In vielen Großstädten besteht bereits ein flächendeckendes Netz an Ladesäulen für E-Fahrzeuge. Aber auch in kleineren Städten und auf dem Land kommt der Ausbau voran. Eine Schlüsselrolle bei dieser „Mobilitätswende“ spielen die Verteilnetze. Sie müssen die wachsenden Stromlasten verkraften können.
In Deutschland fuhren Ende des Jahres 2017 etwa 45.000 Elektroautos auf den Straßen. Selbst der Anstieg auf eine Million würde den Stromverbrauch nur um rund ein halbes Prozent erhöhen. Die mit einem solchen Anstieg verbundene energietechnische Herausforderung liegt bei den Netzen. So geht es zu Hause oder am Arbeitsplatz zwar „nur“ darum, ein Fahrzeug mit bescheidenen 3,7 bis 22 Kilowatt (kW) über mehrere Stunden aufzuladen. Laden jedoch viele E-Mobile etwa ab 18 Uhr gleichzeitig an der Steckdose oder Wallbox, könnte lokal das Ortsnetz in die Knie gehen.
Deutlich überschaubarer sind die Herausforderungen durch Schnellladesäulen an den Autobahnraststätten. Diese leisten aktuell schon 50 kW und sollen bis auf 350 kW kommen. Dafür können aber im Voraus angemessene Anschlüsse aus der Mittelspannung sowie Trafostationen geplant und installiert werden. Ähnliches gilt für die steigende Zahl von Anfragen für Elektroflotten aus Gewerbe, Industrie und auch Kommunen.
Wie kann man gerade den verstreuten, privaten Nutzern auch zukünftig jederzeit den komfortablen Zugang zum benötigten Ladestrom ermöglichen, ohne dass es zu Überlastungen kommt? Zunächst muss bekannt sein, welche Art von Ladestation wo errichtet wird. Die EnBW-Tochter Netze BW zum Beispiel verlangt deshalb seit Februar 2017 ab 4,6 kW Leistung eine entsprechende Mitteilung. Ab 12 kW ist – wie bei vergleichbaren Elektrogeräten – sogar vorab eine Genehmigung einzuholen. Ergänzend dazu erstellt der Verteilnetzbetreiber regelmäßig Prognosen zu den Neuanschaffungen und identifiziert mithilfe eines Analysetools regionale „Hotspots“. Dort baut er in Trafostationen spezielle Messtechnik ein, die den Netzzustand kontinuierlich überwacht. So lassen sich Engpässe frühzeitig erkennen und erforderliche Ausbaumaßnahmen anstoßen.
Tests in Kusterdingen und Ostfildern
Drohen Überlastungen, gilt es rasch handlungsfähig zu sein. So könnte ein intelligentes Lademanagement gezielt die Leistung für kurze Zeit reduzieren oder gar abschalten. Idealerweise würden sich möglichst viele E-Mobilisten ein Steuergerät einbauen lassen. Aktuell testet das Unternehmen den Einsatz eines Batteriespeichers in einem Haushalt in Kusterdingen (Landkreis Tübingen). Der bunkert in Stunden niedriger Last die für kritische Phasen benötigte Strommenge.
Anfang 2018 wurde dieser Versuch auf einen ganzen Straßenzug in der Stadt Ostfildern (Kreis Esslingen) erweitert. Dafür wurden den Anwohnern eigens E-Fahrzeuge zur Verfügung gestellt. Messtechnik soll das Ladeverhalten und die Auswirkungen auf das Netz möglichst präzise analysieren.
Wichtig ist der direkte Kontakt zu den Teilnehmern, um deren Wünsche und mögliche Probleme rechtzeitig in die Lösungsentwicklung einfließen zu lassen. Aus technischer Sicht laufen derlei Überbrückungslösungen praktisch im Verborgenen ab. Wichtige Erfahrungen mit der Netzintegration der Elektromobilität stammen von den inzwischen 100 Elektro-Fahrzeugen des unternehmenseigenen Fahrzeugparks. Ein Großteil ist in Stuttgart konzentriert, wo sich das „NETZlabor Elektroflotte“ mit hochsensibler Messtechnik befindet.
Ein Ergebnis der Untersuchungen: Ladevorgänge erfolgen meist nur zwei- oder gar einphasig, vermutlich wegen der in den Fahrzeugen verbauten Technik. Dabei wären dreiphasige Beladungen ideal. Das birgt aber bei größeren Elektroflotten das Risiko von Schäden im Netz.
Im Sinne einer nachhaltigen Versorgungssicherheit wird es ohne den Ausbau der Netze nicht gehen. Immer mehr Stromnetzbetreiber denken schon jetzt die Zukunft mit. Das kann sich in größeren Kabelquerschnitten bei der Erschließung von Neubaugebieten äußern. Netze BW sichert vorsorglich neben den neuen Ortsnetzstationen eine zweite Fläche, falls sich die Kapazität des Trafos später als zu gering erwiese. Ist ein Quartier bebaut, lässt sich dafür kaum mehr Platz finden. Hier gilt es, frühzeitig auf die Kommunen zuzugehen und für Verständnis zu werben.
Generell müssen Planer von Verteilnetzen weitere Herausforderungen im Blick behalten. So zum Beispiel die Integration der erneuerbaren Energien oder auch die vermehrte Installation von Wärmestrom- und Speicheranlagen. Bis zu einer halben Milliarde Euro sind dafür bis 2025 allein im Versorgungsgebiet der Netze BW vorgesehen. Aus Kostengründen gibt es in der gesamten Branche inzwischen vielerlei Feldtests und Pilotversuche zum Einsatz neuartiger, intelligenter Technik. Das Ziel sind standardisierbare Methoden, mit deren Hilfe der Ausbau begrenzt werden kann. Das liegt auch im Interesse von Städten und Gemeinden. Schließlich ist der Netzausbau meist mit Tiefbauarbeiten und damit vorübergehenden Einschränkungen verbunden.
Um den Ausbau der Elektromobilität aus netztechnischer Sicht zu beherrschen, bedarf es auch regulatorischer Maßnahmen und wirtschaftlicher Anreize. So könnte man den netzdienlichen Einsatz von Ladesäulen über verringerte Netzentgelte honorieren oder dafür sogar eine Verpflichtung schaffen. Bei den Ladekarten hatte sich bereits eindrücklich die große Bedeutung durchdachter technischer Standards erwiesen.
Selma Lossau
Die Autorin
Dr. Selma Lossau leitet die Aktivitäten der EnBW-Tochter Netze BW in Stuttgart zur Netzintegration von Elektromobilität