Neubauten verbrauchen enorm viele Ressourcen – und die werden knapp. Am Fraunhofer-Institut für Bauphysik werden deshalb neue Stoffe und Wiederverwertungsverfahren entwickelt. Volker Thome erklärt, worum es geht.
Ihre Abteilung befasst sich mit mineralischen Werkstoffen und mit Baustoffrecycling. Was genau tun Sie?
Volker Thome: Eine unserer beiden Forschungsgruppen entwickelt neue, recycelbare Baustoffe. Die andere Gruppe entwickelt Recyclingverfahren, um Bauschutt aufzubereiten und ihn wiederzuverwenden, vor allem Altbeton, aber auch Ziegel und gipshaltige Stoffe.
Was ist die Motivation hinter dieser Arbeit?
Thome: Uns geht es um nachhaltiges Bauen und um Kreisläufe. Denn die Bauwirtschaft ist einer der größten CO2-Produzenten, 20 Millionen Tonnen CO2 werden jährlich in Deutschland allein durch die Zementwirtschaft produziert. Zudem werden die Ressourcen knapp.
Wenn etwas in großer Menge vorhanden ist, heißt es: Das gibt es wie „Sand am Meer“ – führt die Sprache uns in die Irre?
Thome: Inzwischen ist das so. Noch gibt es zwar Sand vor allem im Norden Deutschlands und im Süden viel Kies. Deutschland ist besser aufgestellt als etwa Dubai, eine Stadt, die zwar von Sand umgeben ist, ihn aber nicht für die Bauwirtschaft nutzen kann, weil er zu klein und zu rund ist: Ausgerechnet Dubai muss Bausand importieren, meist aus Australien. Aber auch bei uns wird Sand knapp. Oder Kies: Die Erschließung neuer Kiesgruben wird zum Beispiel oft von Bürgerinitiativen blockiert.
Warum werden Sand und Kies knapp, wenn sie in riesigen Mengen vorkommen?
Thome: Das liegt am unglaublich hohen Verbrauch. Weltweit werden 50 Milliarden Tonnen Sand und Kies pro Jahr verbaut, das heißt zum Beispiel, dass jeder Mensch täglich 18 Kilogramm Sand verbraucht. Oder aber auch Gips: 2030 sollen die letzten Kohlekraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden, und wir wissen jetzt schon, dass uns dann sechs Millionen Tonnen Gips pro Jahr fehlen werden. Es führt kein Weg daran vorbei: Wir brauchen neue, wiederverwertbare Stoffe, und wir müssen vorhandenes Material aufbereiten. Allein in Deutschland sind rund 28 Milliarden Tonnen Baumaterial verbaut, in denen Kies und Sand enthalten sind.
Beton wird doch bereits recycelt.
Thome: Bei der Aufbereitung sehen wir aber großes Verbesserungspotential. Altbeton wird bis jetzt in der Regel mechanisch zertrümmert, und am Ende bleibt die Qualität der Sekundärstoffe hinter der Qualität etwa von gewaschenem Kies zurück. Man darf aktuell bei der Herstellung von Normalbeton mit der Druckfestigkeitsklasse C35/45 auch nur 40 Prozent Altbeton zumischen, und man darf damit etwa keine Staudämme bauen – für solche Bauten wird hochfester Beton benötigt.
Sie forschen an neuen Verfahren – welche Ergebnisse haben Sie bis jetzt erzielen können?
Thome: Sehr gute: Unser sekundärer Kies zum Beispiel hat die gleichen Eigenschaften wie gewaschener Kies. Oder unser Projekt „BauCycle“: Hier geht es darum, Bauschutt aufzubereiten. Ziel ist es, Partikel mineralischer Bauabfälle wiederzuverwerten, die größer als ein Millimeter sind, und aus dem Sand-Kies-Gemisch einen nachhaltigen Wertstoff zu generieren.
Warum geht es um solch winzige Teile?
Thome: In Deutschland fallen jährlich fünf Millionen Tonnen dieser Bauschutt-Feinfraktionen an, aber niemand will das haben. Zum einen, weil diese Teilchen unterschiedlich zusammengesetzt sind – in Bayern ist mehr Ziegel drin, in Baden-Württemberg mehr Beton, im Norden mehr Kalksandstein. Zum anderen enthalten sie zehn Prozent Gips: Wenn ein Stoff mehr als fünf Prozent enthält, nimmt das niemand ab, weil dies zu Schädigungsreaktionen im Recyclingbaustoff führen kann.
Wie kommen Sie ins Spiel?
Thome: Wir haben eine Bauschuttsortieranlage entwickelt, die Bauschuttsplitter in einer Größe zwischen zwei und 80 Millimetern sortenrein auseinanderdividieren kann: in die Hauptbestandteile Beton, Ziegel, Kalksandstein und Gips. Für diese Sortierung haben wir auch ein Verfahren entwickelt, „Ensuba“: Es geht um die Entsulfatisierung von Bauschutt aus den winzigen Teilen, das heißt um die Entfernung von Gips. Statt unbehandelt auf der Deponie zu landen und das Grundwasser zu gefährden, kann Bauschutt einfacher aufbereitet und etwa Flüssigdünger für die Landwirtschaft und Ersatzrohstoffe für die Zementindustrie erhalten werden. Die Deponierung der Feinfraktionen kann damit vermieden werden.
Warum werden Ihre Forschungsergebnisse nicht in der Praxis angewendet?
Thome: Wir haben bisher im Labor gearbeitet und wollen jetzt mit einer Beton-aufbereitungsanlage in die Praxis. Dafür suchen wir aber noch einen Investor. Es gibt eine große Nachfrage nach Anlagen – aber es ist schwierig, jemanden zu finden, der bereit ist, noch in der Entwicklungsphase einzusteigen, also den Weg vom Labor in die Praxis zu begleiten.
Wie sehen Ihre nächsten Pläne aus?
Thome: Wir wollen eine Betonaufbereitungsanlage bei einem Transportbetonwerk aufstellen. Zum Beispiel könnten dann Straßenbauunternehmen dort ihren Altbeton abgeben: Sie müssten nicht zur Deponie fahren, könnten Deponiekosten sparen, und Deponiefläche würde geschont. Das Transportunternehmen wiederum könnte der Betonaufbereitungsanlage Sand und Kies entnehmen und den getrockneten Schlamm als Zementersatzstoff ins Zementwerk liefern.
Hält sich die Bauwirtschaft „nur“ wegen des Investitionsrisikos zurück?
Thome: Deshalb – und wegen der Rahmenbedingungen. Es fehlt das Bewusstsein dafür, wie viele Ressourcen die Bauwirtschaft verbraucht und wie viel CO2 sie produziert. Recyceltem Baumaterial haftet zudem – anders als etwa recyceltem Glas – der Makel des minderwertigen Abfalls an: Man will seinen Neubau nicht mit dem Bauschutt des Nachbarn errichten. Hier fehlt Information, insbesondere darüber, dass man Beton und Bauschutt recyceln und daraus hochwertige Sekundärrohstoffe gewinnen kann.
Ist Öffentlichkeitsarbeit also die dringlichste Aufgabe?
Thome: Sie ist sehr wichtig – außerdem sehe ich die Politik und die Kommunen in der Pflicht. Solange die Deponierung von Bauschutt im Ausland günstiger ist als Wiederverwertung, ist es schwierig, neue Verfahren auf den Markt zu bringen – hier müsste ein Belohnungssystem eingeführt werden. Zudem kommen bei Ausschreibungen oft veraltete Vorlagen zum Einsatz, die noch nicht einen Recyclinganteil einfordern, obwohl er tatsächlich Standard sein sollte. Es wäre wichtig, dass Kommunen mit aktualisierten Vorlagen arbeiten. Das alles wären wichtige Schritte in Richtung nachhaltiges Bauen – und das müsste zügig geschehen, denn die Zeit drängt.
Interview: Sabine Schmidt
Zur Person: Dr. Volker Thome leitet die Abteilung Mineralische Werkstoffe und Baustoffrecycling am Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP in Holzkirchen.