Grünflächen zur Klimaanpassung

Stadtbegrünung
Leipzig ist auf dem Weg zur klimareslienten Stadt: In der sächsischen Großstadt wurde im Rahmen des Projektes „Leipziger BlauGrün“ ein ressourceneffizientes, abflussloses Stadtquartier gestaltet. Foto: Adobe Stock/Jakob Fischer

Mehr Grünflächen und Versickerungsflächen statt versiegelter Böden: Was Kommunen gegen Starkregen, Hochwasser und Dürre tun können, ist bekannt. Christiane Chaumette vom Fraunhofer-Institut IGB appelliert: Man sollte nicht länger damit warten, Maßnahmen zur Klimaanpassung umzusetzen.

Zunehmende Hitze und Dürre, aber auch Starkregen und Hochwasser: Die Folgen des Klimawandels zeigen, dass es im urbanen Raum um Versickerung statt Versiegelung gehen müsste. Wie weit sind die Kommunen auf diesem Weg?

Christiane Chaumette: Das ist sehr individuell. Einige Städte sind bereits sehr weit und haben auf Basis von Starkregen- und Hochwassergefahrenkarten ein sehr gutes Entwässerungskonzept erstellt. Manche Kommunen haben beispielsweise Schulhöfe so angelegt, dass es eine tieferliegende Ebene gibt, die sich bei Starkregen in einen See verwandelt. Andere lassen Luftwechselgutachten erstellen, um mit deren Hilfe Hitzeinseln zu unterbinden. Einige Städte legen bisher unterkanalisierte Flüsse wieder an die Oberfläche, um das Stadtklima im Sommer abzukühlen. Auch Straßenbegrünung wird immer stärker berücksichtigt, viele Kommunen pflanzen Blumenbeete oder geben Wiesen mehr Raum und fördern damit die Biodiversität. Natürlich sind solche Maßnahmen mit Investitionskosten verbunden – jede Kommune muss hier abwägen, was ihr wichtig ist. Es tut sich aber bereits viel, es herrscht eine gewisse Aufbruchsstimmung. Was viele Städte und Gemeinden meiner Meinung nach optimieren sollten, sind die Bewässerungssysteme.

Welche Bewässerungssysteme wären Ihrer Ansicht nach sinnvoll?

Chaumette: Man kann zum Beispiel Niederschlag lokal auffangen und über eine Zisterne verteilen, über die das Wasser anschließend vor Ort hochgepumpt wird. Dann muss es für die Bewässerung nicht im Stadtgebiet herumgefahren werden. Oder man kann automatisierte Bewässerungssysteme mit Tropfschläuchen nutzen. Leipzig arbeitet gerade an einem Fernkühlnetz, in Paris wird Seine-Wasser unter den Straßen hindurchgepumpt mittels solarbetriebener Pumpen – es gibt einige gute Ansätze.

Regenwasser; Stadt; Starkregen
Straßen könnten nach Starkregenereignisse das Oberflächenwasser sammeln und speichern: Dieses Potenzial wurde in Ludwigsburg (Foto) und Erlangen untersucht. Wasserproben spielten dafür eine zentrale Rolle. Foto: Fraunhofer IGB

Was müsste denn geschehen, um die Klimaanpassung der Kommunen voranzutreiben?

Chaumette: Das Thema ist auf der Prioritätenliste der Kommunen bereits recht weit oben. Das notwendige fachliche Know-how ist ebenfalls vorhanden, in den Fachbereichen und bei externen Planungsfirmen – man muss das Rad also nicht neu erfinden. Was jetzt geschehen sollte, ist in erster Linie die Vernetzung aller Akteure. Dabei sollten vor allem die zuständigen Ver- und Entsorger in den Kommunen, die untere Wasserbehörde und auch Landschaftsplaner und -architekten an einem Strang
ziehen.

Das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik unterstützt verschiedene kommunale Projekte, bei denen es um den Ausbau von blau-grüner Infrastruktur geht. Welche davon haben Vorbildcharakter?

Chaumette: Zum Beispiel im vergangenen Jahr das Projekt „Straße der Zukunft“ in Ludwigsburg. Dabei ging es um die Frage, wie sich die Bodenversiegelung durch den Straßenbau reduzieren lässt. Auch das Projekt „Leipziger BlauGrün“ war erfolgreich: Hier wurde daran geforscht, Niederschlag aus Starkregenereignissen durch Gründächer und Baum-Rigolen zu speichern, statt es in die Kanalisation abzuleiten. Oder Stuttgart: Dort gibt es bereits mehrere grüne Wände und mit Gras bewachsene Straßenzüge. In Wien wurde vor Kurzem eine große Straßenkreuzung mit einem Pop-up-Wald belebt, anschließend sind dort Künstler aufgetreten – an Ideen mangelt es nicht.

Bei Ihrer Forschungsarbeit spielt der Begriff urbane Bioökonomie eine wichtige Rolle. Was hat es damit auf sich?

Chaumette: Im Fokus unserer Forschung steht die Wende zur bioökonomischen Wirtschaftsweise. Dafür beschäftigen wir uns sowohl mit urbaner als auch mit industrieller Bioökonomie. Bei der nachhaltigen Gestaltung der Stoffkreisläufe in den Städten und Gemeinden sowie in der Industrie ist Wasser ein besonders wichtiger Faktor. Wir forschen unter anderem an lokaler Nährstoffrückgewinnung aus dem Abwasser, das Bürgerinnen und Bürger produzieren, und an der direkten Wasserwiederverwertung.

Ein wichtiges Thema in Ihrem Kontext ist zudem Dach- und Fassadenbegrünung. Hier kommen Immobilienbesitzer und Bauherren ins Spiel. Wie kann, wie sollte man sie dazu bringen, Klimaanpassungsmaßnahmen wie begrünte Fassaden oder Versickerungsmöglichkeiten umzusetzen?

Chaumette: Man kann sie dazu verpflichten, solche Maßnahmen zur Klimaanpassung umzusetzen, indem man sie im Bebauungsplan festschreibt. So können die Städte und Gemeinden beispielsweise ein abflussfreies Quartier festlegen – alle, die in diesem Gebiet bauen wollen, müssen dann ein Konzept ent- wickeln, wie sie das Regenwasser lokal versickern können. Oder sie müssen eine bestimmte Anzahl an Gründächern realisieren. Zusammen mit den Stadtwerken müssen sie außerdem ein Konzept zum Schutz vor Hochwasser erstellen.

Welche Handlungsempfehlungen möchten Sie den Kommunen aus Forschungssicht mitgeben?

Chaumette: Seien Sie selbstbewusst individuell! Sie können eine wunderschöne, lebenswerte Umgebung schaffen. Nutzen Sie dafür auch das bestehende Know-how der vergangenen 150 Jahre – und fangen Sie am besten jetzt sofort damit an.


Forschungsprojekte

Das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB beteiligt sich an mehreren Projekten zur blau-grünen Infrastruktur. Zum Beispiel das Verbundprojekt „Leipziger BlauGrün“, bei dem ein abflussloses und ressourceneffizientes Stadtquartier gestaltet wurde. Auch an der „Straße der Zukunft“ in Ludwigsburg und Erlangen war das Fraunhofer IGB beteiligt. Dabei stand die Frage im Fokus, wie sich Straßen, Straßenbeläge sowie Verkehr klima- und ressourcenfreundlich optimieren lassen. Das Fraunhofer IGB beschäftigte sich insbesondere mit versiegelten Straßenflächen.

www.igb.fraunhofer.de/de/forschung/
wasser-abwasser/wassermanagement/
blau-gruene-infrastrukturen.html


Förderprogramme

Das Bundesministerium für Bildung
und Forschung (BMBF) hat die hier
aufgeführten Projekte gefördert: im
Rahmen der Initiative „Ressourcen-
effiziente Stadtquartiere für die
Zukunft (RES:Z)“.


Interview: Hannah Henrici


Zur Person

Christiane Chaumette ist Chemieingenieurin und arbeitet seit 23 Jahren am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart. Dort leitet sie das Themenfeld Wasser- und Abwasseraufbereitung im Innovationsfeld Wassertechnologien und Wertstoffrückgewinnung.