Der Voraus-Denker vom Harz

Oliver Junk: Der Oberbürgermeister will Goslar besser machen. Foto: Stadt Goslar

Mini-Seehofer, Fürst der Finsternis – Oliver Junk, OB in Goslar, wurde schon mit etlichen Beinamen belegt. Die meisten davon wohlmeinend, einen kommunalen Spitzenmann beschreibend, der zu den besten Oberbürgermeistern des Landes zählen dürfte. Ein Macher mit auch unkonventionellen Ideen und mit Weitblick.

Es müsse wohl ein Gendefekt sein, der letztlich bewirkte, den Job als Rechtsanwalt in Bayreuth an den Nagel zu hängen und sich beruflich voll und ganz dem kommunalen Sektor zu verschreiben. Denn schon als Schüler, später dann als Student habe für ihn, so sagt Oliver Junk, das Kommunale jedweder Art einen hohen Stellenwert gehabt, wenn da auch lediglich noch als „Hobby“. Stadtrat in Bayreuth, Vorsitzender des Junge-Union-Kreisverbandes Bayreuth-Stadt und Geschäftsführer des Kreisverbandes, stellvertretender Bezirksvorsitzender der Jungen Union Oberfranken, Wahlkampfchef des Bayreuther Oberbürgermeisterkandidaten Michael Hohl, Präsident des Rings Politischer Jugend Oberfranken – dies waren zwischen 1999 und 2011 einige der Stationen und Positionen, die den (kommunal-)politischen Menschen Junk prägten.

Als es dann vor vier Jahren den Oberbürgermeistersessel in der alten Kaiserstadt und Weltkulturerbe-Kommune Goslar (Niedersachsen) neu zu besetzen galt, zögerte Junk nicht – und sorgte als CSU-Mitglied im Geburts- und Wohnort von SPD-Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel für eine Sensation: Aus dem Stand wurde der Mann aus dem Süden mit 45,1 Prozent der Stimmen (nach dem seinerzeit in Niedersachsen geltenden Prinzip der einfachen Mehrheit) in die Spitzenposition im Rathaus gewählt. Zwei Jahre später legt der „Mini-Seehofer“, wegen seiner Herkunft und politischen Sozialisation von der Presse so genannt, noch einen drauf: Mit 93,7 Prozent der Stimmen bestätigen ihn die Wähler im Amt, Anerkennung wohl in der Hauptsache für sein geschicktes Handeln bei der Fusion von Goslar (rund 40.000 Einwohner) mit der Nachbarstadt Vienenburg (rund 11.000 Einwohner) zum 1. Januar 2014. Der Zusammenschluss war auch der Grund dafür, warum über die Besetzung des OB-Postens schon nach kurzer Zeit neu abgestimmt werden musste.

Auf Tuchfühlung mit der Bevölkerung: Bei wichtigen Entscheidungen will Oliver Junk stets die Goslarer Bürger einbezogen sehen. Foto: Sobotta

Andere kommunale Spitzenpolitiker wären an der Herausforderung eines solchen Städtezusammenschlusses – es war die größte Kommunalfusion in Niedersachsen seit den 1970er-Jahren – womöglich gescheitert. Junk, der Star, erledigte sie wie mit links. „Es läuft plötzlich in Goslar“, wird aus diesen Tagen der Grünen-Stadtrat Jochen Baldauf in der Zeitung „Die Welt“ zitiert, „… und hat auch noch Spaß gemacht“, ergänzend Alexander Saipa von der SPD.

 

Wechselnde Koalitionen der Vernunft

Dabei ist Junks Job in Goslar alles andere als einfach: Die Stadt steckt trotz Entschuldungshilfe des Landes und erster Konsolidierungserfolge noch tief in den roten Zahlen auf. Die Bevölkerungsentwicklung ist nach wie vor problematisch, wenngleich der Einwohnerverlust inzwischen moderater verläuft als zwischen 2002 und 2012. In diesen zehn Jahren kehrten rund 4000 Menschen der Stadt den Rücken. Mit Sorge sieht Junk die sinkenden Einwohnerzahlen beim Blick auf die heimische Wirtschaft. Zurzeit schrumpft die Bevölkerung jährlich um etwa 220 Menschen, wobei sich Zuzug und Wegzug die Waage halten. Lässt sich die Entwicklung nicht stoppen, werden in Zukunft nicht mehr ausreichend viele Menschen für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, befürchtet Junk. Dann drohe der ökonomische Infarkt.

Im Zuzug auch von Flüchtlingen sieht Goslars OB deshalb Chancen für die Zukunftsfähigkeit seiner Stadt. Es geht dabei mehr als nur um ein ausreichendes Arbeitskräftepotenzial. Ein weiterer Bevölkerungsschwund würde den Rückbau von Infrastruktur nach sich ziehen mit negativen Auswirkungen auf die Attraktivität der Stadt, was wiederum Wegzüge beschleunige und Zuzüge bremse. Diese drohende Abwärtsspirale will Junk verhindern. Er warb daher Ende vergangenen Jahres – ganz gegen den aktuellen Meinungs-Mainstream in der Flüchtlingsdebatte – für die Verteilung zusätzlicher Asylbewerber auf seine Stadt .

Das passt gleich zweimal zur Mission Junks – auch wenn er den Begriff nicht ganz so passend findet: In Anlehnung an den fundamentalen Appell des „Kleinen Lords“, jeder Mensch möge mit seinem Leben die Welt ein klein wenig verbessern möge, findet er, dass jeder Oberbürgermeister in seiner Amtszeit seine Stadt ein klein wenig besser machen sollte. Schon ein Stück besser gemacht hat er Goslar in seiner noch jungen Amtszeit. Das fängt an bei der seit Langem wieder gedeihlichen Zusammenarbeit im einst zerstrittenen Stadtrat. Mit „wechselnden Koalitionen der Vernunft“ und der Einbeziehung von kleinen Fraktionen „auf Augenhöhe“ brachte Junk die politischen Gruppen wieder an einen Tisch. Liberale, Grüne, Sozialdemokraten und natürlich die CDU, der er seit 2014 angehört, stehen hinter ihm.

Es setzt sich fort mit der Beteiligung der Bürger an wichtigen Belangen der Stadt. „Es gibt bei mir keine einsamen Entscheidungen“, sagt der Goslarer OB, der mit viel politischem Gespür agiert. Die Städtefusion und die Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung etwa wurden gemeinsam mit der Bevölkerung erarbeitet, diskutiert und festgelegt. Bei allem hat Junk das Ziel vor Augen, die Stadt im Hinblick auf die Verwaltungsstrukturen, auf Infrastruktur und öffentliche Daseinsvorsorge sowie auf die Einnahme- und Ausgabesituation gut aufzustellen.

 

Der Harz soll besser positioniert werden

Der Wunsch, die Stadt besser machen zu wollen, greift weit über deren Gemarkungsgrenzen hinaus. Natürlich hat Junk eine prosperierende Zukunft Goslars im Blick, wenn er sich im „Harzklub“, dessen Präsident er mittlerweile ist, für eine vollkommen integrierte Region Harz stark macht. Doch es geht dem rührigen Goslarer Verwaltungschef um mehr als die eigenen kommunalen Pfründe: Er mag nicht einsehen, dass damals willkürliche Grenzziehung zwischen Deutschland West und Deutschland Ost und heute die Zugehörigkeit des Harz zu drei Bundesländern – Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen – dessen wirtschaftliche Entwicklung massiv hemmten und weiterhin hemmen. „Deshalb arbeite ich dafür, dass sich der Harz länderübergreifend markanter und stärker in Deutschland positioniert“, sagt Junk. Eine starke „Regiopolregion“ schwebt ihm vor. Denn „irgendwie sind wir alle Kaisers Erben“, sinniert er.

Allein ist Junk mit seinem Ansinnen nicht. Der von ihm vor rund einem Jahr ins Leben gerufene Ein-Harz-Initiative gehören inzwischen 30 Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte aus der Region an. Und manch einer unter ihnen kann grundsätzlich auch ganz unkonventionellen Gedankenspielen des Querdenkers aus Goslar zustimmen: Etwa denen von vor etwas mehr als einem Jahr, den gesamten Harz in einem einzigen Landkreis zusammenzufassen. Dazu müssten dann zwei Bundesländer Gebiete abgeben, damit das dritte den neuen Kreis erhalte.

Dass dieses nach Auffassung Junks nicht zwingend Niedersachsen sein muss, kommt in der Landeshauptstadt Hannover allerdings nicht so gut an. Und auch nicht bei Junks Landrat Thomas Brych. Dessen Kreis Goslar hat mit Überschuldung zu kämpfen, nimmt seinen Kommunen eine „zu hohe Kreisumlage“ (Junk) ab und ist überhaupt zu klein. Und „kleine Kreise bedrohen die kommunale Selbstverwaltung in den Städten und Gemeinden“, sagt der Goslarer Oberbürgermeister. Hier etwas zu ändern, gehört mit zu seinen Hauptanliegen als Rathaus-Chef. Die kommunalen Strukturen, die Gebietskörperschaften in Süd-Ostniedersachsen sollten dringend und schnell überarbeitet werden, fordert er. „Steuergelder müssen in Strukturentwicklungen und nicht in die nicht überlebensfähigen Verwaltungsstrukturen fließen. Nur dann gewinnen Goslar und die Region, nur dann bleibt etwas vom politischen Gestaltungswillen – auch wenn uns gelegentlich das Gegenteil vorgeführt wird“. Der Stadt-Verbesserer als Voraus-Denker, nicht nur beim Thema „Flüchtlinge als Zukunftschance“.

Was er selbst als berufliche Erfolge in seiner bisherigen Amtszeit sieht, darüber mag Junk nicht sprechen: „Eigenlob liegt mir nicht.“ Und dann nennt er doch einen: Die Fähigkeit erlernt zu haben, selbstkritisch zu sein und Fehler korrigieren zu können. Denn: „Wer gerne entscheidet, trifft auch Fehlentscheidungen.“ So wie die aus seiner Anfangszeit, als er die Stadtbeleuchtung aus Gründen der Kosteneinsparung jeweils nach Mitternacht abschalten ließ. „Fürst der Finsternis“ nannte man ihn deswegen. Zwei Monate später nahm er die Entscheidung zurück.

Zu den Erfolgen mag auch gehören, wenn er in seinem hoch belasteten Arbeitsalltag Zeit für die Familie findet. Reich strukturiert gestalten sich die Wochentage, und immer voller Überraschungen. „Deshalb trage ich meine Termine inzwischen nur noch mit Bleistift in den Kalender ein.“

 

Wolfram Markus

Zur Person: Dr. Oliver Junk (Jg. 1976, verh., vier Kinder) ist seit 2011 Oberbürgermeister der Stadt Goslar (Niedersachsen). Geboren in Frankfurt am Main, studierte er Rechtswissenschaft in Marburg an der Lahn und Bayreuth und absolvierte parallel eine wirtschaftswissenschaftliche Zusatzausbildung. Seit 1996 ist er in der Kommunalpolitik aktiv, war aber auch von 2006 bis 2011 Wahlkreis-büroleiter bei der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Junks Lebensmotto, nach Franz-Josef Strauß: „Mutig vorwärts, gläubig aufwärts, dankbar rückwärts.“

 

Info – Goslar:
Einwohner: rd. 50 000
Gebietszugehörigkeit: Niedersachsen, Landkreis Goslar
Haushalt: Erträge 93,2 Mio. Euro
Aufwendungen 93,2 Mio. Euro
Gewerbesteuer: 16,9 Mio. Euro
Einkommensteueranteil: 17,2 Mio. Euro (jeweils Ansatz 2015)
Pro-Kopf-Verschuldung: 742 Euro (Hochrechnung 2015)