Seit der Corona-Pandemie hat sich viel bei der Digitalisierung der Schulen getan, aber längst nicht genug: So lautet die aktuelle Zwischenbilanz aus dem Verband Bildung und Erziehung. Der Bundesvorsitzende Gerhard Brand plädiert für mehr Hilfe für das Ziel digitale Schule: Die Kommunen sollen unterstützen — und selbst unterstützt werden.
Beides ist in der Schullandschaft festzustellen: „Licht und Schatten im digitalen Klassenzimmer“ — diese Überschrift wählten wir bereits vor gut einem Jahr als Überschrift für eine Pressemitteilung, und sie ist immer noch aktuell. Damals veröffentlichten wir einen Teil der Ergebnisse unserer repräsentativen Berufszufriedenheitsumfrage, die forsa jährlich in unserem Auftrag unter Schulleitungen durchführt. Dass wir das Bild vom digitalen Klassenzimmer voller heller, aber auch dunkler Bereiche heute erneut wählen können, verdeutlicht einen gewichtigen Umstand: Es geht viel zu langsam, wenn wir auf die Digitalisierung blicken.
Dennoch: Auch als Verband sehen wir, dass sich in der letzten Zeit etwas getan hat. Wir begleiten das Thema digitale Schule bereits seit einigen Jahren mit unserer Umfrage, aber auch mit Kooperationen in diesem Feld. Als wir begonnen haben, fehlten noch in fast zwei Dritteln der Schulen flächendeckendes und brauchbares Breitband-Internet und WLAN in den Klassenräumen. Von Forderungen nach Klassensätzen an digitalen Endgeräten für alle Klassen waren wir weit entfernt.
Dann kam Corona, die Bedarfe für einen digitalen Unterricht stiegen sprunghaft an — und wurden tatsächlich erfüllt. Wir konnten sehen, dass substanzielle Veränderungen möglich sind, wenn die Politik es nur zulässt.
Die Hoffnung war groß, dass wir mit diesem Schwung nun endlich die digitale Lücke schließen können, die zwischen uns und beispielsweise unseren europäischen Nachbarländern klafft. Dass wir die digitalen Chancen für mehr individuelle Förderung und mehr Bildungsgerechtigkeit endlich nutzen können. Aber wir wurden bitter enttäuscht, bevor selbst die Grundlagen bundesweit umgesetzt wurden.
Spätestens mit den Verhandlungen um einen Digitalpakt 2.0 verstrickte sich die Politik wieder in die üblichen Machtspielchen, und das Thema Digitalisierung geriet unter die Räder, indem es zum Spielfeld der politischen Auseinandersetzung verkam. Spätestens nach diesem Zeitpunkt war klar: Ab jetzt wird es wieder zäh. Und das ist es bis heute geblieben.
Die Politik sollte schneller lernen
Ein enttäuschendes Fazit, wenn wir uns vorstellen, wo wir ohne den äußeren Zwang heute wären: Ohne die Pandemie würden wir nicht über Licht und Schatten im digitalen Klassenzimmer sprechen — das treffende Bild würde eher einen einsam flackernden Röhrenbildschirm in einem modrigen Kellerverschlag zeigen.
Aber trotz „Anschub von außen“ ist es nicht gelungen, den Prozess auch nur ansatzweise abzuschließen. An zehn Prozent der Schulen gibt es keine digitalen Endgeräte für Schülerinnen und Schüler. Gemessen an der Grundgesamtheit deutscher Schulen ist dies also in über 3000 Einrichtungen bundesweit der Fall.
Viele Schulen haben immer noch kein funktionierendes Internet. Weiterhin gibt ein gutes Drittel der Schulleitungen an, dass junge Lehrkräfte weniger gut oder schlecht auf den Einsatz digitaler Endgeräte vorbereitet sind, wenn sie aus den Universitäten kommen.
Digitale Schule braucht Digitalpaket für die Ewigkeit
Die Baustellen müssen schleunigst angegangen werden, damit alle Kinder die gleichen Bildungschancen haben. Dafür ist nicht nur ein Digitalpakt 2.0 erforderlich, sondern ein Digitalpakt für die Ewigkeit. Schulen brauchen nicht ad hoc-Unterstützung, sondern langfristige finanzielle Sicherheit. Digitalisierung darf kein Projekt bleiben. Sie muss Struktur werden.
Selbst dort, wo die Ausstattung stimmt, bedeutet dies nicht, dass wir von einer gelingenden Digitalisierung sprechen können. Dafür ist mehr vonnöten als nur die technische Ausstattung. Ein Beispiel: die technische Betreuung. Nur wenige Schulen kommen in den Genuss einer professionellen Unterstützung beim Aufsetzen, Warten und Aktualisieren der technischen Infrastruktur.
Lehrkräfte sind für derartige Tätigkeiten weder richtig ausgebildet, noch steht ihnen in Zeiten des Lehrkräftemangels Zeit für derartige Tätigkeiten zur Verfügung. Es ist auch nicht Teil ihres Aufgabenspektrums. Lehrkräfte müssen endlich die Zeit bekommen, ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag nachkommen zu können. Für technische Unterstützung und ähnliche Aufgaben müssen Schulen externe Unterstützung erhalten, beispielsweise durch professionelle Dienstleister oder kommunale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Wie Kommunen helfen können
Auch was die Mittelvergabe angeht, ist noch Luft nach oben. Viele Schulleitungen klagen über die komplizierten und langatmigen Beantragungsverfahren. Sie müssen Konzepte zur Digitalisierungsstrategie erarbeiten, ohne auf eine derartige Herausforderung vorbereitet worden zu sein. Hier sehen wir die Kommunen in der Pflicht, einen niedrigschwelligen Mittelabruf zu ermöglichen.
Auch was den Datenschutz angeht, sind noch große Anstrengungen nötig, um von alltagstauglichen digitalen Strukturen sprechen zu können. Teilweise ist nicht klar, ob die Geräte nur zur Unterrichtsvorbereitung oder auch für die Speicherung sensibler Daten genutzt werden dürfen. Viele Lehrkräfte scheuen den Einsatz ihrer digitalen Endgeräte, da sie nicht riskieren wollen, in rechtliche Schwierigkeiten zu geraten.
All diese Herausforderungen können nur in einem gemeinsamen Kraftakt gelöst werden. Bund, Länder und Kommunen müssen gemeinsam an einem Strang ziehen. Dort, wo die Kommunen es nicht schaffen, beispielsweise eine IT-Betreuung für die Schulen zu gewährleisten, müssen sie Unterstützung erfahren.
Gerhard Brand
Der Autor
Von 2010 bis 2022 war Gerhard Brand Bundesschatzmeister des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). Seit Dezember 2022 ist er Bundesvorsitzender.