Die Überzeugung, dass nachhaltige Beschaffung wichtig ist, ist längst vorhanden – und doch hakt es oft in der Praxis. Woran das liegt und in welchen Bereichen man ansetzen sollte, erklärt FNR-Geschäftsführer Andreas Schütte.
Welches sind die wichtigsten Bereiche, für die das Thema nachhaltige Beschaffung in Angriff genommen werden sollte?
Andreas Schütte: Umweltfreundliche und faire Beschaffung ist eine ganz entscheidende Stellschraube für Kommunen bei der Erreichung von Klimaschutzzielen. Sie ist und sollte allumfassend sein: Dazu gehört der Einkauf von Büroartikeln, ebenso gehören dazu Liefer- und Dienstleistungen bis hin zu Bauleistungen inklusive der Energieversorgung. Den mit Abstand stärksten klimawirksamen Hebel hat dabei ganz klar der Bereich Bauen und Sanieren. CO22-Emissionen aus Neubauten und laufender Gebäudenutzung sind aktuell für 40 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich.
Wo kann, wo sollte man im Gebäudebereich ansetzen?
Schütte: Um hier eine Wende herbeizuführen, kommt es besonders auf die Städte und Landkreise an. Mit rund 40.000 Schulen, 50.000 Kindergärten, 176.000 Verwaltungsgebäuden und Tausenden Wohnungen gehören sie zu den größten öffentlichen Gebäudebesitzern. Bauen mit Holz und anderen nachwachsenden Rohstoffen ermöglicht Kommunen bedarfsgerechte, klimabewusste und zukunftsorientierte Lösungen.
Wie sieht es mit der nachhaltigen Wärme- und Energieversorgung aus?
Schütte: Auch sie ist natürlich hochaktuell – idealerweise als intelligente Kombination verschiedener erneuerbarer Energien im Sinne einer größtmöglichen Unabhängigkeit. Das ist aber immer noch nicht alles: Weitere wichtige Handlungsfelder bei der nachhaltigen Beschaffung sind Büro und Verwaltung, Mobilität sowie Veranstaltungen. All dies erfordert neue Herangehensweisen bei der Planung und Vergabe solcher Projekte. Neuorientierung und Qualifizierung sind unerlässlich.
Was hindert kommunale Akteure daran, nachhaltig einzukaufen?
Schütte: Eine Studie der Universität Würzburg zum nachhaltigen Beschaffungsverhalten, unter anderem in Kommunen, hat 2022 gezeigt: Neben Vorbehalten hinsichtlich der oft, aber nicht immer höheren Preise von nachhaltigen Produkten gibt es Unsicherheiten beim Verfahren. Beschafferinnen und Beschaffer wünschen sich eine stärkere Unterstützung durch Vorgesetzte und höhere Verwaltungsebenen – zum Beispiel in Form von Leitlinien oder eindeutigen Verwaltungsvorschriften. Das würde dabei helfen, Nachhaltigkeitskriterien zielgerichtet und standardisiert in immer komplexere Beschaffungsvorgänge integrieren zu können.
Bedeutet nachhaltige Beschaffung einen Mehraufwand für kommunale Akteure, weil sie sich unter anderem mit Qualitätssiegeln, Lieferketten oder Refurbishing auseinandersetzen und sich informieren müssen?
Schütte: Die Recherche von nachhaltigen Produktalternativen und entsprechenden Anbieterunternehmen stellt durchaus einen zusätzlichen Aufwand dar, der zeitlich und personell eingeplant werden sollte. Gütezeichen geben dabei eine wichtige Orientierungshilfe. Wenn sie bestimmte vergaberechtliche Anforderungen erfüllen, können sie direkt als Qualitätsnachweis für Umweltstandards in Ausschreibungen genutzt werden. Verschiedene Datenbanken bieten Übersichten zu geeigneten Zeichen in den verschiedenen Warengruppen, zum Beispiel „Umweltzeichen Kompakt“ der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe oder der Gütezeichen-Finder auf dem „Kompass Nachhaltigkeit“ der GIZ. Elektronische Beschaffungssysteme erleichtern den Einkauf und sorgen für Transparenz, wenn sie Nachhaltigkeitskenngrößen erfassen, etwa auch zu nachhaltigen Lieferketten von Produkten.
Was ist zielführend: Wie sollen sich Kommunen aufstellen?
Schütte: Am Anfang sollte eine Vision in Form einer politischen Grundsatzentscheidung für den nachhaltigen Einkauf stehen. Sie muss sich in der Einrichtung einer zuständigen Stelle in der Verwaltung sowie in verbindlichen Beschaffungsleitlinien widerspiegeln. Zudem sollten andere Methoden für die Wirtschaftlichkeitsberechnung zum Tragen kommen, etwa durch die Gewichtung von ökologischen und sozialen Qualitätskriterien wie Lebenszykluskosten, CO2 -Schattenpreisen oder die Heranziehung von entsprechenden Gütezeichen.
Es sollte also nicht nur um die unmittelbaren Kosten gehen?
Schütte: Ja, der Angebotspreis allein sollte nicht mehr das wirtschaftlichste Angebot definieren. Kommunikation ist in diesem Umstellungsprozess das A und O – und die Akzeptanz innerhalb der Belegschaft für nachhaltigen Einkauf sollte durch Informations- und Fortbildungsmaßnahmen gefördert und begleitet werden.
Auch wenn noch Luft nach oben ist – im Bereich der nachhaltigen Beschaffung hat sich viel getan. Gibt es Beispiele, die Sie gern als Vorbilder empfehlen?
Schütte: Zum Beispiel die Stadt Ludwigsburg. Sie hat grundsätzlich eine dezentral organisierte Beschaffungsstruktur, in der verschiedene Einheiten der Stadtverwaltung eigenständig die benötigten Materialien einkaufen. 2019 wurde zudem eine zentrale Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung eingerichtet, die als Ansprechpartner für die rund 200 dezentralen Beschaffenden dient und bei der Recherche von nachhaltigen Produktalternativen und der Erstellung von Ausschreibungen unterstützt. Oder Hamburg: Der Senat hat 2016 einen Leitfaden zur umweltverträglichen Beschaffung beschlossen und fortlaufend aktualisiert.
Inwiefern hilft das?
Schütte: Der Leitfaden legt klare Standards für den Kauf von Waren und die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen fest. Eine Negativliste definiert zudem Produkte, die die Stadt nicht mehr beschaffen darf. Das sind aber nur zwei Beispiele von vielen: Aktuell ist deutschlandweit eine kommunale Bewegung für mehr nachhaltige Beschaffung im Gange.
Interview: Sabine Schmidt
Zur Person
Dr.-Ing. Andreas Schütte ist Geschäftsführer der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR). Die FNR betreut im Auftrag verschiedener Bundesministerien Programme für Klimaschutz und Nachhaltigkeit und bietet unter anderem eine Fachinformation zur nachhaltigen Beschaffung.