Die Digitalisierung eröffnet Möglichkeiten zur Verknüpfung von Mobilität und Daseinsvorsorge. Eine Studie hat ausgelotet, wie schulischer Unterricht auf dem Land in Zukunft aussehen kann: Die Kinder fahren nicht mehr regelmäßig in die Schule, sondern nutzen E-Learning-Angebote im Gemeindehaus.
Mobilität stellt für die meisten Menschen ein Grundbedürfnis dar, bedeutet sie doch Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung sowie neue Optionen und Möglichkeiten. Ob für Beruf, Schule oder in der Freizeit: Ständig sind wir unterwegs oder organisieren unsere Wege. Je nach den persönlichen Lebensumständen, Präferenzen und Bedürfnisse haben wir dabei unterschiedliche Anforderungen und Bedarfe. Wie Mobilität umgesetzt werden kann, bestimmt vor allem das Angebot. Deshalb gestaltet sich die Organisation von individueller Mobilität in ländlichen Regionen ungleich schwieriger als in Städten mit ihren umfassenden Infrastrukturen und breiten Angeboten des Öffentlichen Personennahverkehrs.
Es herrscht Einigkeit darüber, dass sich die Zukunft der Mobilität an den Bedürfnissen der Menschen in unterschiedlichen Räumen, aber auch an Nachhaltigkeitsgrundsätzen und am Umweltschutz orientieren muss. Um die Mobilität im Sinne der unterschiedlichen Anforderungen der Gesellschaft zu sichern, kann die Digitalisierung maßgebliche Unterstützung bieten. Vor allem die Vernetzung von Mobilitätsangeboten ermöglicht das Entstehen von Ketten, bei denen unterschiedliche motorisierte und nicht motorisierte Verkehrsträger in Anspruch genommen werden. Vernetzung bedeutet in diesem Fall, dass Nutzern alle dazu erforderlichen Informationen zugänglich sind, vor allem auch jederzeit aktuelle Daten zum Status aller Verkehrsträger. Sensortechnik und Echtzeitdaten ermöglichen auch ein deutlich effizienteres Verkehrsmanagement.
Angebote der Daseinsvorsorge weiterentwickeln
Kleine Gemeinden in ländlichen Räumen werden durch die Kosten des ÖPNV stark belastet, und gerade in abgelegenen Räumen ist die Auslastung öffentlicher Verkehrsmittel gering. Insbesondere Schüler und Senioren sind jedoch auf diese Leistungen der Daseinsvorsorge angewiesen. Digitale Unterstützung wie kurzfristig per App buchbare Rufbusse oder auch Schulbusse, die durch eine digitale Erfassung der mitfahrenden Schüler und Routenplanung Leerfahren vermeiden, werden erfolgreich erprobt. Sie zeigen das große Potenzial, das hier zur Aufrechterhaltung von Angeboten der kommunalen Daseinsvorsorge liegt. Ein Quantensprung für die Mobilitätsoptionen im ländlichen Raum ist vor allem durch das autonome Fahren absehbar.
Digitalisierung kann auch dazu beitragen, heute notwendige Mobilitätsbedürfnisse zu reduzieren. Digitale Möglichkeiten (z. B. Arbeiten im Homeoffice) machen eine physische Anwesenheit vor Ort nicht mehr in jedem Fall erforderlich und tragen so dazu bei, Verkehrsströme zu reduzieren.
Wie die Veränderung der Alltagsmobilität durch digitale Möglichkeiten konkret aussehen könnte, hat die Studie „Mobilität und Digitalisierung“ der Bertelsmann-Stiftung untersucht. Im Ergebnis liegen vier Szenarien vor, die im Zeitfenster 2027 bis 2037 Wirklichkeit werden könnten (s. Info). Eines der Modelle beschreibt die Mobilitätsbedürfnisse von Jugendlichen in ländlichen Gemeinden. Anhand des fiktiven 14-jährigen Schülers Jonas wird aufgezeigt, wie durch die Digitalisierung die Mobilitätsoptionen weiterentwickelt, unterstützt und organisiert, aber auch Mobilitätsbedürfnisse reduziert werden können.
Heute fahren viele Schüler aus ländlich gelegenen Gemeinden in die nächste Stadt oder Gemeinde in die Schule. Diese Fahrten werden oftmals als Belastung gesehen und Angebote des ÖPNV oder Mitfahrgelegenheiten reichen nicht aus, um in angemessener Zeit zur Schule und zurückzugelangen. Hinzu kommt, dass aufgrund des demografischen Wandels die Schülerzahlen vielerorts zurückgehen, mit der Folge, dass Bildungsangebote in vielen Orten nicht mehr aufrechterhalten werden können. So verlängern sich die Schulwege. Zu Einschränkungen führen zudem mögliche Einsparungen der Kommunen im Bereich der Daseinsvorsorge und Mobilität.
Kleine Schule im Gemeindehaus
Als mögliche Maßnahme wird im Szenario vorgeschlagen, in den Landgemeinden kleine Schulen zu bilden, die in die Gemeindehäuser integriert sind. Kommunikations- und Bildübertragungsmöglichkeiten ermöglichen die Nutzung von Angeboten von jedem beliebigen Ort aus, was auch neue Schul- und Unterrichtsmodelle in dünn besiedelten Gebieten ermöglichte. Entsprechende Arbeitsmodelle der Eltern wie Homeoffice und Arbeiten im Co-Working-Space unterstützen dabei.
in der kleinen Gemeindehaus-Schule im Szenario ist oft nur eine Aufsichtskraft anwesend. Viele Lehrinhalte werden per E-Learning vermittelt. Lediglich Fachunterricht mit besonderen Anforderungen, etwa die naturwissenschaftlichen Fächer, wird gebündelt weiterhin in der nächsten Kreisstadt unterrichtet. Die Mobilität dorthin lässt sich multimodal organisieren, Jonas kann flexibel und schnell per App zwischen verschiedenen verfügbaren Verkehrsmitteln wählen. So werden ihm vom digital organisierten „Fahrradschwarm“ über angebotene Mitfahrmöglichkeiten aus der Nachbarschaft bis hin zum Gemeindebus alle Optionen angezeigt, um zur Schule zu kommen. Für das Jahr 2030 geht das Szenario von umfassend online oder per App buchbaren Transport- und Verkehrsmitteln aus. Anhand von Echtzeitdaten zu Auslastung und eventuellen Verspätungen wird die bestmögliche Kombination automatisch ermittelt.
Carsten Große Starmann / Jan Knipperts
Die Autoren
Carsten Große Starmann ist Senior Project Manager bei der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh im Programm „Lebenswerte Kommune“ und leitet das Projekt „Kommunen gestalten den demografischen Wandel“, Jan Knipperts ist dort Project Manager
Info: In der Studie „Mobilität und Digitalisierung: Vier Zukunftsszenarien“ untersucht die Bertelsmann-Stiftung die vier Themengebiete „Schule 2.0 im ländlichen Raum“, Einkaufen, mobiles Arbeiten am Beispiel Pflegedienst und Virtuelles Kulturerleben. – Bezug: PDF-Download der Studie (60 S.)