Vor welchen Herausforderungen steht die Immobilienwirtschaft und öffentliche Bauplanung? Wann kann neu gebaut werden, wann sollte der Bestand angepasst werden? Fragen wie diese diskutierten Experten aus Kommunen und Wirtschaft auf einer Veranstaltung der „360 Akademie“ jüngst in Stuttgart.
In Zeiten angespannter Wohnungsmärkte und dem Aufschrei nach bezahlbarem Wohnraum gerade auch in Metropolregionen wie Stuttgart erscheint es abwegig, ein Bauverbot auszusprechen. Der Buchautor Daniel Fuhrhop tut es mit seiner Streitschrift „Verbietet das Bauen“ dennoch. Ende Januar zeigte er auf Einladung der im Bereich der Immobilienwirtschaft aktiven „360Akademie“ in Stuttgart beispielhaft auf, wie Investitionen für Neubauprojekte an anderer Stelle Leerstand nach sich ziehen können oder Leere durch unbelebte Räume entstehen kann. „Den Potenzialen im Bestand wird zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet“, so Fuhrhops Kernthese.
Nutzerbedürfnisse zu wenig beachtet
Nach Fuhrhops Ansicht wird nicht nur zu viel und an den falschen Stellen und oftmals ohne Kontext etwa eines Quartiersansatzes gebaut, auch die ökologischen Folgen werden nicht ausreichend berücksichtigt. Zudem werde vielfach am Bedarf vorbeigeplant, ohne rechtzeitig die tatsächlichen Nutzerbedürfnisse zu erfassen. Planer und Bauherren schenkten auch den Kosten für den Betrieb einer Immobilie gerade am Anfang einer Planung nicht die ausreichende Aufmerksamkeit.
Fuhrhop, Betriebswirt und ehemals Architekturbuchverleger, hat 50 Werkzeuge, die Neubauen überflüssig machen sollen, im Sinne von Anregungen und Modellen zusammengetragen und nennt als Beispiele Umnutzen, Umbauen, Umziehen bis hin zum Teilen von Räumen.
Man könne den Markt nicht ausblenden, warnte Helmuth Caesar, technischer Geschäftsführer der Städtischen Wohnungs- und Städtebaugesellschaft Stuttgart (SWSG), auf der Veranstaltung. Gerade die kommunale Wohnungswirtschaft verstehe sich als Bestandshalter und setze sich für den Bestandserhalt ein. Eine Anpassung sei zudem keinesfalls günstiger als Neubau, oftmals stehe Aufwand und Mehrwert einer Sanierung in keinem Verhältnis. „Dennoch stellen wir uns der Herausforderung von Bestandsanpassungen gerade auch im bewohnten Zustand“, so Caesar.
Dr. Detlef Kron, Stuttgarter Amtsleiter für Stadtplanung und Stadterneuerung, apelliert: „Eigentum verpflichtet, Bauherrn sind gefordert. Als Stadt können wir nur den Rahmen vorgeben.“ Gleichwohl könne die Politik auf gesellschaftlicher Ebene baukulturelle Akzente setzen. Hier gehe es aber nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein verträgliches Maß von Neubau und Bestandsentwicklung.
Mut zur Verdichtung
Ute Michaelsen, freie Architektin, sprach sich dafür aus, mutiger zu sein im Hinblick auf Verdichtung. „Dabei sollte Bauen keine temporäre, sondern eine langfristige Angelegenheit bleiben“, unterstrich die Mitinhaberin des Stuttgarter Büros „MHArchitekten“. Dass Qualität Zeiten überdauere, bewiesen noch heute Gebäude aus der Gründerzeit, so Michaelsen.
Thomas Kiwitt, leitender technischer Direktor beim Verband Region Stuttgart, der Träger der Regionalplanung und Standortvorbereitung ist, verweist auf den infrastrukturellen Aspekt des Bauens. Dieser zeige sich zum Beispiel in Fragen der Mobiltät. Die Herausforderung bestehe hier darin, die gesellschaftlichen Bedürfnisse wie etwa urban und gleichzeitig naturnah zu wohnen, mit kurzen Arbeitswegen und einer vielfältigen Nahversorgung in Einklang zu bringen.
Aus Fehlern lernen
Die Stadt sei seit jeher geprägt vom Wandel, „Leerstand muss dabei nicht per se schlecht sein“, so die Position von Frank-Peter Unterreiner, Chefredakteur des Online-Mediums „Immobilienbrief Stuttgart“. „Von Veränderungen können immer auch positive Impulse ausgehen etwa für neue Nutzungen.“ Dadurch könne sich die Nutzungsqualität einer Immobilie steigern und eine solche Entwicklung auch immobilienwirtschaftlich einen Mehrwert darstellen. Unterreiner plädiert dafür, sich beim Planen und Bauen auch Fehler zu erlauben, daraus könne man für die Zukunft nur lernen.
Evmarie Zell, Geschäftsführerin des Bauplanungs- und -managementunternehmens Kubus 360, betonte auf dem „Netzwerkabend“ der Akademie die Bedeutung von Nutzungsänderungen. Um Fehlentscheidungen von morgen zu vermeiden, sei es heute entscheidend, der Trägheit von Immobilien ein gewisses Maß an Flexibilität schon zu Beginn einzubauen. Für Tragstruktur, Erschließung und Versorgungsleitungen sollte man verschiedene Nutzungszyklen und ihre unterschiedlichen Anforderungen im Vorfeld berücksichtigen. In Zukunft gehe es dann vielleicht gar nicht mehr um die Frage „Bestand oder Neubau“. Stattdessen heiße es, offen für verschiedene Optionen zu bleiben und den Bedarf und die konkrete Nutzung im Blick zu haben.
Insa Lüdtke
Die Autorin
Insa Lüdtke, Berlin, ist freie Journalistin