Durch Leitsysteme sicher in der Stadt unterwegs

Absenkungen an Kreuzungen: Sie bieten Menschen im Rollstuhl sichere Querungsmöglichkeiten in Baunatal. Foto: Stadt Baunatal

Die Stadt Baunatal räumt mit dem Programm „Barrierefreies Bauen“ Hindernisse aus dem Weg. Von Bordsteinabsenkungen, gepaart mit Leitsystemen, profitieren nicht nur geh- und sehbehinderte Menschen.

Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen: Das ist das Anliegen aller, die im Bereich Barrierefreiheit und Inklusion im hessischen  Baunatal (28.000 Einwohner) aktiv sind. Seit mehr als 15 Jahren wird in der Stadt das Programm „Barrierefreies Bauen“ erfolgreich umgesetzt. 580 Fahrbahnabsenkungen mit sogenannten Rippenplatten, ein Leitsystem für Menschen mit Sehbehinderung, wurden seitdem in Kreuzungsbereichen eingebaut.

Welche Bordsteinabsenkungen erfolgen beziehungsweise welche Übergänge jedes Jahr barrierefrei ausgebaut werden, legen Vertreter der Stadtverwaltung fest: gemeinsam mit dem Behindertenbeirat, dem Seniorenarbeitskreis, der Leitstelle „Älter werden“ und den städtischen Radwegeexperten. Die Jahresprogramme „Barrierefreies Bauen“ werden anschließend mit der örtlichen Verkehrsbehörde abgestimmt und durch den Produktbereich Tiefbau umgesetzt. Wichtig ist, dass Seh- und Gehbehinderte sowie Radfahrer gleichermaßen an der Barrierefreiheit teilhaben: Dieser Aspekt ist bei den jeweiligen baulichen Anforderungen zu berücksichtigen.

Der barrierefreie Ausbau von Radverkehrsanlagen an Straßeneinmündungen und -übergängen ist eines der wichtigsten Elemente für die Steigerung der Verkehrssicherheit und Attraktivität eines Radwegenetzes. Für das Baunataler Radwegenetz ist es in beinahe allen Bereichen charakteristisch, dass auch Fußgängern die gleichberechtige oder bevorrechtigte Mitbenutzung der Verkehrswege gestattet ist. Vor diesem Hintergrund ist es Praxis in der Verwaltung, die konkreten Stellen sowie die Ausführungsform der barrierefreien Umgestaltung in einem Beteiligungsprozess so auszuwählen, dass auch Behinderte und Senioren gleichermaßen von den Verbesserungen profitieren.

Seit 2006 wurden durchschnittlich 30.000 Euro jährlich für den Ausbau der Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum der Stadt Baunatal im Haushalt bewilligt. Prägnante Beispiele für die Absenkungen in Baunatal sind die Übergänge an den Kreiseln im Rahmen des Verkehrskonzeptes Innenstadt. Die reinen Umbaukosten für die 580 Absenkungen belaufen sich über den Projektzeitraum auf rund 580.000 Euro.

Barrierefreiheit als Langzeitprojekt

Auch der Austausch der Rippen- in der Verlängerung der Noppenplatten zum Anzeigen der Laufrichtung wird im innerstädtischen Bereich jedes Jahr fortgeführt. Das Stadtparlament hatte nach einer 2020 durchgeführten Untersuchung die Überprüfung der Leitsysteme beschlossen. Hintergrund war, dass für die vorhandenen Leitsysteme im Laufe der vorangegangenen 15 Jahre immer wieder Normvorgaben für die Verlegung von Rippenplatten im Zuge des Ausbaus barrierefreier Verkehrswege und Übergänge verändert worden waren. Eine eigens gegründete AG Rippenplatten hatte daraufhin eine Priorisierungsliste erstellt, an welchen Standorten Anpassungen an die aktuelle DIN-Norm vorgenommen werden sollten.

Es gab dazu auch einen Ortstermin mit Vertretern des Behindertenbeirats und einem Sachverständigen des Hessischen Blinden- und Sehbehindertenverbands. Dabei wurde unter anderem festgestellt, dass sich Sehbehinderte durch zahlreiche Hinweise und Wahrnehmungen im öffentlichen Raum orientieren.

Auch bei DIN-konformer Verlegung kommt es im Jahresverlauf zu witterungsbedingten Einflüssen, bei denen Rippenplatten nicht mehr als alleinige Richtungsanzeiger dienen können. In Baunatal wurden aber keine Beschwerden von Betroffenen geäußert, mögliche Gefahrensituationen gemeldet oder gar Unfälle angezeigt.

Baunatal hat bereits seit 2006 Gehwegabsenkungen in Kreuzungsbereichen vorgenommen, um für Menschen mit Behinderung, für ältere Menschen mit Rollator sowie für Radfahrer eine leichtere Überwindung des Höhenunterschiedes zwischen einer Hochbordanlage und dem angrenzenden Straßenbereich zu ermöglichen. Der Einsatz der Rippenplatten zielte seinerzeit lediglich darauf ab, das Ende des gesicherten Gehwegbereichs zu markieren. Es bestand nicht der Anspruch auf eine gezielte Leitfunktion durch die Platten. Im Laufe der Zeit wurden die Ausführungen sukzessiv an die DIN-Normen angepasst und bei allen neuen Baumaßnahmen angewandt.

Leitsysteme: Vernetzung der Nutzergruppen

Anfragen an den Hessischen Städtetag und den Hessischen Städte- und Gemeindebund (HSGB) ergaben, dass keine nachhaltige Verpflichtung besteht, Bestandsbauwerke entsprechend der Vorgaben der DIN 32984 (Bodenindikatoren im öffentlichem Raum) zu ändern. DIN-Normen haben grundsätzlich nur Empfehlungscharakter. Bei einem Schadensfall steht jedoch eine eventuelle Haftung im Raum.

Radfahrer, Rollstuhlfahrer und Rollatorennutzer bevorzugen eine Null-Absenkung, von Seiten des Tiefbaus wird wegen der Wasserführung eine Kante von mindestens einem Zentimeter favorisiert. Für Sehbehinderte ist eine höhere Bordsteinkante von sechs Zentimetern zur Orientierung optimal. Die unterschiedlichen Anforderungen erschweren es, Lösungen zu finden, die allen Ansprüchen genügen und auch unter beengten Platzverhältnissen wirtschaftlich zu realisieren sind. Folglich können barrierefreie Übergänge oft nur ein Kompromiss sein. Es ist daher sinnvoll, Nutzergruppen zu vernetzen und die Maßnahmen auch in den Gremien vorzustellen. 

Hartmut Wicke


Der Autor

Hartmut Wicke ist Fachbereichsleiter Bau und Umwelt im Magistrat der Stadt Baunatal.