Mehr Natur in der Stadt

Bäume, Parks und Alleen sind für das Stadtklima von herausragender Bedeutung. Zudem spielen multifunktional gestaltete Grünflächen für die Starkregenvorsorge eine zentrale Rolle. Die Entwicklung der grünen Infrastruktur erfordert die Zusammenarbeit von Stadtplanung und Gartenbauämtern.

Die allgemein steigende Wertschätzung des Stadtgrüns wird wesentlich befeuert durch die Folgen des Klimawandels und Sorge um den Erhalt der biologischen Vielfalt. Das erfolgreiche Volksbegehren „Rettet die Bienen!“ in Bayern im Frühjahr 2019 und die Initiative „Fridays for Future“ machen das deutlich. So zählen inzwischen zusätzlich zu den „klassischen“ Funktionen des städtischen Grüns die Anpassung an den Klimawandel und die Steigerung der biologischen Vielfalt in den Städten zu den selbstverständlichen Inhalten des kommunalen Grünflächenmanagements.

Nicht erst seit dem heißen und trockenen Sommer 2018 müssen wir uns ernste Gedanken um die Zukunft unserer Stadtbäume machen. Die besonderen Standortbedingungen für Bäume insbesondere im Straßenraum haben die Stadtgärtner bundesweit schon vor Jahrzehnten dazu bewogen, ihre Erfahrungen mit Baumarten und -sorten systematisch zu dokumentieren. Diese laufend fortgeschriebene Straßenbaumliste der Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz (GALK) empfiehlt für verschiedene stadttypische Standortmerkmale geeignete Bäume.

Neben dem sorgfältigen Austesten widerstandsfähiger Baumarten steht die Optimierung der Standortbedingungen im Vordergrund. Dazu zählen zum Beispiel die Bereitstellung eines langfristig ausreichenden Wurzelraums und passender Substrate. Neben der Zunahme von Schadorganismen und Krankheiten, die durch die Klimaerwärmung begünstigt werden, werden die sich häufenden Sturmereignisse eine Herausforderung der Zukunft sein. Die Aufwendungen zur Baumkontrolle und -pflege werden wachsen müssen, wenn der kommunale Baumbestand die gerichtlich geforderten Sicherheitsstandards erfüllen soll.

Künstliche Bewässerung

Dort, wo Bäume an Extremstandorten ihre Wohlfahrtswirkungen entwickeln sollen, muss man auch eine künstliche Bewässerung in Erwägung ziehen. Ein aktuelles Beispiel ist die Bebauung im Südosten des Karlsruher Stadtzentrums. Diese erhöht geführte öffentliche Wegeverbindung liegt auf ganzer Länge auf einer Tiefgarage. Die Baumreihe ist Auflage des Bebauungsplans und durch die Nutznießer des Baurechtes zu realisieren. Eine Bewässerung war wegen der Substratstärke von nur einem Meter zwingend vorgeschrieben.

Noch ist schwer absehbar, welche Rolle eine Bewässerung der städtischen Grünflächen zukünftig spielen wird. Vorrangiges Ziel wird schon aus wirtschaftlichen Gründen sein, die Vegetation den zukünftigen Klimabedingungen anzupassen. Das heißt, die meisten öffentlichen Grünflächen werden sich mit dem begnügen müssen, was vom Himmel fällt. Dazu passt die differenzierte, naturnähere Pflege, die das Gartenbauamt in Karlsruhe seit über 35 Jahren praktiziert.

Seit 1980 wurde kontinuierlich die Praxis einer differenzierten Rasen- und Wiesenpflege zu Gunsten eines stetig zunehmenden Anteils extensiverer Wiesenflächen weiterentwickelt. Der Grünzug Schmallen im Karlsruher Stadtteil Oberreut ist ein Beispiel für die extensivste Kategorie, die „Blumenwiesen“, die in der Regel zweimal, in trockenen Jahren einmal pro Jahr gemäht werden. Während in regenreichen Frühjahrsmonaten das Gras schnell Oberhand gewinnt und die Kräuterblüte weniger präsent ist, sind in trockenen Jahren höhere Wiesen in jedem Fall die bessere Alternative zum ausgedörrten Kurzschnittrasen.

Blühende Inseln bleiben stehen

Während das Abräumen des Mähgutes für die Artenvielfalt in der Regel sehr förderlich ist, könnte die günstigere Mulchmahd unter dem Gesichtspunkt der Klimaanpassung zukünftig durchaus eine Alternative sein. Hier bleibt der Wiesenschnitt bis zur Selbstkompostierung auf der Fläche und kann unter Umständen eine stärkere Austrocknung verhindern. Zur Überbrückung des Blühaspektes und des Nahrungsangebotes werden an wechselnden Stellen blühende Inseln stehengelassen, die dann erst beim nächsten Mähgang unter das Messer kommen.

Trotz der sich bei öffentlichen Ausschreibungen ergebenden regionalen Preisunterschiede ist wegen des Aufwandes für das Abräumen des Mähgutes die extensivste Pflegekategorie nicht zwangsläufig die preisgünstigste. Mit der Mulchmahd muss das Ziel, die biologische Vielfalt zu fördern, nicht aufgegeben werden – besonders, wenn es gelingt, hinreichend magere Ausgangssubstrate zu schaffen. Bei Mulchflächen ist es allerdings unvermeidbar, dass das Schnittgut vom Wind auf benachbarte Gehweg- und Straßenflächen geweht wird und dort humusbildend die Entwicklung von Wildkrautsäumen begünstigt.

Magere Ausgangssubstrate, wie sie in Karlsruhe von Natur aus vorherrschen, helfen bei der Entwicklung zu kräuterreichen Wiesen, die auch der Insektenwelt, voran den Wild- und Honigbienen, zugutekommt. Man muss jedoch etwas Geduld haben, da die Vegetation längere Zeit lückig bleibt und diese Flächen zunächst einen unfertigen Eindruck machen, was auch gelegentlich zu unzufriedenen Rückmeldungen aus der Bürgerschaft führt. In jedem Fall wird sich dieser magere, extensive Wiesentyp an die zu erwartenden Klimaveränderungen besser anpassen als der Standardrasen.

An den Standort angepasstes Saatgut

Einen besonderen Beitrag zur heimischen Artenvielfalt leistet die Verwendung von gebietsheimischem Saatgut oder Saatgut aus regionalem Vorkommen. Zwar enthält das Bundesnaturschutzgesetz diese Bestimmung explizit nur für die „freie Natur“, das heißt, die besiedelten Flächen des Innenbereichs sind davon ausgenommen, aber der Entwicklung eines naturnäheren Stadtgrüns kommt die Verwendung von autochthonem Saatgut sehr entgegen.

In der kommunalen Praxis ist die sehr verbreitete (und im Innenbereich gesetzlich uneingeschränkt weiter zulässige) Bevorzugung von Regelsaatgutmischungen der Absicht geschuldet, durch den Einsatz von Zuchtsorten den besonderen Anforderungen an Zier-, Gebrauchs-, und Strapazierrasen gerecht zu werden. Eine Annäherung an naturnähere Begrünungen bieten Regelsaatgutmischungen mit Kräuteranteil (RSM 7.1.2 Landschaftsrasen Standard mit Kräutern). Allerdings ist der Kräuteranteil mit 1,7 Prozent nicht überwältigend.

Die Alternative hierzu sind die Saatmischungen der Anbieter von Regiosaatgut. Neben reinen Kräutermischungen, die man sich auch nach eigenen Wünschen zusammenstellen lassen kann, sind dort auch Mischungen aus gebietsheimischem Saatgut für Blumenwiesen und Kräuterrasen erhältlich. Auch bestehende Wiesenflächen lassen sich mit diesem Saatgut durch Einsaat in zuvor aufgefräste Teilflächen aufwerten und sogar öffentlichkeitswirksam vermarkten wie zum Beispiel in Leipzig. Die eingebrachten Kräuter verbreiten sich bei angepasstem Mähregime in den Folgejahren in die angrenzenden Wiesenflächen.

Auf der anderen Seite ist es kein Geheimnis, dass man gerade mit der extensiven Pflege, der Reduzierung der Mähgänge und der Zulassung von Bereichen mit Spontanvegetation Gefahr läuft, invasive und expansive Arten zu fördern. Während zum Beispiel Staudenknöterich und Brombeere im sechsmal und häufiger gemähten Rasen keine Entwicklungschancen haben und unauffällig bleiben, treten sie in den ein- und zweischürigen Wiesen häufig sehr lästig auf.

Gleiches gilt für die Ausbreitung der starke Allergien auslösenden Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia), deren Bekämpfung in Karlsruhe besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ein Beispiel dafür, dass eine naturnähere Pflege nicht unbedingt den erforderlichen Pflegeaufwand reduziert.

Artenschutz gewinnt an Bedeutung

Eine weitere Leistung des Stadtgrüns, die durchaus in Konkurrenz zu anderen wichtigen Funktionen unserer Grünflächen treten kann, nimmt wesentliche Ausmaße an: der Artenschutz. In Karlsruhe hat sich in den vergangenen Jahren die zahl der hier lebenden Zaun- und Mauereidechsen stark vergrößert. Sie sind nach europäischem Recht (Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie) geschützte Arten, die sorgfältig umgesetzt werden müssen, wenn Lebensräume in Anspruch genommen werden müssen.

Mangels anderer Flächen werden öffentliche Grünanlagen dann zunehmend mit Ersatzlebensräumen für diese Arten ausgestattet. Oft besteht hier ein heftiger Konflikt, da diese Lebensräume sich nicht mit Freizeitnutzungen oder üppigen Baum- und Strauchpflanzungen vertragen und damit nicht die auch erwünschten klimaschützenden Qualitäten entwickeln können.

Eine andere Funktion, für die Grünflächen zukünftig stärker in Anspruch genommen werden müssen, ist das Regenwassermanagement. Oberflächenwasser soll, soweit seine Qualität dies zulässt, örtlich versickert werden, um auf kürzestem Wege das Grundwasser anzureichern und die kommunale Abwasserentsorgung zu entlasten. Starkregenereignisse, wie sie zu den Begleiterscheinungen des Klimawandels zählen, können in entsprechend ausgestalteten Grünflächen abgepuffert werden, ohne deren Nutzbarkeit zeitlich wesentlich einzuschränken. Etwas mehr Topografie kann ein Mehr an spielerischem Reiz bieten. In jedem Fall ist es eine planerische Herausforderung.

Gartenbauämter und Grünflächenämter, die sich die im Weißbuch „Stadtgrün“ des Bundesumweltministeriums (BMUB) geforderte integrierte Planung zum Stadtgrün wünschen, brauchen neben den Finanzmitteln auch die richtige Organisationsstruktur und Zuständigkeit, um diese Erwartungen erfüllen zu können. Die Gartenamtsleiterkonferenz hat hierzu ein Positionspapier verfasst, in dem die erforderlichen Rahmenbedingungen dargelegt sind.

Das Handlungsfeld „Grünräume qualifizieren und multifunktional gestalten“ im Weißbuch wirbt für Grünflächen, die parallel soziale, ökologische, ökonomische und technische Funktionen übernehmen können. Gartenbauämter und Grünflächenämter widmen sich dieser Aufgabe schon lange. Eine weiterhin steigende Wertschätzung des Stadtgrüns gerade wegen seiner Multifunktionalität wäre sehr willkommen.

Helmut Kern

Der Autor
Helmut Kern ist Landschaftsarchitekt in Karlsruhe und Sprecher des Arbeitskreises Stadtnatur der Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz (GALK)

Info: Stadtgrün entwickeln

Die Bedeutung des Stadtgrüns und die damit verbundenen Erwartungen sind dank der Bundesinitiative „Grün in der Stadt“ mit dem Grünbuch und Weißbuch „Stadtgrün“ des Bundesumweltministeriums (BMUB) ausführlich dargelegt. Auch die Deutsche Gartenamtsleiterkonferenz (GALK) hat hier ihre Positionen eingebracht und Ziele und Aufgaben für die Zukunft formuliert. Ebenso beschäftigt sich die Veröffentlichung „Urbane grüne Infrastruktur“ des Bundesamtes für Naturschutz ausführlich mit den vielseitigen Funktionen und Leistungen des Stadtgrüns.

Das Bündnis Kommunen für biologische Vielfalt verleiht das Label „Stadtgrün – naturnah“. Die teilnehmenden Kommunen werden bei der Einführung und Entwicklung eines ökologischen Grünflächenmanagements unterstützt. Das Label bewertet mit einem differenzierten Kriterienkatalog sowohl die Grünflächenunterhaltung, die Interaktionen mit den Bürgern als auch die Planungen und Zielsetzungen und nimmt so die heute erwarteten Leistungsmerkmale des Stadtgrüns besonders in den Fokus.