensterebenen mit jeweils versetzt angeordneten kleinen Lüftungsklappen für die innere und die äußere Ebene. Der Zwischenraum ist mit absorbierenden Materialien ausgekleidet. Auch im gekippten Zustand sind hiermit Schalldämmwerte erreichbar, die gängige Fenster nur im geschlossenen Zustand erreichen. Das Hafencity-Fenster sowie weitere vorgestellte Maßnahmen wurden bereits erfolgreich in der Praxis umgesetzt.
Fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit
Die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Stadtplanung und Immissionsschutz griff auf der Tagung auch Ute Müller von der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen auf. Lösungsorientierte Diskussionsansätze sind erforderlich, damit das Wachstum insbesondere den Großstädten nutzungsverträglich ermöglicht und auch in konfliktbehafteten Lagen gestaltet werden kann. In der von der Bauministerkonferenz diskutierten „Großstadtstrategie“ werden dafür Ansätze und Ideen präsentiert.
Trotz des erhöhten Nutzungsdrucks sollte der Anspruch aller Planungsbeteiligten in der Schaffung von lebenswerten Städten liegen. Dem Immissionsschutz obliegt dabei eine wesentliche Bedeutung in der Ausgestaltung der Stadtqualität.
Anlass der Tagung war das 25-jährige Jubiläum von Lärmkontor. Das Büro wurde im Rahmen eines Projektes des Umweltbundesamtes mit dem Ziel gegründet, zu untersuchen, wie das „Lärmminderungs-Know-how den Gruppen zugänglich gemacht werden kann, deren Entscheidungen Auswirkungen auf die Ausschöpfung vorhandener Lärmminderungspotenziale haben“. Büro-Mitgründer und Geschäftsführer Christian Popp verdeutlichte aus der Praxis, welche städtischen Potenziale gehoben werden können, wenn der Lärmschutz progressiv gedacht und auch angewandt wird.
Lärmschutz im Verkehr
Eckhart Heinrichs vom Büro LK Argus (Berlin, Hamburg, Kassel) stellte das 1991unter dem Titel „Stattlärm“ interdisziplinär erarbeitete erste „Kommunale Konzept zur Minderung des Straßenverkehrslärms“ der heutigen Lärmaktionsplanung gegenüber. Seither sei das Bewusstsein für Lärm viel stärker ausgeprägt, so Heinrichs, jedoch seien noch viele belästigte Menschen nicht von der Lärmkartierung erfasst. Nur zwölf Prozent der lärmkartieren Gemeinden meldeten überhaupt konkrete Maßnahmen. Heinrichs erkennt eine Handlungslücke zwischen Kartierung und Aktionsplanung, die im Sinne der von Lärm betroffenen Menschen zu schließen sei.
Heinrichs spannte den verkehrsgeschichtlichen Blick vom „Leber-Plan“ der 1960er-Jahre mit „Freie Fahrt dem Pkw!“ und Plänen zu „Tempo 60“ auf Hauptverkehrsstraßen über erste kritische Stimmen in den 70er-Jahren bis in die Gegenwart. Sie ist gekennzeichnet von der Entwicklung von Tempo-30-Abschnitten und unklare Zustände bei deren Ausweisung als Lärmminderungsmaßnahme.
Auch das autonome Fahren wurde bereits früh diskutiert, wie ein Entwurf von VW zu „computergesteuerten Kolonnenfahren“ auf Autobahnen von 1988 zeigt. Heute ist die Serienreife am Horizont erkennbar. Mit der damit einhergehenden Verflüssigung des Verkehrs seien jedoch auch neue Probleme in Städten zu erwarten, so Heinrichs. Die Kapazität der Straßen steige, was zu einer höheren Verkehrsmenge und mehr Verkehrslärm führen könne.
Zur Entwicklung der Lärmminderung an Zügen, Flugzeugen und Straßenfahrzeugen referierten Markus Hecht von der TU Berlin sowie Thomas Myck vom Umweltbundesamt und Heinz Steven (Datenanalysen und Gutachten, Heinsberg). Ihr Resümee: In den zurückliegenden 25 Jahren ist es zu Verbesserungen im Lärmschutz an Schienen, Straßen und Flughäfen gekommen, jedoch sind jeweils noch weitere Entwicklungen bei der Lärmminderung möglich und nötig.
Margit Bonacker (Konsalt, Hamburg) stellte fest, dass das Thema Lärm in den vergangenen 25 Jahren auch bei Verwaltung und Politik zunehmend in den Fokus gerückt sei. „Kommunikation und Beteiligung an der Planung haben an Bedeutung zugenommen“, so Bonacker, und „sind heute in der Stadtplanung unverzichtbar“.
Sebastian Eggers / Oliver Riek
Die Autoren
Sebastian Eggers und Oliver Riek sind Mitarbeiter des Beratungsbüros Lärmkontor (Hamburg), das sich mit dem Schutz vor Lärm, mit Luftschadstoffen, Staubbelastungen, Lichtimmissionen, Gerüchen, Erschütterungen und mit der Bau- und Raumakustik befasst