Klimawandel erfordert Systemanpassung

Das Klima verändert sich, eine andere Niederschlagsverteilung wird die Folge sein. Die Abwasser­betriebe sollten sich auf mehr Starkregen im Winter und trockene Sommer einstellen. Ziel muss eine langfristige urbane Entwässerungs­strategie sein, die wirtschaftlich, ökologisch und sozial vertretbar ist.

Die Klima-Rahmenbedingungen in Deutschland wie auch in anderen Regionen der Welt werden sich ändern. Neben einer Erhöhung der mittleren Jahrestemperatur wird sich hierzulande eine Verschiebung der Niederschlagsverteilung einstellen – mit trockeneren Sommern und höheren Niederschlägen im Winter. Die für die Dimensionierung der Entwässerungssysteme maßgebenden Starkregen werden zunehmen, und somit ist mit häufigeren Überflutungen zu rechnen.

Eine pauschale Erhöhung der Bemessungsniederschläge um einen Klimafaktor erscheint nicht immer angebracht zu sein, bedenkt man die Unsicherheiten in den Aussagen der verwendeten Klimamodelle sowie die langfristigen Schwankungen im Niederschlagsverhalten. Gefordert ist vielmehr eine Abkehr von dem traditionellen Bemessungskonzept in Form von additiven Umweltschutzmaßnahmen wie der „End-of-pipe-Technologie“ hin zu flexiblen „No-regret-Maßnahmen“. Damit sind Anpassungen gemeint, die unabhängig vom Klimawandel wirtschaftlich, ökologisch und sozial vertretbar sind.

Maßstab Überflutungsgefährdung

Kritische Teile der Entwässerungssysteme, die heute schon nicht den Anforderungen entsprechen, müssen durch zunehmende Starkregenintensitäten im Zuge der regelmäßigen Sanierung angepasst werden. Das Hauptaugenmerk sollte dabei jedoch auf der Überprüfung der Überflutungsgefährdung und nicht auf dem Überstauverhalten liegen. Dazu ist eine Belastung der verwendeten Modelle mit Modellregen größerer Wiederkehrzeiten erforderlich. Das Abflussverhalten auf der Oberfläche, das heißt die Ermittlung der Fließwege, -tiefen und -geschwindigkeiten, ist darzustellen und zu bewerten.

Die langfristige Planung und Konzeption der Entwässerungssysteme über mehrere Jahrzehnte ist deutlich schwieriger. Auch wenn sich die Verantwortlichen über die Veränderungen im Niederschlagsverhalten bewusst sind, so erfolgt nicht immer auch eine Überprüfung der lokalen Situation und eine Umsetzung eventuell erforderlicher Maßnahmen in ihrem Verantwortungsbereich. Durch Phasen ohne Extremniederschläge wird das Problem verdrängt, obwohl derartige Niederschläge bedingt durch den Klimawandel mit Sicherheit wieder auftreten werden.

Für die langfristige Planung ist eine Adapationsstrategie erforderlich, die eine Dezentralisierung der Entwässerung bedeutet. Erste Ansätze in diese Richtung dazu lagen in dem Mulden-Rigolen-System, das in mehreren Städten implementiert wurde. Ebenfalls Anfang der 1990-Jahre kamen Begriffe wie Water Sensitive Urban Design, Sustainable Drainage System (SuDS), Low Impact Urban Design (LIUD) oder Low Impact Design (LID) auf.

Integrierter Planungsansatz

Allen gemeinsam ist das Konzept eines integrierten Ansatzes für die Planung und Umstellung der urbanen Entwässerung unter Berücksichtigung des lokalen Wasserkreislaufs. Dieses Konzept umfasst Gründächer, Mulden-Rigolen-Systeme, Retentionsteiche, Versickerungsteiche, Retentionsbodenfilter, Regenwasserspeicher, durchlässige Befestigungen und Feuchtgebiete. Weitere Bestandteile sind die Reduzierung des Frischwasserverbrauchs, die Nutzung von Regenwasser und Grauwasser (gering verschmutzes Abwasser ohne Fäkalien), die Reduzierung des Schmutzwasseranfalls und die Schmutzwasserbehandlung sowie die Behandlung des Niederschlagswassers. Beide Abwasserarten sollen einer weiteren Verwendung zugeführt werden. Dies schließt die Integration des Niederschlagswassers in das urbane Umfeld ein.

Alle Ansätze sehen die Abkoppelung der befestigten Flächen, die Dämpfung der anfallenden Abflüsse und die anschließende Versickerung oder Verdunstung durch Gründächer, durchlässige Befestigungen oder Retentionsbodenfilter vor. Sportplätze, Parkanlagen, Spielplätze und alle anderen Grünflächen in der Stadt sollten als Zwischenspeicher während extremer Starkregen genutzt werden. Jeder dieser Zwischenspeicher hat nur eine begrenzte Rückhaltekapazität, aber die Kombination aller dezentralen Anlagen kann den Wasserabfluss deutlich dämpfen.

Oberirdische Ableitung

Andere Ansätze gehen davon aus, dass das vorhandene Entwässerungssystem nur Niederschlagsabflüsse bis zu einer gewissen Wiederkehrzeit ableitet und alle darüber hinaus gehenden Regenwasserabflüsse gezielt oberirdisch in offenen Kanälen oder auf den Straßen unter Ausnutzung der vorhandenen Grünflächen abgeleitet werden. Die Integration des Wassers in die urbane Landschaft erhöht zudem den Wohnwert in der näheren Umgebung.

Dies setzt jedoch eine ganz andere Vorgehensweise im Denkansatz sowie in der ingenieurtechnischen Bearbeitung voraus. Hier ist nicht nur die Siedlungswasserwirtschaft gefordert, sondern es ist ein enges Zusammenspiel mit der Stadtplanung und beispielsweise Landschaftsarchitekten erforderlich, um optimale und ansprechende Lösungen zu erarbeiten.

Diese Ansätze eignen sich naturgemäß vorrangig für Neubaugebiete. Aber auch im Bestand lassen sich Lösungen finden, die die Überflutungssicherheit bei Starkregen erhöhen und kostengünstig zu realisieren sind.

Pragmatische und weitreichende Ansätze in dieser Richtung werden derzeit in China für diverse Städte geplant und umgesetzt. Um die Anforderungen der Zentralregierung an eine „Schwammstadt“ zu erfüllen, müssen im urbanen Raum 20 Milimeter Niederschlag zurückgehalten und weitgehend dem lokalen Wasserkreislauf wieder zugeführt werden.

Rückhaltevermögen ausnutzen

Eine weitere Möglichkeit besteht in der besseren Ausnutzung des im Kanalnetz vorhandenen Rückhalteraums. Eine Abflusssteuerung verbunden mit einer Vorhersage des Niederschlagsgeschehens kann zu einer Reduzierung potenzieller Schäden bei Starkregen führen, indem nicht oder nicht vollständig genutzte Netzteile als Speicher fungieren. Durch eine Vorhersage der Abflusssituation bei extremen Starkregen können die potenziellen Fließwege auf der Oberfläche und die dort auftretenden Wasserstände und Fließgeschwindigkeiten ermittelt werden und es lässt sich rechtzeitig Vorsorge treffen. Gegenüber der Verwendung im Vorfeld ermittelter Fließwege findet hier die örtlich und zeitlich unterschiedliche Niederschlagsintensität Berücksichtigung.

Bei allen Überlegungen und Konzepten ist jedoch ein Umdenken erforderlich. Die Betrachtung des Kanalnetzes allein ist nicht ausreichend. Vielmehr muss das urbane Einzugsgebiet als Gesamtheit gesehen und es müssen Lösungen für den lokalen Wasserkreislauf im Zusammenwirken mit der bestehenden Nutzung und dem Wohnumfeld geschaffen werden. Die genauere Analyse der Abflüsse auf der Oberfläche und die gezielte Schaffung von oberirdischen Ableitungswegen sind dabei unabdingbar. Der bisher verfolgte Weg der Überprüfung der Leistungsfähigkeit von Entwässerungssystemen durch Nachweis der Überstauhäufigkeit tritt dabei in den Hintergrund.

Lothar Fuchs

Der Autor
Dr. Lothar Fuchs ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für technisch-wissenschaftliche Hydrologie in Hannover