Im Rahmen der Lärmaktionsplanung gilt es, sogenannte ruhige Gebiete zu schützen. Angesichts der Bedeutung, die lärmgeplagte Menschen diesen Oasen zuschreiben, stellt sich die Frage, ob die Kommunen sie nicht auch aktiv entwickeln sollten. Dieser Beitrag zeigt die Planungsschritte auf.
Nach den bisherigen Erfahrungen mit Lärmaktionsplänen wird kurz- bis mittelfristig der Lärm in den Städten weiterhin solche Dimensionen erreichen, dass ruhige Gebiete eine wichtige kompensatorische Bedeutung behalten. Nicht umsonst nennen bei Befragungen Bürger vor allem wohnungsnahe, gut zu Fuß erreichbare Gebiete als „ihre“ ruhigen Gebiete. Bei der vertieften Betrachtung von ruhigen Gebieten geht es mehr um die Qualifizierung von Freiräumen und weniger um Verbote oder Beschränkung – also eine Win-win-Situation für alle Beteiligten, von den Bürgern bis zur Politik.
Die Erstellung und Umsetzung von Lärmaktionsplänen ist eine vielschichtige Aufgabe. Hierzu zählt die Betrachtung von ruhigen Gebieten, die in den ersten beiden Runden der Lärmaktionsplanung vielerorts zumeist stiefmütterlich behandelt wurden. Das Bundesimmissionsschutzgesetz (§ 47d BImSchG) führt hierzu aus: „Ziel dieser Pläne soll es auch sein, ruhige Gebiete gegen eine Zunahme des Lärms zu schützen.“
Den rechtlichen Hintergrund der Entwicklung ruhiger Gebiete bildet die EU-Umgebungslärmrichtlinie. Sie unterscheidet zwischen der Lage in und außerhalb von Ballungsräumen. Ein ruhiges Gebiet in einem Ballungsraum ist demnach ein behördlich festgelegtes Gebiet, in dem ein Lärmindex (z. B. Tag-Abend-Nacht-Lärmindex, abgekürzt LDEN-Index) für sämtliche Schallquellen einen bestimmten Wert nicht übersteigt (Art. 3 l). In Gemeinden außerhalb der Ballungsräume sind ruhige Gebiete auf dem Land zu identifizieren. Ein solches Gebiet darf keinem Verkehrs-, Industrie- und Gewerbe- oder Freizeitlärm ausgesetzt sein (Art. 3 m). Dies gilt nicht für Geräusche durch forst- und landwirtschaftliche Nutzung.
Die Kommunen sind deshalb verpflichtet zu prüfen, ob es schützenswerte ruhige Gebiete gibt, die im Lärmaktionsplan festzusetzen sind. Die Ausweisung eines ruhigen Gebiets ist bei der Herstellung von Planungsrecht (Bebauungspläne, Planfeststellungen) als Abwägungsbelang zu beachten.
Da die Bundesrepublik keine Werte zur Definition von ruhigen Gebieten festgelegt hat, liegt es bei den zuständigen Behörden, in den meisten Bundesländern sind das die Gemeinden, eine geeignete Vorgehensweise festzulegen. Durch die nahezu flächendeckende Kartierung in Ballungsräumen ist die Identifizierung von ruhigen Gebieten über akustische Kriterien zumindest als Ersteinschätzung möglich. Außerhalb der Ballungsräume reicht die Darstellungstiefe der Lärmkarten jedoch nicht aus, ruhige Gebiete mit akustischen Kriterien umfassend zu identifizieren. Hier muss deshalb zusätzlich auf nichtakustische Kriterien zurückgegriffen werden (u. a. Ortskenntnis, Realnutzung/Baurecht, qualitative Kriterien).
Ruhige Gebiete identifizieren
Es gibt viele Leitfäden und Handlungsempfehlungen zur Aufstellung von Lärmaktionsplänen. Das Thema ruhige Gebiete behandeln sie häufig nur am Rande. Die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Immissionsschutz (LAI) gibt als Anhaltspunkt für ruhige Gebiete in Ballungsräumen an, dass Gebiete mit einer Ausdehnung von vier Quadratkilometern auf dem überwiegenden Teil der Flächen eine Lärmbelastung LDEN ≤50 dB(A) aufweisen. Davon ist auszugehen, wenn in den Randbereichen ein Pegel von LDEN = 55 dB(A) nicht überschritten wird und keine erheblichen Lärmquellen in der Fläche vorhanden sind.
Viele Ballungsräume und teilweise auch Kommunen außerhalb der Ballungsräume gehen über diese Vorgabe hinaus. Diese differenziertere Vorgehensweise zur Identifizierung von ruhigen Gebieten lässt sich wie folgt zusammenfassen:
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Ganz oben stehen die akustisch nachweisbaren ruhigen Gebiete, unabhängig von ihrer Ausdehnung.
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Neben den absoluten Schwellenwerten wird häufig auch ein relatives akustisches Kriterium verwendet, zum Beispiel eine Pegeldifferenz von 6 dB(A) zwischen dem Inneren eines ruhigen Gebiets und seinem Umfeld.
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Ergänzend werden zu den akustischen Kenngrößen auch qualitative Merkmale herangezogen, etwa die Erholungsfunktion, die Aufenthaltsqualität oder die öffentliche Zugänglichkeit eines Gebiets.
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Einige Ballungsräume differenzieren darüber hinaus ruhige Gebiete in Kategorien, die sich auch in Lage und Erreichbarkeit oder der Versorgung eines Stadtteils mit Freiflächen unterscheiden.
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Ob auch bebaute Gebiete ruhige Gebiete sein können, wird in der Praxis unterschiedlich behandelt. Während einige Länderempfehlungen die Ausweisung bebauter Gebiete unter bestimmten Voraussetzungen als sinnvoll ansehen, konzentrieren sich die meisten Städte auf unbebaute Bereiche.
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Für die Identifizierung von ruhigen Gebieten hat die Mitwirkung der Öffentlichkeit eine besondere Bedeutung. Die Betroffenen wissen am besten, wo sie dem Alltagslärm entfliehen können, und können am besten Bereiche nennen, die aus ihrer Sicht als ruhige Gebiete erhalten und leiser werden sollten.
Bonn befragt die Bürger
Die Bundesstadt Bonn (Nordrhein-Westfalen) hat das Thema ruhige Gebiete als Schwerpunkt für die Bearbeitung des Lärmaktionsplans der dritten Runde gewählt. In der gerade abgeschlossenen ersten Phase des Mitwirkungsverfahrens wurden im Internet knapp 50 konkrete Hinweise zu ruhigen Gebieten gegeben. Zudem gab es die Möglichkeit, einen Fragebogen zu der Bedeutung von ruhigen Gebieten auszufüllen.
Auch wenn das Ergebnis mit 96 ausgefüllten Fragebögen nur bedingt repräsentativ ist, zeigen die Antworten dennoch einen klaren Trend: Fast ein Drittel schätzt an den Ruheorten vor allem die Gelegenheit zur wohnungsnahen Entspannung, gefolgt von Möglichkeiten zum Kinderspiel sowie für Aktivitäten und Sport (jeweils knapp ein Fünftel).
Die große Bedeutung der Nähe zur Wohnung zeigt auch die Frage nach der Entfernung des Ruheorts: Fast die Hälfte der Antwortenden erreicht ihren Ruheort in einer Entfernung von nur 500 Metern. Die kurzen Entfernungen zu den Ruheorten spiegeln sich in der Verkehrsmittelwahl wider: 86 Prozent nutzen den Umweltverbund (38 % Fußgänger, 31 % Fahrrad, 17 % ÖPNV) und nur 14 Prozent fahren mit dem Auto.
In einem ruhigen Gebiet tolerieren mehr als zwei Drittel der Antwortenden Freizeitlärm, aber nur 16 Prozent Verkehrslärm, was die große Bedeutung des Lärmschutzes gerade in diesem Bereich zeigt. Es ist letztlich nicht erstaunlich, wenn allen Antwortenden der Erhalt der Ruheorte sehr wichtig (90 %) oder wichtig (10 %) ist. Bei der Frage, was man sich für den persönlichen Ruheort wünscht, steht bei den Nennungen mit weitem Abstand „weniger Lärm“ an erster Stelle (54 %) – obwohl es sich bereits um einen Ruheort handelt! Bänke, Spielgeräte, Sauberkeit und eine bessere Erreichbarkeit zu Fuß oder mit dem Rad folgen nahezu gleichrangig, aber mit großem Abstand (jeweils etwa 10 % der Nennungen). Die aus dem Mitwirkungsverfahren resultierenden Ergebnisse werden in das laufende Aufstellungsverfahren des Bonner Lärmaktionsplans einfließen.
Planung in zwei Richtungen
Die Umgebungslärmrichtlinie sieht im Rahmen der Lärmaktionspläne nur einen passiven Schutz von ruhigen Gebieten vor. Das bedeutet, es muss nicht leiser werden, es darf aber auch nicht lauter werden. Man sollte jedoch den Wert von ruhigen Gebieten für die Wohnqualität und den sozialen Zusammenhalt einer Stadt nicht unterschätzen. Es stellt sich deshalb die Frage, ob es ausreicht, im Lärmaktionsplan pflichtgemäß nur passiv den Status Quo zu erhalten, oder ob es einer Gemeinde nicht vielmehr dient, ruhige Gebiete auch aktiv zu entwickeln.
Die pflichtgemäße Identifizierung und der daraus zunächst resultierende passive Schutz ruhiger Gebiete würde bei einem solchen Vorgehen den Einstieg in weitere Planungsschritte bedeuten. Dieser kann in zwei Richtungen erfolgen: quantitativ durch aktive und/oder passive Maßnahmen zur Reduzierung der Lärmimmissionen, qualitativ mit einer Aufwertung der Aufenthaltsqualität, um die Ruhe erlebbar zu machen.
Die Entwicklung ruhiger Gebiete muss zunächst auf strategischer Ebene verankert werden. Das betrifft vor allem die Integration in die Stadtentwicklung und hier insbesondere die Landschafts- und Freiraumplanung. In der Regel ist ein integriertes Vorgehen aus Lärmminderungs-, Freiraum-, Stadt- und Verkehrsplanung anzustreben.
Unabhängig davon, ob es sich um ruhige Gebiete in einem Ballungsraum oder auf dem Land handelt, gibt es einige grundsätzliche Vorgehensweisen, die bei der Aufwertung von ruhigen Gebieten beachtet werden sollten. So sollten sie naturgemäß mit den Verkehrsmitteln des Umweltverbundes gut erreichbar sein. Bei Bedarf sind die Angebote zu optimieren (z. B. Ausbau von Radverkehrsanlagen, sichere Querungen für Fußgänger). Im Lärmaktionsplan sollte untersucht werden, ob die für lärmbelastete Bereiche entwickelten Maßnahmen auf das Umfeld ruhiger Gebiete übertragen werden können (z. B. Einbau lärmmindernder Asphaltdeckschichten, Einbeziehung in Tempo-30-Regelungen). Je nach Größe eines Gebiets kann es sinnvoll sein, Pufferzonen durch eine Nutzungsstaffelung von außen (lautere Nutzungen wie z. B. Sportwiesen, Spielplätze, Gastronomie) nach innen (leisere Nutzungen wie z. B. Liegewiesen, intensiv begrünte Bereiche, Wasserflächen) zu schaffen.
Bei ruhigen Gebieten auf dem Land handelt es sich meist um großflächige Bereiche. Hier geht es zunächst darum, auch außerhalb von Ortslagen eindringenden Lärm zu verringern (z. B. durch lärmmindernde Asphaltbauweisen, zulässige Höchstgeschwindigkeiten von <100 km/h oder auch in das Landschaftsbild eingepasste Lärmschutzwälle). Die Niederlande und Belgien gehen einen Schritt weiter und kennzeichnen ruhige Gebiete mit einem eigenen Verkehrszeichen („Stiltegebied“).
Beispiel Belgien
Um Ruhe zu erleben, muss man sie auch genießen können. Bänke, Liegen oder Hängematten gehören deshalb zur Grundausstattung. Aber auch leisen Sportarten (z. B. Angeln) oder Freizeitbeschäftigungen (z. B. Vogelbeobachtung) kann in ruhigen Gebieten nachgegangen werden. Auch hier geht Belgien einen Schritt weiter und zertifiziert ruhige Gebiete bei der Erfüllung festgelegter Kriterien jeweils für die Laufzeit eines Lärmaktionsplans. Zu den Kriterien gehören beispielsweise pädagogische Konzepte zur Vermittlung des Wertes von Ruhe (z. B. Sternguckernacht, Flüsterwanderungen mit Kindern).
Bei ruhigen Gebieten in Ballungsräumen geht es zusätzlich um die Entwicklung von kleineren, wohnungsnahen Flächen. Hier bilden Plätze und Parkanlagen besonders wertvolle Räume. Grenzen ruhige Gebiete an stark belastete Straßenabschnitte, können für diese Straßenabschnitte vorgesehene Maßnahmen gleichzeitig einen Beitrag zur Entlastung von ruhigen Gebieten leisten. Auch hier ist im Einzelfall ist zu prüfen, ob ergänzende verkehrsplanerische Maßnahmen ergriffen werden können (z. B. Einbeziehung angrenzender Straßen in eine Tempo-30-Zone oder Umgestaltung zu einem verkehrsberuhigten Bereich).
Kleinräumlicher Lärmschutz durch Mulden, Hügel und Gabionen oder Bänke mit hohen Rückenlehnen kann im Gebiet selbst Ruhe und Entspannung fördern. Aber auch das Überdecken der Verkehrsgeräusche mit als angenehmer empfundenen Geräuschquellen (z. B. Wasserspiele) oder ein optischer Schutz durch Grün können ergänzend einen Wohlfühlbeitrag leisten.
Jochen Richard
Der Autor
Jochen Richard ist Geschäftsführer des Planungsbüros Richter-Richard in Aachen und Berlin