Qualifizierung, Weiterbildung, Mitarbeiterzufriedenheit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf – nachhaltiges Personalmanagement in der Verwaltung hat viele Facetten. Prof. Dr. Markus Karp von der Technischen Hochschule Wildau erläutert im Interview die Bedeutung der Nachhaltigkeit im Rahmen zeitgemäßer Führung.
Herr Prof. Karp, das aus der Forstwirtschaft stammende Prinzip der Nachhaltigkeit hat das Personalmanagement erreicht. Eine Erscheinung des Zeitgeistes, oder steckt mehr dahinter?
Karp: Die Ära des Fordismus, wo ein austauschbarer Mitarbeiter einen einzelnen, möglichst simplifizierten und schematisierten Arbeitsschritt durchführt, ist vorüber. Standardisierte Tätigkeiten werden künftig durch die Maschine respektive die künstliche Intelligenz erledigt. Folglich wird Personal dort benötigt, wo kreative, abstrakte, planerische Beaufsichtigungs- und Leitungsaufgaben anfallen. Dazu nötig sind Spezialisten, die formales Weiterbildungs- und Erfahrungswissen vereinen und obendrein bestimmte Soft Skills mitbringen. Die wachsen nicht auf Bäumen, erst recht nicht in Zeiten des demografischen Wandels. Es braucht nachhaltige Personalarbeit, welche einen Horizont von zehn, 20 Jahren hat – mindestens.
Ist das gegenwärtige Personalmanagement in der Verwaltung etwa mangelhaft, weshalb nun das Qualitätskriterium der Nachhaltigkeit etabliert werden müsste?
Karp: So etwas pauschal zu behaupten, wäre grundfalsch. Es gibt viele Verwaltungen, die engagiert arbeiten an Fragen der Qualifizierung, Weiterbildung, Mitarbeiterzufriedenheit und -gesundheit, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, moderner Arbeitszeitmodelle, des Wissensmanagements beim Generationenwechsel und Ähnlichem. Das alles fällt unter die Überschrift der Nachhaltigkeit. Der Begriff ist aber so facettenreich, dass man ihm mit einem singulären Qualitätsmerkmal nicht gerecht wird. Das bedeutet nicht, dass die Nachhaltigkeit nach Gefühl gemessen werden soll. Vielmehr muss sie in ihrer Komplexität systematisch und fortwährend evaluiert werden.
Nachhaltig meint im Kern unter anderem langfristig, Betrachtung und Bewertung auf lange Sicht. Lässt sich daraus zum Beispiel eine Leitlinie für die Personalführung entwickeln?
Karp: Ja, durchaus. Orientierungspunkte geben dabei die Debatten, die in jüngerer Zeit das Wirtschaftsleben prägen. Nicht nur das Quartalsergebnis soll bedacht werden. Auch die Langfristimplikationen für das eigene Haus und dessen Umwelt spielen eine Rolle. Konkret: Helfen die Entscheidungen, die im Hier und Jetzt getroffen werden, nur im Rahmen des Haushaltsjahres, oder können sie auch in einer Dekade noch Früchte tragen? Bedeutet eine kurzfristige Problemlösung, ein potenziertes Problem in der Zukunft zu produzieren? Diese Überlegungen hätten bereits in der Epoche des neoklassischen Denkens um die Jahrtausendwende vermehrt angestellt werden müssen. Dann wäre manche personalpolitische Entscheidung, die uns heute auf die Füße fällt, anders getroffen worden.
Was meinen Sie damit genau? Bitte nennen Sie ein Beispiel.
Karp: In einer mir näher bekannten Gemeindeverwaltung hat man vor 15 Jahren die Grünflächenpflege outgesourced. Dort herrschte zum damaligen Zeitpunkt große Haushaltsnot. Damals gab es schon warnende Stimmen, dass die Auslagerung unterm Strich teurer kommen könnte als die Erbringung der Leistung im eigenen Haus. Diese Stimmen wurden aber abgetan, um Sanierungsanstrengungen vorweisen zu können. Tatsächlich kam die ganze Sache teurer als zuvor, während es gleichzeitig beim Erscheinungsbild der Grünflächen keine Verbesserungen gab. Vor allem mit dem Einsetzen der Beinahevollbeschäftigung sind die Kosten in die Höhe gegangen. Manchmal meldet sich niemand auf eine Ausschreibung. Nun wird wieder umgesteuert, es werden wieder Gärtner in der Verwaltung ausgebildet und es wird eine entsprechende Fachabteilung aufgebaut. Gute Leute zu finden, ist aber schwer; die einst in der Verwaltung vorhandene Expertise ist völlig abgerissen. Jetzt muss wieder bei Null gestartet werden mit erheblichen Problemen und Mehraufwand.
Welche weiteren Aspekte halten Sie für wesentlich, um nachhaltige Führung zu charakterisieren?
Karp: Eine zeitgemäße Leitlinie muss mehr als nur den derzeitigen und zukünftigen Input im Blick haben. Nicht nur die Kosten des Personals sind relevant. Der Output, das heißt die Aufgabenerledigung durch die Verwaltung, ist ebenfalls zu bedenken! Das gilt bei den strategischen Personalentscheidungen und der Personalplanung, aber auch für die konkrete Mitarbeiterführung. Die Mitarbeiter sind die Verwaltung, das muss ins Bewusstsein rücken. Keine austauschbare Ressource, die auf Verschleiß gefahren wird. Das „Produkt“ ist normiert, aber die Menschen, die es erbringen, machen den Unterschied. Dementsprechend muss auch hier folgende Frage die Leitlinie sein: Zeitigt das aktuelle Handeln auch in der Zukunft positive Folgen?
Führung im herkömmlichen Sinn ist ein sozusagen zweipoliges Geschehen: Hier der Führende, dort die Geführten. Welches Mitarbeiterbild liegt der nachhaltigen Führung zugrunde?
Karp: Da habe ich ja eben schon etwas vorgegriffen. Diese Frage suggeriert ein wenig, dass flache Hierarchien die Universalantwort sind. Allerdings ist die Verwaltung kein hippes Start-up, welches obendrein hinter den Kulissen oft autoritärer ist, als es den Anschein hat. Sondern die staatliche Struktur ist nach der noch immer gültigen Definition von Max Weber ein Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen. Das bedeutet: Autorität und Weisungen sind auch künftig unabdingbar. Das heißt aber nicht, dass übersteile Hierarchien nicht kritisiert werden sollten oder dass es richtig wäre, Mitarbeiter auf Weisungsempfänger zu reduzieren. Da gilt wieder die vorherige Antwort.
Und der Vorstand oder Abteilungsleiter selbst: Wie kann er sich zur nachhaltigen Führungskraft entwickeln?
Karp: Es kursieren da viele neue Rezepte. Es ist aber möglich, auch mit klassischen Werten ans Ziel zu kommen. Die Nachhaltigkeitsidee ist ja auch Jahrhunderte alt. Wichtig ist, Konflikte offen anzusprechen, auch wenn es unbequem ist, als Führungskraft unparteiisch zu sein. Weitere Aspekte sind, Fehlverhalten nicht zu relativieren, Toleranz für Eigenheiten mitzubringen, ohne gleichgültig zu werden. Klingt banal, aber wenn die Mitarbeiterschaft das Gefühl hat, dass gleiches Recht für alle gilt, ihre Leistungen, Nöte und Sorgen Beachtung finden, ist seitens der Führungskraft bereits viel für Nachhaltigkeit getan: Dann nämlich wird es wenig Wegbewerbungen geben, keine inneren Kündigungen und keinen hohen Krankenstand. Das ist nachhaltig.
Was bedeuten diese Feststellungen für den Arbeitsalltag einer Organisation konkret, zum Beispiel in den Bereichen der Kommunikation und der Zusammenarbeit? Woran lässt sich das Gelingen eines nachhaltigen Führungsstils erkennen?
Karp: Für fast jede Verwaltungsorganisation liegen die Kennzahlen ja offen. Im Rahmen des Benchmarkings lassen sich einzelne Stellen der öffentlichen Verwaltung sogar besser vergleichen als jene der Privatwirtschaft. Wo die Kennzahlen auf lange Zeit und auf breiter Front gut sind, können wir annehmen, dass die Organisation nachhaltig arbeitet. Denn ganz genau darum geht es ja im Verwaltungskontext: Nach dem Minimalprinzip, also möglichst ressourcenschonend, das leisten, was der Souverän erwartet.
Interview: Jörg Benzing
Zur Person: Dr. Markus Karp (Jg. 1966) ist Professor unter anderem für Personalmanagement in der öffentlichen Verwaltung an der Technischen Hochschule Wildau bei Berlin, Fachbereich Wirtschaft, Informatik, Recht