Nachfrageorientierte Mobilitätsangebote lassen sich mit dem Slogan „Weniger Fahrplan, mehr Flexibilität“ umschreiben. Die Idee, mit diesem Modell den Öffentlichen Personennahverkehr zu ergänzen, ist zwar nicht neu, aber die Digitalisierung hat die Planung des Mobility-on-Demand erheblich vereinfacht.
Fahrpläne, Liniennetzpläne, Tarifzonenpläne, Haltestellenpläne prägen den Öffentlichen Personennahverkehr. Für den ÖPNV sind sie zentraler Baustein, wenn nicht sogar wichtigster Erfolgsfaktor, denn sie bündeln die Nachfrage zeitlich, streckenweise sowie in Großfahrzeugen und machen ein öffentliches Nahverkehrsangebot überhaupt erst rentabel.
Gleichzeitig wird der ÖPNV durch diese Pläne zu einem starren Angebot, das weder zeitlich, geografisch noch hinsichtlich der Kapazität flexibel auf Nachfrage reagieren kann. Die Pläne sind somit größte Stärke und Schwäche zugleich. Denn Mobilitätsnutzer sind anspruchsvoll – und das nicht erst seit heute. Bedient das Mobilitätsangebot nicht die individuellen Bedürfnisse, steigen viele auf den Pkw um und der ÖPNV ist keine Alternative mehr. Das betrifft insbesondere ländliche Räume, aber auch Stadtrandlagen und zu gewissen Tageszeiten sogar Stadtzentren.
Was wäre also, wenn man auf Fahr- und Haltestellenpläne verzichten würde? Wenn es gelingen würde, ein spontanes ÖPNV-Angebot bereitzustellen, das kurzfristig Mobilitätsanfragen optimal bündelt und sich nicht an einen Linienplan halten muss? Klingt wie Zukunftsmusik? Ist es aber nicht.
Mobility-on-Demand lautet das Patentrezept für mehr Flexibilität und weniger Fahrpläne im ÖPNV. Neu ist die Idee allerdings nicht. In Prä-Digitalisierungszeiten war sie als Rufbus oder Anrufsammeltaxi bekannt und hatte einen simplen Ansatz: In Zeiten, in denen kein ÖPNV-Angebot bereitgestellt werden konnte, wurden auf Nachfrage kleinere Busse oder größere Taxis zur Verfügung gestellt. Die Angebotsdisposition, das heißt das Bündeln der verschiedenen Nachfragen, fand auf dem Papier statt. Für den Nutzer hatte das lange Wartezeiten, für den Disponenten einen enormen Aufwand zur Folge. Darüber hinaus waren keine kurzfristigen Anpassungen möglich.
Heute funktioniert Mobility-on-Demand in kürzester Zeit und ohne großen Planungsaufwand. Über eine App gibt der Fahrgast den Fahrtenwunsch bekannt, im Hintergrund kombiniert und bündelt ein Algorithmus die aktuellen Anfragen optimal, sodass der Fahrgast sich die Fahrt mit weiteren Personen teilt. Diese sitzen vielleicht schon im Fahrzeug, steigen noch während der Fahrt zu oder aus. Der On-Demand-Bus fährt daher nicht den kürzesten, sondern den optimalen Weg aus Gesamtnachfrageperspektive.
Integrierte Angebote unterstützen die Mobilitätswende
Zu unterscheiden ist zwischen privatwirtschaftlichen und öffentlichen Betreibermodellen (und allen Variationen dazwischen) sowie zwischen temporärer Ergänzung (z. B. zu bestimmten Tageszeiten) und ständigem Komplement (z. B. in weniger dicht besiedelten Räumen mit niedrigem traditionellem ÖPNV-Angebot).
Das bekannteste Beispiel für Mobility-on-Demand ist wohl MOIA in Hamburg. Das Angebot ist ein Angebot neben dem ÖPNV, ist aber nicht in diesen integriert. Ebenfalls in Hamburg zeigt der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) gemeinsam mit der DB-Tochter Ioki ein alternatives Betreibermodell auf. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) fahren in Kooperation mit Viavan ein ähnliches Modell mit dem Berlkönig. Auch hier ist das Verkehrsunternehmen selbst Anbieter, statt das Feld privaten Anbietern zu überlassen.
Welches Angebot im direkten Vergleich überzeugt, kann erst mit etwas zeitlichem Abstand beurteilt werden. Studien zur Mobility-on-Demand-Nutzung in den USA zeigen jedoch, dass nicht-integrierte Angebote häufig zu einer Konkurrenz des ÖPNV werden. Die Nutzung bestehender Angebote wie Bus und Bahn geht zurück, die Auswirkungen auf Autofahrer sind hingegen gering. Soll jedoch das Verkehrssystem einer Region als Gesamtes verändert und die Mobilitätswende vorangetrieben werden, ist es nachteilig, wenn die Verkehrsverlagerung (Modal Shift) vom ÖPNV wegführt.
Mobility-on-Demand ist kein Konzept, das nur für Großstädte geeignet ist. Auch für Kommunen im ländlichen Raum und Kleinstädte kann so die Versorgung der Region mit Mobilität sichergestellt werden. Im rheinland-pfälzischen Wittlich verkehren seit 2018 Shuttles, die das ÖPNV-Angebot ergänzen. Aber: Je kleiner eine Stadt, desto wichtiger wird es, das Angebot nicht sich selbst zu überlassen. Mobilität funktioniert als Gesamtkonzept, das eingebettet ist in kommunale Strategien und regionale Besonderheiten berücksichtigt.
Werbetrommel rühren – Bürger mitnehmen
Für die Mobility-on-Demand gibt es kein Standardmodell. Verkehrsunternehmen und Kommunen sollten im Planungsprozess einige wichtige Aspekte beachten. Um die notwendige Unterstützung zu sichern, sollten durchgängig die relevanten Akteure der Region einbezogen werden. Das sind auf jeden Fall die Kommune und das Verkehrsunternehmen. Darüber hinaus können das Stadtwerke oder Taxiunternehmen sein. Selbstverständlich sollten auch die Bedürfnisse der Bürger, die das Angebot nutzen sollen, erfragt werden. Denn nur wer die Nachfrage kennt, kann ein nachfrageorientiertes Angebot schaffen.
Außerdem gilt es zu klären, wo oder wann ein Shuttleservice eine sinnvolle Ergänzung zum ÖPNV ist, ohne diesen zu kannibalisieren. Dazu gehört auch die tarifliche Integration des Angebots in den ÖPNV. Die Bereitstellung des Angebots allein reicht aber nicht. Wer das neue Angebot zum Erfolg führen möchte, muss die Werbetrommel rühren, die Bürger mitnehmen, ihnen das neue Angebot vor Augen führen und ihnen die Möglichkeit geben, dieses risikoarm zu testen.
Isabella Geis
Die Autorin
Dr. Isabella Geis ist Mobilitätsexpertin beim Beratungshaus Q-Perior in München