Müssen Kommunen künftig Millionenklagen befürchten, wenn sie Beschlüsse fassen, die internationalen Investoren nicht in den Kram passen? TTIP, das Transatlantische Freihandelsabkommen, ist im Kern so angelegt, dass das Kapital über die politische Willensbildung und die Rechtsstaatlichkeit regiert.
Kein anderes politisches Projekt ist in jüngster Zeit so kontrovers diskutiert worden wie das geplante transatlantische Freihandelsabkommen „Transatlantic Trade and Investment Partnership“, kurz TTIP. Je nach Herkunft der Diskutanten wird von einem Fanal in Bezug auf die Freiheit der Kommunen gesprochen oder auf die Gefahren des globalisierten Handels hingewiesen.
In der Kontroverse zwischen TTIP-Befürwortern und -Gegnern heißt es vereinfacht: „Mehr Arbeitsplätze und mehr Wohlstand“ versus „Chlorhühnchen und Marktradikalisierung“. Fest steht: TTIP hat, wie auch CETA, das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada, zahlreiche Vorteile, aber auch zahlreiche Nachteile. Wo man sich dabei verortet, ist jedem selbst überlassen. Dennoch gibt es in dem Abkommen (und den Verhandlungen darüber) zahlreiche Punkte, die die Kommunen zweifellos beschäftigen müssen.
Ziele des TTIP-Abkommens
Die USA und die EU verbindet eine lange Handelstradition. Aktuell exportieren die USA Waren im Wert von rund 356 Milliarden Euro in die EU (21,7 Prozent der Gesamtexporte), die EU exportiert hingegen Waren im Wert von rund 457 Milliarden Euro in die USA (19,8 Prozent der Gesamtexporte). Ein gemeinsamer Handelsraum hätte die positive Konsequenz, dass gewerbliche Standards angeglichen werden und damit behördliche Hürden reduziert werden könnten.
Kritik am TTIP – global
Besonders die im Vergleich zu Europa recht laxen Hygienestandards in der Produktion sind immer wieder Gegenstand der Kritik: In den USA werden beispielsweise nach dem Schlachten von Tieren Teile des Endproduktes in eine Chlorflüssigkeit getaucht, um sie keimfrei zu machen (Stichwort „Chlorhühnchen“). Diese Produkte werden dann regulär vertrieben.
Vor allem die mangelnde Kennzeichnungspflicht für das Herstellungsverfahren oder für die verwendete Gentechnologie ist dabei immer wieder Gegenstand der Kritik.
Besonders heikel ist die Frage, ob sich aus dem TTIP beziehungsweise dem ebenfalls aktuell verhandelten Abkommen TiSA eine Privatisierungspflicht für deutsche Gemeinden ableiten lässt. Besonders die kommunale Wasserversorgung ist dabei in das Visier von Investoren und Kritikern geraten. Sogenannte „ratchet clauses“ („Stillhalteklauseln“) sollen dafür sorgen, dass einmal getätigte Privatisierungen im öffentlichen Sektor nicht mehr einfach rückgängig gemacht werden können. Hier müssen sich die Kommunen öffentlich zur Wehr setzen, da existenzielle Versorgungsprobleme auftreten können.
TTIP und die Kommunen – konkret
Welche Auswirkungen haben diese Verhandlungen also in welchen Feldern konkret für die Kommunen? Hier lassen sich drei große Handlungsfelder identifizieren:
TTIP und der Einfluss auf kommunale Dienstleistungen – Beispiel Wasser: Im Zuge der Verhandlungen der EU mit den USA und Kanada werden sogenannte „Negativlisten“ beschrieben. Auf diesen „schwarzen Listen“ sind Dienstleistungen umrissen, die explizit nicht dem Markt geöffnet werden. Für allen anderen gilt jedoch: Stehen sie nicht auf der Liste, müssen sie dem Markt zugänglich gemacht werden.
Die Listen umfassen jeweils im Wesentlichen zwei Teile: Im ersten Teil werden gegenwärtige Vorschriften und Gesetze aufgelistet, die bereits bestehen, aber nach dem Beschluss gegen die Abkommen verstoßen würden. Maßnahmen, die nicht auf den Listen erscheinen, aber gegen das Abkommen verstoßen würden, müssen abgeschafft werden.
Das Problem besteht für die Kommunen nun darin, dass die Verhandlungsgruppe der EU nur sehr wenige Punkte von der Liberalisierung ausklammern wird, wie beispielsweise innere Sicherheit oder der Strafvollzug. Problematisch wird es, wenn dort explizit Bildung, Kunst und Kultur, aber auch Wasser und Abwasser einer Marktöffnung unterzogen werden sollen.
Hier stellt ein im Auftrag des Verbandes der kommunalen Unternehmen (VKU) in Auftrag gegebenes Gutachten klar fest, dass es als Folge der Abkommen künftig unzulässig wäre, die Wasserversorgung nur durch öffentliche Unternehmen zu organisieren. Der viel diskutierten Privatisierung der Wasserversorgung würde damit Tür und Tor geöffnet.
Öffentliche Ausschreibungen: Möchten Kommunen derzeit Aufträge vergeben, müssen sie diese öffentlich ausschreiben und sind dazu angehalten, dem wirtschaftlichsten Angebot den Zuschlag zu erteilen. Soweit die gängige Praxis. TTIP wird jedoch dafür sorgen, dass zahlreiche zusätzliche Bereich ausschreibungspflichtig würden, wie etwa Bildung und Betreuung, Kunst, Kultur und soziale Dienste. Auch hier wären die Kommunen verpflichtet, auf das „wirtschaftlichste“ Angebot zurückzugreifen. Ob an dieser Stelle dann die Qualitätsfrage noch ins Spiel gebracht werden kann, steht infrage.
Investorenschutz: Besonders problematisch wird es, wenn in dem Abkommen die Rede davon ist, dass künftig internationale Investoren Kommunen verklagen können, wenn sie sich von diesen diskriminiert fühlen. Über den Streitfall entscheidet dann keine staatliche Instanz, sprich ein Gericht, sondern ein privates Konsortium entsendeter Anwälte. Es könnte also der Umstand eintreten, dass sich deutsche Kommunen mit einer hohen Klagesumme international agierender Investoren konfrontiert sehen und dann private Anwälte über den Fall entscheiden.
Die besondere Problematik sei an einem Beispiel dargestellt: Eine Kommune plant den Bau sozial geförderter Wohnungen und fixiert entsprechende Auflagen in einem Bauleitplan/einem Bebauungsplan. Durch diese Regularien fühlt sich jedoch ein privater Investor benachteiligt und verklagt die Kommune auf Schadenersatz. Kaum eine Stadt wäre imstande, erfolgreich gegen ein internationales Konsortium aus Anwälten vorzugehen.
Was ist jetzt zu tun?
Zunächst einmal sollte gelten: Ruhe bewahren! Noch findet ein reger Diskussionsprozess statt, das Thema dringt mit Vehemenz in die Öffentlichkeit. In erster Linie sollten Kommunalpolitiker sich stets gut informiert halten. Dazu helfen die Seiten des globalisierungskritischen Netzwerks ATTAC und die des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB).
Zusätzlich ist es wichtig, einen innerparteilichen Diskurs starten, zu Infoabenden Experten einladen und gemeinsam eine Haltung zu den geplanten Abkommen zu entwickeln. Positionieren Sie sich eindeutig und vernetzen Sie sich gut. Weisen Sie immer auf die globalen Vorteile hin, diskutieren Sie aber auch leidenschaftlich die kommunalen Nachteile – und davon gibt es schließlich einige!
Benjamin Heimerl
Der Autor
Benjamin Heimerl ist Referent für Kommunikation und Konzeptentwicklung im Zentrum Bildung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und politischer Redenschreiber
Info – Fachbegriffe
TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership, deutsch: Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft) ist ein Abkommen, das die EU-Kommission seit 2013 mit den USA verhandelt. Es soll die größte Freihandelszone der Welt schaffen. Kritiker sagen, dass TTIP die Privilegien von Konzernen und Investoren absichern und ausweiten will und dazu die Souveränität der politischen Institutionen in Europa einschränkt. Die achte TTIP-Verhandlungsrunde begann am 2. Februar in Brüssel.
CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement, deutsch etwa: Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen) steht für eine geplante Freihandelszone zwischen der EU und Kanada. Die Verhandlungen zu CETA wurden Mitte 2014 abgeschlossen, der Vertragsentwurf liegt nun den EU-Mitgliedsstaaten zur Prüfung und Diskussion auf parlamentarischer Ebene vor. Nach Auffassung des Bundeswirtschaftsministeriums ist zur Annahme des Abkommens ein einstimmiger Beschluss im EU-Parlament und die Ratifizierung durch die Mitgliedsstaaten erforderlich. Bedingt durch die intensive Prüfung des Vertragsentwurfs dürfte CETA frühestens in drei Jahren in Kraft treten.
TiSA (Trade in Services Agreement, deutsch: Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen) will den Dienstleistungssektor deregulieren und Privatisierungen in großem Stil ermöglichen. Davon betroffen wäre auch der Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, also neben der Wasserversorgung etwa auch der Gesundheitssektor und die Bildung. Das Abkommen wird hinter verschlossenen Türen verhandelt. Die nächste Verhandlungsrunde beginnt am 9. Februar in Genf.