Berliner Grundschule: gut aufgestellt

Der industrielle Holzmodulbau bietet faszinierende Chancen für Kommunen, eine schnelle bauliche Lösung zu finden. In Berlin wurden auf diese Weise zwei temporäre Schulräume realisiert. Architekt Andreas Spieß vom Baumanagement des Bezirksamtes Tempelhof-Schöneberg resümiert die Erfahrungen.

Das Land Berlin mit seinen zwölf Bezirken muss wie auch andere kommunale Träger seine Schulinfrastruktur erweitern und sanieren. Das hat die Politik erkannt und dementsprechend gehandelt. Mit der „Berliner Schulbauoffensive“ wurde ein ambitioniertes Projekt gestartet, das aufgrund der Sparpolitik Berlins in der Vergangenheit einer Herkulesaufgabe gleicht. Im Zeitraum von nicht einmal zehn Jahren sollen insgesamt 5,5 Milliarden Euro in 50 neue Schulen und den Abbau des Sanierungsstaus in Höhe von 2,8 Milliarden Euro investiert werden. Es ist aber abzusehen, dass sowohl das Zeitfenster als auch der finanzielle Rahmen erweitert werden müssen.

Von der Schulbauoffensive ist auch der Bezirk Tempelhof-Schöneberg betroffen, immerhin eine Kommune mit fast 350.000 Einwohnern und 56 Schulstandorten. Der Sanierungsstau im Bezirk beläuft sich auf 450 Millionen Euro, bei gleichzeitigem Schülerzuwachs von rund 13 Prozent bis zum Jahr 2026. Auslöser des Schülerzuwachses ist der Zuzug von etwa 40.000 „Neuberlinern“ jedes Jahr.

Das vor einigen Jahren scheinbar nicht absehbare Dilemma der Gleichzeitigkeit der Probleme – vor sechs Jahren sollten noch Schulstandorte geschlossen werden – führt zu großen Herausforderungen und permanentem Zeitmangel bei der Entwicklung von Lösungsansätzen. Entscheidend für die Grundsanierungen im Altbestand ist die Vorhaltung von Ausweichflächen, damit nicht bei laufendem Betrieb saniert werden muss, was für alle Beteiligten unzumutbar ist und außerdem keine wirtschaftliche und vor allem schnelle Sanierung ermöglicht.

Projekt „Fliegendes Klassenzimmer“

So stellte sich auch die Problemlage bei zwei Schulstandorten für das Baumanagement des Bezirksamtes Tempelhof-Schöneberg Ende 2017 dar. An zwei Schulen sollten temporär neue Schüler bis zur Erweiterung ihres Schulstandortes und die Schüler aus den Bauabschnitten einer Gebäudesanierung untergebracht werden. Dazu waren zweimal acht Klassenzimmer, zwei Lehrerräume, Teeküche und Sanitärräume notwendig. Als Projektlaufdauer wurden durch das Schulamt vier Monate benannt.

Üblicherweise werden solche Situationen mit angemieteten Stahlcontainermodulen gelöst. Damit wollten sich aber die Architekten des Baumanagements nicht zufrieden geben, da Berlin über Jahrzehnte mit verschiedenen Generationen temporärer und dauerhafter Ausweich- oder Ergänzungsgebäude gesegnet wurde. Diese bisherigen Gebäudetypen sind leider unflexibel, bautechnisch problematisch, ohne angenehme Aufenthaltsqualitäten und mitnichten ein Beitrag zur Baukultur.

So entstand das Projekt des „Fliegenden Klassenzimmers“. Ausgehend von ähnlichen Projekten in anderen Städten wie Frankfurt am Main oder Zürich sollten zwei temporäre Holzmodulgebäude entstehen, deren Wirtschaftlichkeit gegenüber Stahlcontainern mit achtjährigen Mietzeiten nachgewiesen wurde. Vom Schulträger wurde akzeptiert, dass die etwas längere Projektlaufzeit mit angemieteten Stahlcontainern überbrückt wird.

Als eine der wenigen Kommunen deutschlandweit besitzt das Baumanagement eine eigene Planungsgruppe mit etwa zehn Mitarbeitern (fünf Architekten), die Projektentwicklung betreibt, aber auch konkrete Architektenleistungen nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) erbringt. Wir sind der Ansicht, dass wir als fachkundiger Bauherr auch Know-how vorhalten müssen, die Freude am Architektenberuf fördern und Hüter einer öffentlichen Baukultur sind. Dieses kleine Architekturbüro rechnet sich schon alleine durch die Honorarersparnisse – vor allem in der baulichen Unterhaltung oder konkret beim Projekt „Fliegendes Klassenzimmer“. Nichtsdestoweniger werden 90 Prozent der Projektaufträge an freischaffende Kollegen vergeben, die sich über eine fachkundige Projektsteuerung freuen.

Aufgrund der Zeitvorgaben wurde das „Fliegende Klassenzimmer“ von einem unserer Architekten selbst geplant und eine funktionale Leistungsbeschreibung erarbeitet. Die beiden Bauten sollten vorerst Pilotcharakter haben. Bewusst wurde ein einfacher, eingeschossiger Baukörper gewählt. Er sollte folgende Eigenschaften aufweisen: temporäre Holzmodulbauweise, kurze Aufstell- und Bauzeit, lichte Raumhöhe 3,0 m, belüftetes Kaltdach und Dachüberstand als passiver Sonnenschutz, ökologische Baustoffe, gute Nachhaltigkeitsbilanz, hoher Wiederverwendungsgrad über 90 Prozent, hohe Raumluftqualität erreichbar durch minimale mechanische Lüftung und einbruchgeschützte Fensterlüftung, Energieversorgung über separates Energiemodul mit Luftwärmepumpe und nicht zuletzt eine ansprechende Architekturqualität.

Funktionale Leistungsbeschreibung sorgfältig ausarbeiten

Das energetische Konzept wurde – gefördert über ein Programm der Bundesregierung – mit einem Ingenieurbüro entwickelt und der sommerliche Wärmeschutz nachgewiesen. Der Gebäudeentwurf und die funktionale Ausschreibung konnten nach vier Monaten veröffentlicht werden. Die Schweizer Firma Blumer-Lehmann, die als Generalunternehmer auch mit deutschen Subunternehmern vor Ort zusammenarbeitet, erhielt den Zuschlag nach öffentlicher Ausschreibung.

Die funktionale Leistungsbeschreibung sollte klug überlegt werden. Zu viele Festlegungen schränken das Einbringen des Fachwissens des Modulbauers ein und wirken sich auf die Kosten aus. Andererseits müssen die Qualitätsvorstellungen des Auftraggebers deutlich zum Ausdruck gebracht werden. In jedem Fall ist eine enge Abstimmung mit dem Auftragnehmer während der Werk- und Montageplanung notwendig, die in unserem Fall gut funktionierte, da es nur einen generellen Ansprechpartner gab.

Entscheidungsfreudigkeit auf Seiten des Auftraggebers ist bei den enorm kurzen Produktionszeiten ein Muss. Die Produktionsphase der Holzmodule ist äußerst beeindruckend. Hier werden alle Vorteile einer industriellen Bauproduktion sichtbar, wie wetterunabhängiges Bauen wohlgeordnet auf einer Baustraße in einer Halle und mit zufriedenen Handwerkern. Drei bis vier Monate später konnten die Module mit Sattelschleppern zum Grundstück nach Berlin transportiert werden. Innerhalb von vier Tagen war das Gebäude zusammengefügt und der Innenausbau konnte beginnen. Voraussetzung für eine zügige Montage vor Ort ist aber eine präzise Fundamentierung, die in unserem Fall über wiederverwendbare Schraubfundamente erfolgte.

Das Pilotprojekt hat zu wichtigen Lerneffekten bei allen Beteiligten geführt. Der Auftraggeber, vor allem die öffentliche Bauverwaltung, muss gut aufgestellt sein, schnelle Entscheidungen treffen und ihren Leistungsteil, wie die Baugenehmigung, die technische Anbindung und den Anschluss ans öffentliche Netz, perfekt koordinieren und abwickeln, sonst kommt es zu Reibungsverlusten. Die Architektur bestimmende Bauteile sollten über Leitdetails vom Bauherren in der Ausschreibung vorgegeben werden. Ausländische Auftragnehmer müssen sich mit Baurecht, umfangreichen Normen und den anerkannten Regeln der Technik in Deutschland anfreunden und eine verlässliche Subunternehmerauswahl treffen, die vom Auftraggeber zu überprüfen ist.

Das Umsetzen der Gebäude, in diesem Fall nach etwa fünf Jahren, sollte Bestandteil des Angebots sein. Die Beauftragung mehrerer Gebäude könnte ein Rahmenvertrag regeln und somit zu Preisvorteilen führen. Die zwei Schulgebäude konnten mit insgesamt 4,4 Millionen Euro brutto Gesamtbaukosten über alle Kostengruppen abgerechnet werden.

Erfolgreiche Zwischenbilanz

Die beiden Klassenzimmer sind insgesamt nach knapp über einem Jahr Projektlaufzeit ein Erfolg. Die Ziele des Pilotvorhabens wurden bisher erreicht. Ob sie sich im Betrieb bewähren, wird das zweijährige technische Monitoring, insbesondere in der kritischen Sommerphase, zeigen.

Derzeit entwickelt unser kleines internes Architekturbüro das „Fliegende Klassenzimmer 2.0“. Dieses Projekt ist unser eigentliches Ziel. Es soll ein Baukastensystem mit Holzmodulen entstehen, das mehrgeschossige Gebäude ermöglichen und sich unterschiedlichen städtebaulichen Situationen anpassen wird. Die Grundrisse sollen – im Gegensatz zu existierenden Systemen – moderne pädagogische Konzepte wie Cluster oder Lernlandschaften ermöglichen und somit auch Experimente der Schulen beflügeln, die ja, falls sie sich nicht bewähren, nur temporären Charakter haben.

Im Fokus ist auch das Vorhalten von Modulen auf einem städtischen Werkhof und die intelligente Nachnutzung nicht benötigter Gebäude zum Beispiel für Start-up-Unternehmen in Berlin. Derzeit stehen 45 Millionen Euro für den Baukasten an acht Schulstandorten in der Investitionsplanung zur Verfügung. Das erste Projekt ist in der Umsetzung für Ende 2020 geplant.

Sollte es gelingen, mit dem Holzmodulbau als Baukasten die Schulen partizipativ einzubinden und eine hohe Raumqualität bei ansprechender, authentischer Architektur für die Nutzer zu bieten, wäre das Projekt das Gegenteil einer temporären Notunterkunft. Der Ansatz des „Fliegenden Klassenzimmers“ hätte Chancen, die ambitionierte Schulbauoffensive zum Erfolg und nicht nur zur Belastung werden zu lassen. Vielleicht sind die „Fliegenden Klassenzimmer“ wenigstens übergangsweise beliebter als die alte, konventionelle Flurschule.

Der Holzmodulbau als Teil der industriellen Bauproduktion bietet, wenn das Thema nicht als reine Notlösung betrachtet wird, faszinierende Chancen für Kommunen, eine schnelle bauliche Lösung zu finden. Um die Gestaltqualität müssen sich Architekten kümmern. Das industrielle Bauen hat in Deutschland seit Konrad Wachsmann – zumindest im Holzbau nach dem Zweiten Weltkrieg – keine kontinuierliche Fortsetzung gefunden. Gut gestalteter Holzmodulbau könnte ein Beitrag sein.

Andreas Spieß

Der Autor
Andreas Spieß ist Architekt und Regierungsbaumeister in der Serviceeinheit Facility Management/Baumanagement des Berliner Bezirksamtes Tempelhof/Schöneberg