Köpfchen statt Kupfer

Die Energiewende erfordert wegen der notwendigen Integration dezentraler Erneuerbare-Energien-Anlagen den Um- und Ausbau der Stromnetze. Das betrifft insbesondere die Verteilebene und damit die Stadtwerke. Ein Milliarden-Projekt. Der Einsatz „smarter“ Technologien soll hier kostendämpfend wirken.

Aktuelle Zahlen zu Investitionen in Erneuerbare-Energien-Anlagen in Deutschland verdeutlichen ebenso wie die Statistiken internationaler Agenturen: Die Energiewende ist unabhängig von den bisher beim Klimaschutz erreichten ersten Verbesserungen auch ökonomisch auf dem Weg, eine Erfolgsgeschichte zu werden. Die Nutzung von Sonne, Wind und Co. hat einen Zukunftsmarkt mit enormen Wachstumsraten eröffnet. Insgesamt 18,8 Milliarden Euro flossen im Jahr 2014 in die Errichtung von Erneuerbare-Energien-Anlagen in Deutschland. Das haben Ökonomen des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) für das Bundeswirtschaftsministerium errechnet.

Nach den Jahren des Ausbau-Booms mit Investitionssummen von bis zu 27,3 Milliarden Euro (2010) und der anschließend rückläufigen Entwicklung hat sich die Branche erholt und befindet sich wieder über dem Niveau von 2008. Deutlich zugelegt haben die Investitionen in die Windkraft – zwischen 2013 und 2014 um 5,7 Milliarden auf insgesamt 12,3 Milliarden Euro.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien setzt die Energieversorger unter Druck. Sie müssen nicht nur sehen, dass sie im attraktiven Geschäft mit der dezentralen umweltfreundlichen Erzeugung von Strom und Wärme selbst zum Zuge kommen und sich Anteile am großen Wertschöpfungspotenzial sichern. Das gilt insbesondere für die deutschen Stadtwerke. Als zusätzliche Herausforderung erweist sich für diese die Anpassung der Stromverteilnetze an die wachsenden Mengen eingespeister Energie aus Windkraft- und Fotovoltaikanlagen.

In Baden-Württemberg beispielsweise gibt es Regionen, die bis zu fünfmal mehr regenerative Erzeugungsleistung haben, als dort verbraucht wird. Damit wird die ursprüngliche Aufgabe der Verteilnetze auf den Kopf gestellt. Sie dienen nun zum „Einsammeln“ und Weiterleiten des dezentral produzierten Stroms, dessen Menge von Witterung und Tageszeit abhängt und nicht geregelt werden kann. An die Verteilnetze sind in Deutschland 97 Prozent des regenerativen Kraftwerks­parks angeschlossen, ihre Betreiber sind in aller Regel die Stadtwerke.

Sichere Versorgung

„Um den steigenden Anteil der erneuerbaren Energien ins Netz einzuspeisen und das hohe Maß an Versorgungssicherheit aufrecht zu halten, ist der umfassende Ausbau zu „intelligenten Netzen“ notwendig“, unterstrich Hans-Joachim Reck, Geschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) mit Sitz in Berlin bei der Fachmesse E-World im Februar in Essen. Diese „Smart Grids“ mit ausgeklügelten Steuerungsfunktionen, regelbaren Ortstransformatoren und intelligenten Stromzählern vernetzen Verbrauchsstellen und „erneuerbare“ Erzeugungsanlagen kommunikativ, sodass das Stromversorgungssystem auch mit stark schwankenden Einspeisemengen zurecht kommt.

Dabei geht es nicht allein um den Aspekt der Versorgungssicherheit. Die Stadtwerke haben laut Reck auch erkannt, dass sich mit „smarten“ Technologien die vorhandenen enormen Energieeffizienzpotenziale heben lassen und eine kosteneffiziente Energienutzung erst möglich wird. Kosteneffizienz hat dabei vor allem den Netzausbau im Blick. Der ist teuer. Investitionen in Höhe von mindestens 23 Milliarden Euro sind für die Ertüchtigung der Verteilnetze bis zum Jahr 2032 erforderlich. Das zumindest steht in der im Herbst vergangenen Jahres vorgestellten Verteilnetz-Studie des Bundeswirtschaftsministeriums.

Auf der Niederspannungsebene müssen zwischen 50 000 und 120 000 Kilometer Stromleitungen ausgebaut werden. Der Ausbauumfang ließe sich laut der Studie um rund 20 Prozent reduzieren, wenn nach der Devise „Köpfchen statt Kupfer“ neue Ansätze bei der Betriebsführung verfolgt und auch innovative technische Lösungen eingesetzt würden. Frank Schmidt, der Leiter des Konzerngeschäftsfelds Energie bei T-Systems und einer der Referenten auf der E-World, geht davon aus, dass die Verknüpfung von digitalen Stromzählern, sogenannter Smart Meter, mit regelbaren Erneuerbare-Energien-Anlagen die Investitionen in den Ausbau der Stromnetze um bis zu 60 Prozent senken könnte.

Die im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums 2013 erstellte Kosten-Nutzen-Analyse für intelligente Zähler und Messsysteme empfiehlt, in den kommenden Jahren an über 50 Millionen Messpunkten in Deutschland Smart Meter zu installieren. Ein kostspieliges Projekt bei einem laut einer Studie der Deutschen Energie-Agentur (Dena) geschätzten Investitionsaufwand zwischen rund 470 und 830 Millionen Euro pro eine Million Messpunkte.

Die Verteilnetzbetreiber müssen für die Smart-Meter-Investitionen in Vorleistung gehen, sehen sich aber aktuell einem aus ihrer Sicht ungünstigen Regulierungsrahmen gegenüber. Dieser lässt eine auskömmliche Rendite auf das eingesetzte Kapital nicht erwarten. Enttäuschend sind aus Sicht des VKU die Mitte März vom BMWi vorgelegten Eckpunkte zum Regulierungsrahmen für moderne Verteilnetze. Mit der sogenannten Anreizregulierung legt die Bundesnetzagentur die Höhe der Entgelte fest, über die die Verteilnetzbetreiber auch die Kosten für die Smart-Meter-Einführung refinanzieren müssen.

Friktionen befürchtet

Neben der Höhe der jeweiligen Entgelte und einem möglichst unbürokratischen Verfahren sind die Stadtwerke daran interessiert, dass die Investitionen und laufenden Kosten zeitnah zurückfließen. Doch bedeuten gerade die aktuellen Vorschläge des BMWi einen großen Zeitverzug zwischen erbrachter Investition und Kapitalrückfluss, aus Sicht des VKU die entscheidende Schwachstelle der geplanten Anreizregulierung.

Für die Stadtwerke, die den überwiegenden Teil der Verteilnetze in Deutschland betreiben, kann das Liquiditätsprobleme nach sich ziehen. Hans-Joachim Reck warnt vor Friktionen beim Netzausbau: „Wenn es bei diesen Vorschlägen bleibt, sehen wir den Um- und Ausbau der Verteilnetze und damit die Versorgungssicherheit in Gefahr.“

Wolfram Markus