Digitalisierung: Her mit dem Anti-Blockier-System!

Die Verwaltung scheint resistent gegen Veränderung zu sein, die Beharrungskräfte sind enorm. Wenn Deutschland bei der technologiegetriebenen Neuvermessung der Welt im 21. Jahrhundert dabei sein will, muss in den Rathäusern radikal umgedacht werden, meint E-Government-Experte Franz-Reinhard Habbel.

Was die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung betrifft, hat Deutschland kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Tagein, tagaus erscheinen neue Studien und Rankings, die Deutschland auf den hinteren Plätzen im Mittelfeld sehen. Die Reaktion? Wir zucken mit den Schultern, nehmen das hin, gewöhnen uns daran, machen weiter wie bisher. Geändert hat sich so gut wie nichts.

Von digitalen Reformvorhaben in der Verwaltung zeigt sich nicht viel. Kritiker mögen jetzt einräumen, das Onlinezugangsgesetz werde doch die Lage verbessern. Richtig ist, dass jeder Verwaltungsprozess, der digitalisiert wird, ein Schritt nach vorn ist. Bis Ende 2022 sollen 575 Prozesse online gestellt werden. Aber ist das ausreichend? Die Antwort lautet: Nein.

Es geht eben nicht nur um Verwaltungsprozesse, sondern um Dienstleistungen, die das Leben der Menschen und die Aktivitäten der Unternehmen elementar betreffen. Dazu zählen die Bereiche Mobilität, Klima, Bildung, Energie, Gesundheit und Sicherheit. In diesen Politikbereichen hapert es am Einsatz digitaler Instrumente und an einer flächendeckenden Umsetzung. Zwar gibt es „Leuchtturmprojekte“, viel besser wären aber „Lichterketten“, wie sie beispielsweise Ilona Benz, die Leiterin der Stabsstelle des Gemeindetages Baden-Württemberg, fordert.

Warum tun wir uns in der Umsetzung so schwer? Warum ist das so? Woran liegt das? Welche Hemmnisse gibt es, wie können wir sie überwinden?

Zwei zentrale Erkenntnisse stechen hervor. Einerseits liegt es an den Führungskräften, die mit der Digitalisierung wenig am Hut haben, andererseits an einer Verwaltungskultur, die Fehler nicht als Prozess des Lernens, sondern des Versagens sieht.

Solange ein für den Bereich Digitalisierung zuständiger Landesminister sich alle E-Mails ausdrucken lässt, solange engagierte Kräfte durch Formalien ausgebremst werden, solange Neuerungen als Störung des Bisherigen angesehen werden, so lange wird sich nichts ändern. Dann werden künftige Studien und Rankings Deutschland weiter nach hinten werfen. Jetzt findet eine weitgehend technologiegetriebene Neuvermessung der Welt im 21. Jahrhundert statt. Wir werden nicht dabei sein, wenn wir nicht endlich unsere Hausaufgaben machen.

Reformatoren Vernetzt Euch!

Es ist nicht von der Hand zu weisen, die Digitalisierung löst vielfach Ängste aus. Anstatt sich nüchtern mit den Chancen zu beschäftigen, werden zunächst die Risiken gesehen. In jeder Chance sieht der Deutsche erst einmal die Krise. Warum muss alles anders werden? Stabilität wird als das Normale betrachtet und nicht die Veränderung. Uns geht es doch gut, warum müssen wir uns verändern? Wir erleben gerade in Institutionen eine Zukunftsabgewandtheit, die uns schon jetzt in große Schwierigkeiten (Klimaschutz) gebracht hat und die noch weitere Probleme hervorbringen wird.

Seit Jahren beklagen wir zwar die dramatische Zunahme an Bürokratie. So ist beispielsweise die Zahl der Bauvorschriften von 5000 im Jahr 1990 um mehrere Tausend angestiegen. Wir wissen von immer weniger immer mehr, sehen aber nicht die Zusammenhänge der Dinge. Oftmals sind Verbote anstatt Innovationen die Lösung. Deutschland entwickelt sich zur Verbotsrepublik. So verspielen wir nicht nur unsere eigene Zukunft, sondern die unserer Kinder und Enkel. Wir trauen uns nichts, weil wir uns nicht vertrauen. Verwaltung scheint resistent gegen Veränderung zu sein. Die Beharrungskräfte sind gewaltig. Nicht der Stau auf der Straße, sondern in unseren Köpfen ist das Problem! Wir denken weitgehend in Silos, vernetzen uns nicht, haben keine Visionen, setzen uns zu kleine Ziele, praktizieren so gut wie keine Selbstreflexion.

Wir müssen die Blockaden lösen, die uns daran hindern, die Digitalisierung für einen weitgehenden Neubau der Verwaltung zu nutzen. Wir müssen die Entscheidungsgeschwindigkeit erhöhen. Die Welt wartet nicht. Die reformorientierten Kräfte, und es gibt sie, müssen gestärkt werden. Sie brauchen eine Bühne. Sie müssen die Forderungen der Bürger und der Unternehmen nach einer modernen, leistungsstarken und zukunftsorientierten Verwaltung aufgreifen und damit den Prozess der Umsetzung anstoßen. Wir brauchen ein „Anti-Blockier-System“. Bei Kraftfahrzeugen regelt ein solches die Bremskraft je Rad, angepasst an die Gegebenheiten der Fahrbahnoberfläche, dynamisch. Eine Blockade wird verhindert. Die Lenkfähigkeit des Fahrzeugs bleibt erhalten.

Warum so etwas nicht für die Verwaltung schaffen? Eine agile Verwaltung reagiert schneller auf Veränderungen von außen, arbeitet in Netzwerken statt in Silos, bildet interdisziplinäre Teams und beteiligt die Zivilgesellschaft an Prozessen und Innovationen. Was ist also zu tun?

  • Ziele festlegen, Ressourcen schaffen, Maßnahmen umsetzen

  • Mitarbeiter befähigen und ständig qualifizieren

  • Vollständige Transparenz aller Verwaltungsverfahren und Anwendungen des Verwaltungshandelns herbeiführen

  • Regulierung „in the sandbox“ vorantreiben; die Exekutive benötigt mehr Experimentierräume, um althergebrachte Verfahren auf Zeit aussetzen zu können und neue zu erproben – die Erkenntnisse daraus werden von der Legislative für Rechtsänderungen genutzt

  • Aufgaben in Projekten managen; jede politische Maßnahme ist ein Projekt und muss auch so gemanagt werden

  • Ämter- und behördenübergreifende Teams bilden.

Ganz wichtig dabei: An Stelle von „man könnte, man sollte, man müsste“ einfach „machen“!

Franz-Reinhard Habbel

Der Autor
Franz-Reinhard Habbel arbeitete bis 2017 als Sprecher und Beigeordneter beim Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB). Heute ist er als Publizist und Autor tätig und Gründer des Kommunal Hub. In seinem Blog „Habbel-Blog“ schreibt er über Politik und Kommunikation im Zeitalter des Internets