Geräte, die für Kinder mit Beeinträchtigungen entworfen sind, machen allein für sich nicht den entscheidenden Unterschied. Vielmehr sollten Spielräume nach einem inklusiven Gesamtkonzept umgesetzt sein: Das empfiehlt der Sachverständige Peter Schraml.
Schwungvoll mit Rad oder Rollstuhl durch Steilkurven flitzen, über Hängebrücken oder Balken balancieren, blühende Vegetation und ein „Ferraphone“, dem man auch im Sitzen sanfte Klänge entlocken kann: So können inklusive Spielräume sein. Sie inspirieren zu gemeinsamen Abenteuern und uneingeschränktem Miteinander. Jeder kann dabei sein und nach seinen eigenen Fähig- und Fertigkeiten mitmachen.
Unter dieser Prämisse hat der „Normungsausschuss NA 005-01-14 AA Spielplätze“ eine Matrix für inklusive Spielräume aufgestellt. Entsprechend gestaltete Spielräume erfüllen die Pflicht, öffentlichen Raum – dazu zählen auch Spielplätze – so zu gestalten, dass nutzbare Angebote für alle zur Verfügung stehen. Zudem räumen sie mit den Vorurteilen auf, dass speziell auf Behinderungen zugeschnittene Geräte ausreichen, damit Spielplätze für alle da sind, und dass inklusive Spielplätze langweilig sind.
Grundlegend ist, dass inklusive Räume gemeinsames Spielen ermöglichen. Sie bieten allen Kindern Spielmöglichkeiten, indem Angebote vorhanden sind, die auch – aber nicht ausschließlich – von Menschen mit Behinderungen genutzt werden können.
Die Inklusionsmatrix wendet dazu ihren Blick auf Fertigkeiten und Fähigkeiten, statt nur auf unterschiedliche Behinderungsarten und dafür gestaltete spezielle Geräte. Das ist ein radikaler Perspektivwechsel. Denn: Jeder Mensch verfügt über Fertigkeiten und Fähigkeiten in unterschiedlicher Ausprägung – und Spielräume sollten sie ansprechen. So sind sie der Dreh- und Angelpunkt der von der Matrix definierten Grundanforderungen, die auf vielfältige und sehr unterschiedliche Weise umgesetzt werden können.
Spielräume neu denken
Um attraktive, herausfordernde und interessante Erfahrungsräume zu gestalten, definiert die Matrix ein Zusammenspiel von drei wesentlichen Faktoren:
- Die Erreichbarkeit des Spielplatzes selbst sowie der einzelnen Spielstationen.
- Vielfalt: Hier geht es darum, ob Angebote unterschiedliche Sinneswahrnehmungen, Bewegungserfahrungen oder auch soziale Aspekte ermöglichen.
- Die Nutzbarkeit von Spielangeboten.
Werden alle diese Faktoren berücksichtigt, entsteht eine umfassendere und nachhaltigere Inklusion als beispielsweise allein durch eine Rollstuhlschaukel, die letztlich nur von einem Rollstuhlfahrer genutzt werden kann und darf – und zwar allein von ihm. Eine Schaukel zudem, die unter Umständen nicht erreicht werden kann, weil der gesamte Spielplatz von Wiese umgeben ist und keinen berollbaren Zugang hat.
Entscheidend ist: Ein Gerät allein kann einen Spielplatz nicht inklusiv machen – ein nach den Prinzipien der Matrix geschaffener Spielraum bringt dagegen Menschen mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten zusammen, fördert Bewegung, berücksichtigt Vielfalt. Getreu dem Motto: Mit dabei statt außen vor.
Fördern – und herausfordern
Was ist aber nun mit dem Einwand, dass inklusive Spielräume langweilig sind? Tatsächlich muss das nicht sein – im Gegenteil. Entscheidend ist, dass für jeden etwas vorhanden sein muss, das er oder sie nutzen kann. Und: Die Bereiche oder Angebote, die nicht von allen genutzt werden können, sollten die Ausnahme sein. Das erfordert ein neues Denken.
Der Personenkreis mit den höchsten Anforderungen – wie Rollstuhlfahrer oder Blinde – muss dabei vor allem unter dem Fokus der Erreichbarkeit entsprechend berücksichtigt werden. Ein geeignetes oder aufregendes Spielgerät ist nutzlos, wenn die Kinder nicht dorthin gelangen können. Das heißt: Um überhaupt mit den vorhandenen Geräten spielen zu können, müssen Wege und Zugänge für alle Kinder vorhanden sein.
Gute Ergebnisse erzielt, wer das Gesamte im Blick behält. Der Spielraum soll ein möglichst breites Spektrum an Erfahrungen ermöglichen und dabei gleichzeitig mehrere Sinne ansprechen. Damit bietet er etwas an, womit die unterschiedlichsten Fähig- und Fertigkeiten gefördert werden und sich weiterentwickeln können.
Kinder können sich ausprobieren
Ein Spielplatz soll immer auch dazu dienen, „selbstsicheres“ Verhalten zu trainieren. Das geht am besten, indem man lernt, Gefahren wahrzunehmen und zu beurteilen. Auch darin werden Menschen mit Behinderungen gleichbehandelt. Mit dem Fokus auf Fertigkeiten und Fähigkeiten lässt man kalkulierbare Risiken zu. Jeder, der das Spielangebot erreicht, kann es erforschen, entsprechend seinen Fähigkeiten das Risiko einschätzen und sich ausprobieren. So schafft man herausfordernde, vielfältige und attraktive Spielplätze, die das Miteinander fördern – Orte, an denen jeder etwas findet, das er kann und das Spaß macht.
Ein weiterer Einwand gegen inklusive Spielräume sind die Kosten: Wenn etwa alles mit synthetischem Fallschutz ausgelegt werden muss, werden Spielplätze doppelt so teuer. Hier geht es aber um Zweierlei: um Böden, die berollbar sind und die gleichzeitig dem Fallschutz dienen – dafür gibt es inzwischen unterschiedliche Möglichkeiten. EPDM beziehungsweise synthetischer Fallschutz ist nur eine davon. Man kann auch Hackschnitzel oder Sand mit speziellen Adaptern verwenden – oder auch Rasen so verlegen, dass er als Fallschutz funktioniert und gleichzeitig berollbar ist. Das aber bedeutet einen anderen Blick auf die Kosten.
Raum für Vielfalt und Kreativität
Um einen inklusiven Spielraum gestalten und finanzieren zu können, bietet sich die Inklusionsmatrix als Leitfaden an, zugleich macht sie Ergebnisse mess- und nachvollziehbar. Um die darin angelegten Nutzungsangebote zu realisieren, ist aus meiner Sicht eine fachkundige Planung sinnvoll – und die Matrix hilft dabei, an alle relevanten Aspekte zu denken. Wie sie dann aber in Spielräume umgesetzt werden, liegt an den Planern und ihrer Kreativität.
Für jeden ist etwas dabei
Entscheidend ist, dass mehr Möglichkeiten geschaffen werden und die Ergebnisse umfassender inklusiv sind, als wenn ein Spielplatz „nur“ mit einem Gerät ausgestattet wird, das auf spezielle Behinderungen abzielt. Am Ende zählt, dass für jeden etwas vorhanden ist, das er oder sie nutzen kann.
Peter Schraml
Der Autor
Dipl-Ing. Peter Schraml ist Sachverständiger für Spielplätze und Obmann im Normenausschuss Spielplatzplanung und Arbeitskreis Inklusion. Er ist Gründer des Beratungsunternehmens Massstab Mensch.