Viele Kommunen und Stadtplaner suchen nach Lösungen, um Neubaugebiete klimaneutral und kostengünstig mit Strom, Wärme und Mobilität zu versorgen. In diesem Beitrag werden sieben Schritte erläutert, mit denen das Energiekonzept für ein klimaneutrales Neubaugebiets erstellt wird.
Teil 1: Der erste Teil des Beitrags zeigt am Beispiel Freiburg-Dietenbach, wie die klimaneutrale Energieversorgung für einen neuen Stadtteil mit 15.000 Menschen gelingen kann weiterlesen
1. Ermittlung des Strom- und Wärmebedarfs
Voraussetzung für eine klimaneutrale Energieversorgung auf Basis von örtlichen regenerativen Energiequellen ist ein möglichst hoher Effizienzstandard der Gebäude. Gesetzlich vorgeschrieben ist für Neubauten der Effizienzstandard der Energieeinsparverordnung (EnEV) mit Stand 2016.
Der Strombedarf der künftigen Haushalte und Unternehmen wird in der Regel auf Basis von statistischen Verbrauchswerten pro Quadratmeter oder pro Wohneinheit abgeschätzt. Der Wärmestrom, den die Wärmepumpen benötigen, kann erst zu einem späteren Zeitpunkt ermittelt werden. Der Ladestrombedarf für die Ladesäulen kann aktuell mangels Datenbasis nur grob abgeschätzt werden.
2. Auswahl und Dimensionierung der Wärmequellen
Steht der Wärmebedarf fest, kann ermittelt werden, welche Wärmequellen in dem Neubaugebiet genutzt werden können, und welchen Ertrag und welche Entzugsleistung diese bereitstellen.
Drei Arten von Wärmequellen können untersucht werden:
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natürliche Umweltwärmequellen (solare Strahlungswärme sowie die Wärme der Luft)
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natürliche geo-hydrologische Wärmequellen (oberflächennahes Erdreich, Grundwasser sowie Oberflächengewässer)
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technische Wärmequellen (Abwärme von Abwasserkanälen sowie Abwärme von Kühlanlagen und von Gewerbeunternehmen)
Die natürliche Umweltwärme kann in jedem Neubaugebiet gewonnen werden. Für die Gewinnung werden entweder eigenständige solarthermische Absorber oder sogenannte fotovoltaisch-thermischen Kollektoren (PVT) genutzt.
Der Nachteil von natürlicher Umweltwärme ist, dass sie im Sommer im Überschuss und im Winter nicht in dem erforderlichen Umfang zur Verfügung steht. Daher sind saisonale Wärmespeicher oder weitere Wärmequellen erforderlich, um den Wärmebedarf ganzjährig zu decken.
Erdwärme wird durch Erdsonden oder Grabenkollektoren gewonnen. Ist Grundwasser verfügbar, kann dieses über Brunnen genutzt werden. Das Grundwasser wird dabei über einen Quellbrunnen gefördert, um 3 bis 5 Kelvin abgekühlt und über einen Schüttbrunnen wieder ins Erdreich zurückgegeben.
Der Vorteil von geo-hydrologischen Wärmequellen ist, dass sie ganzjährig Wärme mit einem relativ hohen Temperaturniveau von etwa 10 Grad Celsius zur Verfügung stellen. Sind geo-hydrologische Wärmequellen mit einer ausreichenden Leistung verfügbar, werden daher in der Regel keine weiteren Wärmequellen oder saisonale Wärmespeicher benötigt.
Das Wärmepotenzial kann zwar durch Gutachten abgeschätzt werden, vor einer Investitionsentscheidung muss allerdings in der Regel eine Probebohrung durchgeführt werden, um verlässliche Leistungswerte zu erhalten.
Der Vorteil von Abwasserkanälen sowie von Abwärme aus technischen Anlagen (Industrie- und Gewerbeunternehmen) ist die ganzjährig hohe Verfügbarkeit mit einem gleichbleibend hohen Temperaturniveau.
Für das Energiekonzept des Neubaugebiets müssen von jeder lokal verfügbaren Wärmequelle sowohl die Entzugsleistung, also die Wärmeleistung, die durch die Abkühlung der Quelle gewonnen werden kann, wie auch der Wärmeertrag im Jahresverlauf ermittelt werden.
Den Ergebnissen werden die erforderliche Heizlast sowie der Wärmebedarf der Gebäude gegenübergestellt. Auf Basis der Erzeugungskosten können die Wärmequellen ausgewählt werden, die am kostengünstigsten die erforderliche Leistung und den Wärmebedarf decken.
3. Dimensionierung von Wärmenetz und -speicher
Natürliche Umweltwärmequellen können häufig in den Gebäuden direkt genutzt werden. Geo-hydrologische und technische Wärmequellen hingegen befinden sich in der Regel an unterschiedlichen Orten. Die Wärme muss daher über ein kaltes Nahwärmnetz eingesammelt und an die Gebäude verteilt werden. Aufgrund der niedrigen Temperatur der Wärme kann auf eine Isolierung des Netzes verzichtet werden. Im Winter dient das Wärmenetz sogar als zusätzlicher Wärmekollektor. Bei der Netzplanung ist dabei zu empfehlen, die Nahwärmeleitungen unter der Straße zu verlegen. Denn durch den Absorbereffekt des schwarzen Straßenbelags gewinnt das Netz auch über die Straße zusätzliche Umweltwärme.
Die Dimensionierung des Wärmenetzes ist von der Topografie des Geländes, der Leistung der Wärmequellen sowie der erforderlichen Heizleistung der Gebäude abhängig. Hydraulisch gut ausgelegt, benötigt das Wärmenetz keine Umwälzpumpen.
4. Dimensionierung der Heizungsanlage
In den Gebäuden nutzen Wärmepumpen die kalte Nahwärme (10 °C), um daraus Heizwasser (30 °C) und Warmwasser (ca. 60 °C) zu erzeugen. Bei Einfamilienhäusern wird hierfür in der Regel eine Wärmepumpe eingesetzt, die Heizwasser und Warmwasser gleichermaßen bereitstellt.
Bei Mehrfamilienhäusern gibt es drei verschiedene Konzepte:
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Eine zentrale Wärmepumpe erzeugt gleichermaßen Heizwasser und Warmwasser, das über zwei separate Leitungen an die Wohnungen geliefert wird. Die Leitungen müssen isoliert werden und weisen je nach Betriebsart hohe Wärmeverluste auf.
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Eine zentrale Wärmepumpe erzeugt nur das Heizwasser, das über eine Leitungen an die Wohnungen geliefert wird. Dort nutzt eine spezielle Wohnungswärmepumpe das Heizwaser, um bedarfsgerecht das Warmwasser bereit zustellen. Die Wärmeverluste im Gebäude sind entsprechend geringer.
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Die Kalte Nahwärme (ca. 10 °C) wird über eine in Gebäuden gegen Schwitzwasser isolierte Leitung direkt in die Wohnungen geliefert. Dort nutzt eine Wohnungswärmepumpe die Nahwärme, um daraus bedarfsgerecht Heizwasser und Warmwasser bereit zustellen. Wärmeverluste treten im Gebäude nicht mehr auf. Erwünschter Nebeneffekt dieses Systems: keine warmwasserführenden Leitungen in den Schächten und somit ein wesentlicher Beitrag zur Trinkwaserhygiene.
Bei der Dimensionierung der Heizungsanlage sollte ein möglichst großer Pufferspeicher eingeplant werden, damit die Wärmepumpen tagsüber den lokal erzeugten Sonnenstrom direkt nutzen können.
Zu empfehlen ist weiterhin, dass die Wärmepumpen nicht von den Bauherren individuell, sondern möglichst von einem Contractor ausgewählt, dimensioniert und betrieben werden. Hierdurch ist gewährleistet, dass die Wärmpumpen optimal auf das Nahwärmenetz abgestimmt sind und im Schwarm intelligent gesteuert werden können.
5. Auswahl und Dimensionierung der Stromquellen
Sind die Wärmepumpen ausgelegt, kann das Lastprofil des Wärmestroms für die Wärmepumpen berechnet werden und zusammen mit dem Stromlastprofil der Gebäudenutzer und der Ladesäulen zu einem Gesamtlastprofil aggregiert werden. Für die Bereitstellung dieses Strombedarfs muss dann der entsprechende Flächenbedarf für die Fotovoltaik-Anlagen ermittelt werden.
6. Dimensionierung des Stromnetzes und des Batteriespeichers
Basierend auf den Leistungen der Lasten und der Erzeugungsanlagen wird das Stromnetz ausgelegt und dimensioniert. Besonders vorteilhaft ist, wenn das Stromnetz in dem Neubaugebiet als Arealnetz aufgebaut werden kann. Dann befinden sich alle Lasten und Erzeugungsanlagen quasi in einer einzigen großen „Kundenanlage“.
Bei einem Arealnetz sind auch Batteriespeicher wirtschaftlich, die zum Beispiel hohe Lastspitzen, die durch Ladesäulen verursacht werden, netzverträglich abpuffern. Allerdings versuchen in der Regel die örtlichen Verteilnetzbetreiber, Arealnetzlösungen zu verhindern. Dann hat man leider nur die Wahl, die Bedingungen des Verteilnetzbetreibers zu akzeptieren oder sich auf einen längeren gerichtlichen Prozess einzustellen.
7. Geschäftsmodell und Förderung
Wer investiert in die technischen Anlagen und Netze? Wer ist für den Betrieb verantwortlich? Wer liefert Strom und Wärme? Und welche Förderungen können in Anspruch genommen werden? Diese Fragen werden im Rahmen eines Geschäftsmodells festgelegt. Dabei kann die gesamte oder Teile der Infrastruktur ausgeschrieben und an einen Contractor vergeben werden.
Es sind aber auch Beteiligungsmodelle möglich, bei denen die künftigen Gebäudeeigentümer eine Genossenschaft oder Betreibergesellschaft bilden, um auch langfristig die Hoheit über ihr „geteiltes“ Eigentum zu behalten.
Aktuell gibt es attraktive Förderprogramm, die auch für kalte Nahwärmenetze von Neubaugebieten in Anspruch genommen werden können. Bis zu 50 Prozent der Investitionskosten werden vom Staat gefördert, wenn entsprechende Voraussetzungen erfüllt werden.
Auch die Förderung der Fotovoltaikanlagen ist möglich, wenn die Anlagen durch einen Contractor betrieben werden. Damit ist die Erzeugung von Sonnenstrom vor Ort auch ohne EEG-Förderung wirtschaftlich möglich.
Der Autor
Harald Schäffler ist Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Schäffler Sinnogy in Freiburg