Die Luftreinhaltung erfordert ein Bündel von kurz-, mittel- und langfristig angelegten Maßnahmen. „Zentral ist dabei, Angebote zu schaffen, die wirklich angenommen werden“, sagt Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, in unserem Interview.
Herr Landsberg, in vielen Städten herrscht dicke Luft: Die Kommunen sind für den größten Teil der schädlichen Dieselabgase nicht ursächlich verantwortlich, gleichwohl sind sie zentral gefordert, um die Schadstoffemissionen unter die Grenzwerte zu drücken. Wie gehen sie mit dieser Situation um?
Landsberg: Die Kommunen handeln in dieser Situation pragmatisch, etwa indem sie die kommunalen Fahrzeuge nachrüsten und zusammen mit den kommunalen und privaten Energieversorgern die öffentliche Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge ausbauen, aber auch durch Taktverdichtungen im öffentlichen Nahverkehr und den Ausbau zusätzlicher Strecken. Weiterhin wird derzeit in vielen Städten in Radwege und Radschnellwege investiert. Dank intelligenter Verkehrslenkung und Parkraumbewirtschaftung kann der Parksuchverkehr deutlich reduziert werden, was zur Luftverbesserung erheblich beitragen wird. Als problematisch erweist sich im Moment jedoch das fehlende Angebot an emissionsfreien Bussen. Hier sind gerade die deutschen Hersteller gefordert, entsprechende Modelle auf den Markt zu bringen. Der Bundesgesetzgeber sollte die Beschaffung der Busse für Kommunen durch Ausnahmen beim Vergaberecht erleichtern, um den Beschaffungsprozess zu beschleunigen.
Die Forderung, den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in Ballungsräumen auszubauen, ist nicht neu, bekommt aber aktuell wieder mehr Gewicht. Doch die Kommunen allein werden das nicht stemmen können. Welche Signale erhalten sie vom Bund?
Landsberg: Der Bund unterstützt aktuell die von Grenzwertüberschreitungen betroffenen Kommunen mit 1,5 Milliarden Euro im Sofortprogramm Saubere Luft. Zusätzlich werden mit Bonn, Reutlingen, Mannheim, Essen und Herrenberg Modellkommunen gefördert, die neue Ideen für den ÖPNV entwickeln sollen mit dem Ziel, mehr Menschen zum Umstieg zu gewinnen. Dies alles darf aber nur ein erster Schritt sein.
Sie fordern eine neue Verkehrspolitik …
Landsberg: Wir brauchen dringend die Verkehrswende in ganz Deutschland und keine Zweiklassengesellschaft zwischen den Kommunen, die derzeit von besonderen Förderprogrammen profitieren, und jenen, die nicht gefördert werden. Wenn wir ein anderes Mobilitätsverhalten der Menschen erreichen wollen, müssen wir das entsprechende Angebot vorhalten. Dazu brauchen wir massive Investitionen in die kommunale Verkehrsinfrastruktur, auch bei der Bahn. In den letzten Jahren haben wir zu sehr von der Substanz leben müssen, wie aktuell beispielsweise das Spiekermann-Gutachten in Nordrhein-Westfalen zeigt. Es bedarf einer Infrastrukturoffensive von Bund, Ländern und Kommunen. Wichtig ist hier eine nachhaltige Förderung für die nächsten zehn Jahre und eine signifikante, finanzielle Unterstützung, von der alle Kommunen profitieren können. Dabei muss auch gelten, dass ein attraktiver und gut getakteter ÖPNV einem kostenlosen ÖPNV vorzuziehen ist.
Der Verkehrsträger Seilbahn ist jüngst verstärkt in den Fokus der Fachdiskussion gerückt. Wie schätzen Sie die Chancen dieses Verkehrsmittels ein?
Landsberg: Eine Seilbahn kann als Ergänzung für die Städte interessant sein, etwa indem damit beispielsweise Punkt-zu-Punkt-Verbindungen zwischen Stadtzentrum und Park & Ride-Platz geschaffen werden. Anwendungsgebiet sind Städte mit Höhenunterschieden oder solche, in denen es Gewässer zu überqueren gilt, wie es beispielsweise bei der Seilbahn in Kiel der Fall war. In der jetzigen Umbruchphase städtischer Mobilität ist es generell richtig, über den Tellerrand zu schauen, was in anderen Städten funktioniert. Dabei denke ich an Verkehrsmittel wie die Schwebebahn in Wuppertal, Oberleitungsbusse wie in Solingen oder auch Einschienenbahnen, die autonom fahren können. Künftig geht es natürlich auch um autonom fahrende Autos als Weiterentwicklung des Carsharings oder auch die viel gescholtenen Flugtaxis. Diese sind ein interessantes Experiment, mittelfristig kann so etwas in beschränkten Segmenten eine zukunftsweisende Mobilitätsform darstellen. Generell sollten wir Innovationen nicht verteufeln, sondern beherzt versuchen, sie in den Städten und Gemeinden umzusetzen. Darin liegt die große Chance, Staus und Umweltbelastungen zu reduzieren oder zu vermeiden und das Leben für die Menschen komfortabler zu gestalten. Mit dem oft gehörten Einwand „Das geht doch gar nicht“ werden wir die Zukunft nicht gewinnen. Der Satz „das Geht nicht“ trägt immer nur solange, bis jemand eine Idee umsetzt und sie dann doch funktioniert.
Chance für eine Mobilitätswende
Keine Stadt ordnet gern Dieselfahrverbote an zur Reduzierung von Stickoxiden in bestimmten Bereichen des Straßennetzes. Andererseits brauchen viele sinnvolle Maßnahmen zur Symptombekämpfung Zeit für die Umsetzung, man denke nur an die Einrichtung neuer Park & Ride-Parkplätze und deren Anbindung ans ÖPNV-Netz. Wie können die Kommunen sich aus diesem Dilemma befreien?
Landsberg: Das gelingt nur durch ein Bündel von Maßnahmen, die kurz-, mittel- und langfristig angelegt sind. Zentral ist dabei, Angebote zu schaffen, die wirklich angenommen werden, weil sie sich am Bedürfnis der Menschen orientieren. Darin steckt nicht nur ein Dilemma, sondern auch eine große Chance für eine Mobilitätswende, die zu mehr Lebensqualität in den Städten, aber auch auf dem Land führt. Durch die Digitalisierung werden die Verkehrsformen und Mobilitätskonzepte und damit auch die Städte von morgen gänzlich anders aussehen als heute.
Was stellen Sie sich hier vor?
Landsberg: Das beginnt mit dem autonomen Fahren und geht über Busse, die nicht zu bestimmten Zeiten bestimmte Haltestellen anfahren, sondern „on demand“ sich an den Bedürfnissen der Nutzer orientieren. Es werden flächendeckend aufeinander abgestimmte unterschiedliche Mobilitätsformen existieren. Dazu gehört zum Beispiel auch der E-Scooter zur nächsten S-Bahn-Haltestelle, Carsharing für längere Strecken und wahrscheinlich ein elektrisch oder mit Wasserstoff betriebener autonomer Lkw- und Lieferverkehr, bei dem gleichzeitig sichergestellt wird, dass nicht eine Vielzahl von einzelnen Paketen mit unterschiedlichen Fahrzeugen transportiert wird, sondern dass eine gleichmäßige Verteilung zukünftig Stau durch Lieferverkehre vermeidet.
In Stuttgart sollen nun an einigen landeseigenen Gebäuden fotokatalytisch wirksame Fassadenfarben aufgebracht werden. Ein Modell auch für kommunale oder private Gebäude an Hauptverkehrsstraßen?
Landsberg: Fotokatalytisch Farben ermöglichen es, dass Häuserfassaden und Dächer die Stadtluft reinigen und die Stickoxid- und Feinstaubbelastung in Städten und Gemeinden reduzieren. Um die Luftqualität in den Städten und Gemeinden nachhaltig zu verbessern, ist eine Offenheit für Innovationen in der Tat notwendig. Nicht nur saubere Mobilität, sondern auch flankierende Maßnahmen können sinnvoll sein.
Stichwort kurzfristige Hardwarenachrüstung: Müssen die Automobilhersteller mit öffentlichkeitswirksamen Protesten von Stadtoberhäuptern rechnen, um sie in die Pflicht zu nehmen?
Landsberg: Die Bürgermeister sind zurzeit damit beschäftigt, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass es keine weiteren Fahrverbote für Bürger und Wirtschaft gibt. Die Kommunen sind dadurch in einer Situation, für die sie nicht verantwortlich sind, in Vorleistung getreten. Sie erwarten deshalb ein deutlicheres Engagement der Hersteller! Die Automobilindustrie hat im Zuge des Diesel-Skandals viel Vertrauen verspielt. Es ist Zeit, dass diese für Deutschland und besonders für die Kommunen so wichtige Industrie mit vielen Arbeitsplätzen auch bei den Zulieferern endlich mit anpackt und bereit ist, Vertrauen zurückzugewinnen. Dazu gehört für uns, dass die Automobilindustrie die Finanzierung der Hardwarenachrüstungen übernimmt. Wie die aktuellen Kommentare zeigen, hat die Automobilindustrie wenigstens in dem Bereich der emissionsfreien Antriebe verstanden, dass ein neues Angebot notwendig ist. Ich bin zuversichtlich, dass hier gerade noch rechtzeitig umgesteuert wird, um auf dem internationalen Markt den Anschluss nicht zu verlieren.
Interview: Jörg Benzing
Zur Person: Dr. Gerd Landsberg ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes in Berlin