Das Ziel der modernen Stadtplanung ist, gesunde Lebensverhältnisse und eine hochwertige Umgebung für die Bewohner und Nutzer städtischer Räume zu schaffen. In Zeiten wachsenden Siedlungsdrucks in Ballungsräumen bewegt sich diese Aufgabe im Spannungsfeld zwischen der innerstädtischen Verdichtung und Ausdehnung der insgesamt besiedelten Fläche einerseits und der hierdurch bedingten Zunahme des Verkehrs andererseits. Letzterer beeinträchtigt insbesondere Wohngebiete, öffentliche Räume und Erholungsgebiete großräumig durch Abgase und Lärm. Die entsprechenden Auswirkungen gewerblicher und industrieller Nutzung hingegen sind aufgrund des strengen deutschen Immissionsschutzrechts in der Regel auf kleinere Gebiete beschränkt.
In der Stadt- und Raumplanung wird Lärm – vor allem Verkehrslärm – daher häufig als unvermeidbares „Abfallprodukt“ urbanen Lebens angesehen und dementsprechend nur nachrangig berücksichtigt. Üblicherweise wird „Lärm“ erst im fortgeschrittenen Planungsstadium betrachtet, wenn es um die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Grenz- und Richtwerte geht. Zu diesem Zeitpunkt sind jedoch die Rahmenbedingungen einer Planung meist schon so weit abgesteckt, dass die Verringerung der Lärmimmissionen nur noch in Form von „Reparaturmaßnahmen“ (wie z. B. Lärmschutzwänden oder Schallschutzfenstern) möglich ist. Beim Thema Lärm wird also häufig nur reagiert und nicht agiert, das heißt geplant.
Damit wird jedoch eine Chance für die aktive Gestaltung eines hochwertigen, gesundheitsfördernden Umfelds für die Bewohner urbaner Räume vertan. Die Berücksichtigung des gesamten Themenfelds „Gestaltung der akustischen Umgebung“ in einem möglichst frühen Planungsstadium ermöglicht eine wesentlich weiter gehende Gestaltung innerstädtischer Gebiete, bei der die Bedürfnisse von Bewohnern, Arbeitnehmern und Nutzern einbezogen werden können. Im Licht aktueller Forschungsergebnisse zu lärmbedingten Gesundheitsschäden (z. B. der jüngst erschienenen NORAH-Studie) ist eine umfassende Verringerung der Lärmimmissionen auch als Aspekt der Gesundheitsvorsorge zwingend geboten.
Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, ist es erforderlich, alle Beteiligten einzubeziehen und alle betroffenen Themenfelder wie Verkehr, Wohnen, Sozial- und Bildungseinrichtungen oder auch Wirtschaft frühzeitig zu betrachten und zusammenzuführen. Auf Grundlage der verschiedenen, sich häufig auch widersprechenden Anforderungen und Bedürfnisse kann dann eine Lösung erarbeitet werden, die alle Belange berücksichtigt.
Generell kann bei diesem ganzheitlichen Ansatz aufgrund der unterschiedlichen örtlichen Rahmenbedingungen nicht mit standardisierten Lösungen gearbeitet werden. Vielmehr werden alle Aktivitäten und Maßnahmen zunächst entsprechend folgender Prioritätenliste geordnet:
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1. Entstehung unerwünschter Umwelteinflüsse (Lärm, Abgase) vermeiden
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2. Entstehung unerwünschter Umwelteinflüsse bereits an der Quelle bekämpfen (z. B. durch geräuschmindernde Fahrbahnbeläge, Abgasfilter)
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3. Maßnahmen auf dem Ausbreitungsweg (z. B. Lärmschutzwand)
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4. Maßnahmen am Immissionsort (z. B. Schallschutzfenster)
Danach werden diejenigen Maßnahmen ausgewählt und kombiniert, die unter den gegebenen Umständen unter Berücksichtigung der Priorisierung die bestmögliche Gesamtlösung bieten. Ein deutliches Potenzial zur Verbesserung der innerstädtischen Situation zeigen vor allem Maßnahmen zur Lärm- und Abgasvermeidung: die Vermeidung unnötiger Autofahrten durch ein entsprechendes ÖPNV-Konzept, die Förderung des Fahrradverkehrs oder die Einrichtung von Güterverteilzentren. Pilotprojekte zum autofreien Wohnen zeigen hier wegweisende Lösungen. In städtebaulichen Wettbewerben könnten entsprechende Konzepte mit einem Bewertungsbonus belohnt werden.
Außerdem können und sollen in der Planung neuer Quartiere auch neuartige Ideen zum Einsatz kommen, die über die Lärmbekämpfung und die Einhaltung der Richt- und Grenzwerte hinausgehen. Exemplarisch seien hier folgende Maßnahmen genannt:
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Begrünte Fassaden und Dächer reduzieren Lärm und Luftbelastung
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Niedrige und/oder begrünte Lärmschutzwände können sensible Bereiche schützen, ohne die Umgebung optisch zu beeinträchtigen
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Eine angepasste, selbst abschirmende Architektur macht zusätzliche Abschirmeinrichtungen überflüssig
Diese und weitere Maßnahmen wurden zum Beispiel in den europäischen Projekten HOSANNA und SONORUS erarbeitet und untersucht. Damit steht bereits jetzt eine Vielzahl von Konzepten und Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung, aus denen diejenigen ausgewählt und kombiniert werden können, die unter den gegebenen Umständen die bestmögliche Gesamtlösung bieten. Wegweisende Pilotprojekte können in der Zukunft weitere, umfassende Lösungen im Rahmen eines Gesamtkonzepts anbieten.
Beate Altreuther
Die Autorin
Beate Altreuther ist bei der Ingenieurgesellschaft Müller-BBM in Planegg im Bereich Verkehr-Technologie als Beratungsingenieurin tätig
Info: Lärmschutztagung Urban SOUND Planning
Die Gestaltung einer akustisch hochwertigen Umgebung in innerstädtischen Bereichen ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die alle Ballungsräume der EU betrifft und die weit über die Lärmbekämpfung im engeren Sinn hinausgeht. Sie erfordert ein umfassendes Konzept für die zukünftige Entwicklung von Ballungsräumen, das auch die Infrastruktur für Industrie und Verkehr einschließt.
Die Fachtagung Urban SOUND Planning vom 15. bis 16. September 2016 in Planegg bei München zielt darauf ab, bei der Gestaltung einer akustisch ansprechenden Umgebung das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Dazu muss durchgängig eine fachübergreifende Betrachtungsweise angewandt werden, in der Stadt- und Verkehrsplanung, Architektur, Lärmschutz und die gezielte akustische Gestaltung der Umgebung ebenso wie die Belange von Politik und Verwaltung sowie Aspekte der Wirtschaftlichkeit bereits frühzeitig im Planungsprozess berücksichtigt werden. Außerdem müssen auch die Betroffenen von Anfang an in den Planungsprozess einbezogen werden.
Das Symposium zeigt neue Möglichkeiten für die Gestaltung einer akustisch hochwertigen Umgebung, die im EU-Projekt SONORUS erarbeitet wurden. Die beteiligten Städte Göteborg, Antwerpen, Brighton und Rom haben Fallbeispiele zur Verfügung gestellt, an denen die Anwendung etablierter und neu entwickelter Methoden beispielhaft demonstriert wird.
Die Tagung richtet sich an Stadtverwaltungen, Stadtplaner und alle, die ihre zukünftige akustische Umgebung aktiv mitgestalten wollen. Die Veranstaltungssprache ist Englisch.
Weitere Informationen sowie das Veranstaltungsprogramm