Digitaler Zwilling erleichtert Stadtplanung

HAWK, der Stuttgarter Supercomputer, macht Stadtentwicklung erlebbar. Das unterstützt Kommunen nicht nur bei der Planung, sondern auch dabei, rathausferne Bürger besser in Projekte einzubeziehen. Foto: HLRS/Ben Derzian

Wie lassen sich Bürger für neue Bauprojekte begeistern oder Umweltveränderungen vorhersagen? Mit dem Einsatz eines digitalen Zwillings. Das HLRS hat einen Doppelgänger für die Stadt Herrenberg erstellt.

Aufgrund der Komplexität von Stadtplanung haben Forscher des Höchstleistungs-rechenzentrums (HLRS) der Universität Stuttgart versucht, neue Wege zu gehen: Das Zentrum möchte die Verantwortlichen dabei unterstützen, Entscheidungen in der Planung und Entwicklung von Städten und Regionen transparenter zu treffen und auch Bürger in diese Prozesse einzubeziehen.

Digitale Ansätze mit datengesteuerter Modellierung und Visualisierung eröffnen Forschenden die Chance, die Funktionsweise von Städten besser zu verstehen und sogar vorherzusagen, wie sich geplante Veränderungen auf Städte und Regionen selbst und den Alltag der dort lebenden Menschen auswirken.

Das Team des HLRS hat gemeinsam mit Partnern einen digitalen Zwilling der Stadt Herrenberg (Baden-Württemberg, 32.000 Einwohner) entwickelt. Das Projekt hat wertvolle Hinweise geliefert und Möglichkeiten geschaffen, das Modell um weitere Daten und Simulationen auszuweiten. „Dieser digitale Doppelgänger ist ein hyperrealistisches Computermodell der komplexen Stadtstruktur, das in der Lage ist, ihre Funktion mit hoher Detailgenauigkeit zu simulieren“, sagt Prof. Dr. Michael M. Resch, Direktor des HLRS.

Simulationen mithilfe von Supercomputern

Mithilfe von Sensornetzwerken und anderen digitalen Werkzeugen zur Erzeugung hochwertiger Daten haben die Forschenden große Datensätze in Herrenberg gesammelt, um unter anderem die Luftqualität, den Verkehrsfluss und die Fußgängerströme zu integrieren und darzustellen. Durch die Zusammenführung und Verarbeitung dieser großen Datensätze (Big Data) und Simulation mithilfe von Supercomputern und deren Visualisierung wird es einfacher, ihre komplexen Interaktionen zu verstehen.

Das hilft, zu erkennen, wie sich beispielsweise ein neu errichtetes Gebäude oder eine Änderung des Verkehrsmusters auf die Luftqualität auswirken könnten. Auch realistische Simulationen von Klima und Wetter – wie zum Beispiel Windströmungen – oder auch die räumliche Ausbreitung von Emissionen in Städten lassen sich erstellen.

Ergänzend hat das HLRS-Team eine App entwickelt, die die Herrenberger Bevölkerung dazu einlädt, ihre Gefühle zu verschiedenen Stadtteilentwicklungen zu äußern. Anwohner gaben in Form von qualitativen Daten an, ob sie sich an bestimmten Orten wohl fühlten, bestimmte Orte Ängste und Unsicherheit bei ihnen auslösten oder als schön oder hässlich empfunden werden.

Bürgerbeteiligung fördern

Emotionen sowie das ästhetische Erleben von Architektur und Stadtgrün spielen laut den Forschenden eine große Rolle für den Erfolg von Städtebau. Sie lassen sich aber nur schwer in Architekturmodellen oder Simulationen darstellen. Somit war dies in Herrenberg ein erster Versuch, emotionsgetriebene Datensätze mittels App zu sammeln und zu integrieren.

Der digitale Zwilling Herrenbergs wurde auf mehreren Veranstaltungen vorgestellt, um die Bürgerbeteiligung in Stadtplanungs- und Entwicklungsprozessen zu fördern. Die Demonstration der dreidimensionalen Version des Zwillings in einer Rückprojektions-Virtual-Reality-Umgebung kam dabei sehr gut an. Es konnten Zielgruppen innerhalb der Zivilgesellschaft angesprochen werden, die in anderen Formaten schwer oder gar nicht zu gewinnen gewesen wären.

„Städte sind nicht eindimensional, daher ergibt es keinen Sinn, sie ausschließlich auf einem Blatt Papier zu entwerfen. Die dritte Dimension hilft uns, Städte und ihre Räumlichkeit zu verstehen. Gerade im Kontext konventioneller Stadtplanung und -entwicklung wird die sogenannte ‚Vista‘ oder die Raumwahrnehmung im menschlichen Maßstab oft vergessen. Abstrakte Planungen im Maßstab von 1:1000 oder 1:10.000 können sich viele Menschen – selbst Stadtplaner – nicht vorstellen, weshalb viele Stadtentwicklungsprojekte nicht funktionieren“, sagte Dr. Fabian Dembski, Forscher aus der Visualisierungsabteilung des HLRS.

In aktuellen Projekten integriert das HLRS künstliche Intelligenz in die Forschung zu digitalen Zwillingen sowohl für Städte und Regionen als auch auf globaler Ebene. Denn will man Faktoren wie regionale Migration, die Auswirkungen der Gentrifizierung, Wachstum, Schrumpfung, Siedlungsmuster sowie soziale und wirtschaftliche Aspekte mit einbeziehen, die für die Resilienz unserer Städte wesentlich sind, können Supercomputer und künstliche Intelligenz von großem Nutzen sein. Karin Blessing

Die Autorin: Dr. Karin Blessing ist Nachhaltigkeitskoordinatorin am HLRS.