Die Stadt Aachen betreibt ein umfangreiches betriebliches Gesundheitsmanagement. Zentrale Merkmale sind die Vernetzung mit internen und externen Akteuren sowie die regelmäßige Aktualisierung kurz- und mittelfristiger Ziele und Projekte, wie Dr. Markus Kremer, Beigeordneter für Personal, erläutert.
Herr Kremer, der Krankenstand in der öffentlichen Verwaltung ist höher als in der freien Wirtschaft. Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?
Kremer: Ein wesentlicher Unterschied zu vielen anderen Unternehmen ist eine hohe Diversität von Berufsgruppen. Hier ist es naturgemäß schwieriger und komplexer, die richtigen Instrumente einzusetzen. Die Stadt Aachen beschäftigt rund 5600 Mitarbeitende in über 180 Berufsgruppen. Viele sind von der Problematik des Fachkräftemangels und des demografischen Wandels sowie hohen körperlichen oder auch zunehmenden gesellschaftlichen Anforderungen geprägt. Ein weiterer Aspekt im Kontext Krankenstand könnte sich in öffentlichen Verwaltungen aufgrund einer höheren Arbeitsplatzsicherheit ergeben. Möglicherweise traut man sich dort, wo mehr Arbeitsplatzsicherheit herrscht, eher mal krank zu sein. Insofern kann man trefflich darüber streiten, welchen Aussagewert die Fehlzeitenquote oder auch positiv ausgedrückt die Gesundheitsquote hat und welchen Aussagewert ein Vergleich innerhalb des öffentlichen Dienstes oder zwischen öffentlichem Dienst und der Privatwirtschaft hat.
Neben körperlichen Beschwerden werden zunehmend psychische Belastungen diagnostiziert – die mitunter lange Ausfallzeiten der Betroffenen zur Folge haben. Wie können Arbeitgeber dieses Problem besser in den Blick bekommen?
Kremer: Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz ist ein gesetzliches Instrument, welches dazu dient, psychische Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz zu bewerten und zu beurteilen. Unsere Führungskräfte werden speziell im Umgang mit psychischen Belastungen am Arbeitsplatz unterstützt. Die Stadt Aachen legt aktuell eine „Handlungsrichtlinie für Führungskräfte zum Umgang mit psychisch auffälligen Beschäftigten am Arbeitsplatz“ auf. Dazu gehört unter anderem auch ein neues Seminarkonzept zu dem Thema, in dem Führungskräfte konkrete Hinweise zum Umgang erhalten und üben können. Der Fokus liegt hier darauf, aufmerksam für Veränderungen der Mitarbeitenden zu sein und frühzeitig auf die Kollegen zuzugehen. Darüber hinaus investiert die Stadt Aachen freiwillig seit vielen Jahren in eine sozialpsychologische Mitarbeiterberatung, die zum Beispiel bei Stress, Krisen, psychischen und chronischen Erkrankungen oder Suchtproblemen und vielen anderen Themen die Mitarbeitenden und auch die Führungskräfte berät.
Lassen sich Ihrer Wahrnehmung nach bereits bestimmte Beschwerden der Mitarbeiter in einen ursächlichen Zusammenhang mit der Digitalisierung bringen?
Kremer: Zunächst lege ich Wert auf die Feststellung, dass die Digitalisierung viele Vorteile und Arbeitserleichterungen mit sich bringen wird. Wie bei jedem Veränderungsprozess sind damit jedoch auch Belastungen sowie teilweise Unsicherheiten für die Beschäftigten verbunden. Prozesse werden neu organisiert, Technik kommt vermehrt zum Einsatz, und die Zusammenarbeit verändert sich. Um die möglichen Auswirkungen der Digitalisierung erkennen zu können, bereitet die Stadt Aachen ein wissenschaftliches Projekt gemeinsam mit der Universität Witten/Herdecke und den Kommunen Soest und Gelsenkirchen vor, welches vorbehaltlich der Landesförderung auf den Weg gebracht werden soll. Ziel des Projektes ist es, bei allen positiven Aspekten der Digitalisierung mögliche negative Auswirkungen gerade mit Blick auf die Gesundheit der Mitarbeitenden im Auge zu behalten und gegebenenfalls die entsprechenden Maßnahmen zu treffen.
Bitte umreißen Sie die Leitlinien des betrieblichen Gesundheitsmanagements der Stadtverwaltung Aachen.
Kremer: Die wichtigsten Ziele liegen in der Steigerung der Arbeitszufriedenheit und -motivation, der Förderung des Betriebsklimas und der Zusammenarbeit, der Förderung des Gesundheitsbewusstseins und dem Erhalt der Leistungsfähigkeit aller Beschäftigten. Dazu sind folgende Leitlinien hervorzuheben: Wir interessieren uns für die Gesundheit der Mitarbeitenden und richten die Arbeit der Experten im Gesundheitsmanagement danach aus. Wir haben verschiedene Zielgruppen und beteiligen sie ziel- und bedarfsorientiert. Wir haben ein multiprofessionelles Gesundheitsteam, in dem alle mit ihren Kompetenzen zum Erfolg des Gesundheitsmanagements beitragen. Wir vernetzen uns mit den wichtigen internen und externen Akteuren des Gesundheitsmanagements. Weitere kurz- und mittelfristig orientierte Ziele und Projekte werden in regelmäßigen Strategieprozessen aktualisiert.
In welcher Rolle sehen Sie die Führungskräfte im Gesundheitsmanagement?
Kremer: Führungskräfte werden als ein Impulsgeber für gesunde, zufriedene und leistungsfähige Beschäftigte verstanden. Führungskräfte verstehen sich zudem selber als solche und üben eine Vorbildfunktion auch im Umgang mit Krankheit und Gesundheit ihrer Mitarbeitenden aus. In dieser Rolle unterstützen und schulen wir unsere Führungskräfte regelmäßig.
Und welche Unterstützung erfahren die Führungskräfte ihrerseits, zum Beispiel durch ihr Team „Gesunde Verwaltung“?
Kremer: Seminare und Workshops wie „Gesunde Führungskraft – Mitarbeiter*innen gesund führen“; „Rückkehrgespräche“, „Resilienz – Umgang mit Belastungen und Ressourcen“ und „Mitarbeiter*innengespräch richtig führen“ vermitteln Grundlagen einer gesundheitsorientierten Mitarbeiterführung und dem Umgang mit sich selbst. Daneben bietet die Personalentwicklung seit vielen Jahren ein Führungsnachwuchsprogramm sowie Führungskräfteschulungen an, die ebenfalls für ein gesundes, vernetztes und mitarbeiterorientiertes Führen sensibilisieren. Wir informieren unsere Führungskräfte regelmäßig über alle Angebote der Gesundheitsförderung. Aktuell arbeitet die Stadt Aachen zudem im Rahmen eines Gesundheitsquotenprojekts an der Entwicklung eines Managementtools für Führungskräfte und an weiteren Maßnahmen, die Führungskräfte darin unterstützen, selber aktiv in ihrem Bereich kleinere Analysen zu machen, daraus Führungsverhalten abzuleiten, gegebenenfalls notwendige Veränderungen umzusetzen und Prozesse zu optimieren. Dabei stehen wir den Führungskräften natürlich mit unserem Beratungs-Know-how des multiprofessionellen Kompetenzteams Gesundheit – Arbeitsmediziner, Psychologen, Gesundheitsökonomen, Sozialarbeiter, Arbeitssicherheitsexperten – zur Seite.
Die Mitarbeiter sind stets auch aufgerufen, sich selbst um ihre Gesundheit zu kümmern, Stichwort Selbstmanagement. Kann die Stadt hier fördern?
Kremer: Ohne die Eigeninitiative und Verantwortung der Mitarbeitenden bezüglich ihrer Gesundheit kann Gesundheitsmanagement nicht funktionieren. Die Stadt Aachen unterstützt die Mitarbeitenden in diesem Selbstmanagement mit vielfältigen Gesundheitsangeboten. Kooperationen mit externen Dienstleistern, Beteiligungen an Firmenläufen, Mittagspausenvorträge zu Gesundheitsthemen und Aktionstage stellen einen Teil der Angebote dar. Im Rahmen der Gesundheitsförderung bietet das betriebliche Gesundheitsmanagement Ernährungs- und Bewegungsprogramme an, zahlreiche Entspannungs- und Bewegungskurse, aber auch ein Onlineprogramm, mit dem sich an jedem Ort flexibel üben und trainieren lässt. Insbesondere Seminare zum Thema Selbstmanagement, Resilienz – Stärkung der eigenen Ressourcen und Achtsamkeit vermitteln eigenen Handlungsspielraum. Der betriebsärztliche Dienst, den wir bei der Stadt Aachen aus Überzeugung in Eigenregie führen, bietet zudem verschiedene Vorsorge- und Präventionsuntersuchungen mit individueller Beratung sowie allgemeine Angebote wie die Grippeimpfung und die Darmkrebsvorsorge an.
Was unternehmen Sie, um ältere Mitarbeiter der Verwaltung leistungsfähig zu halten?
Kremer: Beispielsweise bietet die Stadt Aachen erneut in diesem Jahr ein Seminar „50 plus“ an, welches zum Ziel hat, die eigene Leistungsfähigkeit im höheren Alter zu erhalten und zu fördern. Alle weiteren bereits genannten Angebote der Gesundheitsförderung werden auch erfahrungsgemäß gerne von der älteren Belegschaft wahrgenommen. Dazu zählen zum Beispiel Rückenschulungen und Entspannungskurse sowie die Teilnahme an Veranstaltungen zu diversen Gesundheitsthemen. Darüber hinaus ist es natürlich Aufgabe von Führungskräften, in jährlich verbindlich stattfindenden Mitarbeitergesprächen auch diese Angebote zu kommunizieren und mögliche Bedarfe zu erkennen und diese dann gegebenenfalls mit Unterstützung der Experten umzusetzen.
Wie gestaltet sich die Weiterentwicklung des Gesundheitsmanagements? Wie können zum Beispiel die Teilnehmer ihre Erfahrungen rückmelden?
Kremer: Das Gesundheitsmanagement ist im stetigen Austausch mit externen Kooperationspartnern, zu denen auch Krankenkassen, andere Kommunen und Netzwerke des betrieblichen Gesundheitsmanagements sowie externe Dienstleister zählen, um den aktuellen und zeitgemäßen Trends und Erkenntnissen zu folgen. Im internen Geschehen besteht eine enge Vernetzung zwischen allen Gesundheitsakteuren des betrieblichen Gesundheitsmanagements, der Arbeitsmedizin, Arbeitssicherheit, sozialpsychologischen Mitarbeiterberatung und des betrieblichen Eingliederungsmanagements. In den Gesundheitsprojekten werden Befragungen durchgeführt und aus den Ergebnissen Maßnahmen abgeleitet. Insbesondere die Feedbackbögen, die am Ende einer jeden Maßnahme ausgefüllt werden, sowie das Onlinefeedback geben einen adäquaten Überblick, um die Angebote zu evaluieren.
Interview: Jörg Benzing
Zur Person: Dr. Markus Kremer (Jg. 1973) ist seit 2016 Beigeordneter für Personal, Organisation, Stadtbetrieb, Feuerwehr und Umwelt der Stadt Aachen. Er ist zudem unter anderem Mitglied des Hauptausschusses und des Verwaltungsausschusses des Kommunalen Arbeitgeberverbands Nordrhein-Westfalen (KAV NW), des Personal- und Organisationsausschusses des Städtetages NRW sowie des KGST-Gutachterausschusses Personalmanagement