Für die dynamische Ermittlung, Bewertung und Vermarktung von Leerständen baut der Landkreis Cham eine GIS- und cloud-gestützte Lösung auf. Bei der Entwicklung wurde auf eine weitgehende Automatisierung der nötigen Arbeitsschritte sowie deren Medienbruchfreiheit geachtet.
Der Landkreis Cham im Südosten der Oberpfalz (Bayern) ist bekannt für innovative Schlüsseltechnologien und E-Government. Er gilt als starkes Mittelzentrum in einer ländlich geprägten Region. Trotzdem oder gerade deswegen macht der oftmals beschriebene demografische Wandel auch vor dieser Region nicht Halt. Die Folgen in Form von leerstehenden Wohngebäuden sind inzwischen mehr oder weniger stark in den kreisangehörigen Gemeinden zu erkennen. Gelingt es nicht für viele dieser Immobilien eine Nachnutzung zu ermöglichen, drohen verödete Ortskerne, Gebäuderuinen und zersiedelte Landschaften. Das trifft neben der bislang sehr starken Tourismusbranche (Stichwort „Landschaftsbild“) mittelfristig auch Demografie, Handel und Gewerbe (Stichwort „Siedlungspolitik“). Zudem stoßen Kommunen bei der Neuausweisung von Bauland immer öfter an planungsrechtliche Grenzen. So bleibt oftmals nur die Reaktivierung von leerstehenden Gebäuden als einzige Möglichkeit, zusätzlichen Wohnraum zu schaffen.
Leerstände aufdecken und vermarkten
Um diesen Trends rechtzeitig und flächendeckend zu begegnen, hat es sich der Landkreis Cham zur Aufgabe gemacht, ein strategisches Siedlungsentwicklungs- und Leerstandmanagementtool zu entwickeln, das Kommunen in die Lage versetzt, Leerstände dynamisch aufzudecken und zu vermarkten. Dieses sollte in das bestehende interkommunale Geoinformationssystem und damit in das kommunale Behördennetz des Landkreises eingebunden werden. Gefördert wird das Projekt durch das Bayerische Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat.
Die zentrale Herausforderung dieses Projekts war die Entwicklung eines Konzepts zur automatisierten, spontan wiederholbaren Leerstandsanalyse, wobei sich der Erfassungsbereich nicht nur auf eine oder einige wenige Gemeinden beschränkt, sondern auf einen Flächenlandkreis. Außerdem wurde bei der Entwicklung auf eine weitgehende Automatisierung der nötigen Arbeitsschritte sowie deren Medienbruchfreiheit geachtet. Die Grundlage dafür sollte die vorhandene, homogene Geodateninfrastruktur des Landkreises sein. Nur so kann eine einheitlich hohe Qualität und Vergleichbarkeit der Ergebnisse gewährleistet werden.
Der technisch anspruchsvollste und zugleich erste Schritt hin zu einem semiautomatischen Leerstandsmanagementtool ist eine GIS-Berechnung aller potentiellen Leerstände zu einem bestimmten Zeitpunkt. Sie wird via Geoprocessing im Programm „ArcGIS Desktop“ von Esri durchgeführt. Für jede Adresse eines Wohngebäudes im Amtlichen Liegenschaftskataster-Informationssystem (ALKIS) im Landkreis wird – vereinfacht dargestellt – überprüft, ob ein Eintrag in entweder den (anonymisierten) Einwohnermeldedaten (EWO), den Gewerbeanmeldungen (GWAN) oder in einer überregionalen Tourismusdatenbank vorhanden ist. Ist dies nicht der Fall, kann das Gebäude als potentieller Leerstand weiterverarbeitet werden.
Eine digitale Liste dieser potenziellen Leerstände wird dann den kreisangehörigen Gemeinden zur Überprüfung (und ggf. Korrektur) elektronisch übermittelt. Mit den Ergebnissen dieses Workflows wird der Außendiensteinsatz mit einer mobilen GIS-Lösung vorbereitet. Dieser ist nötig, um Wohngebäude mit allen spezifischen Merkmalen zu beschreiben. Zur Koordination des Außendiensteinsatzes wird „ArcGIS Online“ in Verbindung mit „Workforce for ArcGIS“ verwendet. Damit ist es möglich, den Außendienstmitarbeitern alle relevanten Auftragsdaten und Kartenmaterialien auf mobilen „iOS“-Endgeräten (feldtaugliche „iPad“) zur Verfügung zu stellen. Diese können ihre Auftragslisten nun online oder bei fehlendem Mobilfunkempfang auch offline-synchronisiert abarbeiten. Mit der in den Workflow integrierten App „Navigator for ArcGIS“ werden sie zudem gezielt zu den zu erfassenden Objekten geführt, um dort wiederum mittels „Survey123 for ArcGIS“ die Aufnahme von Vor-Ort-Daten zu beginnen.
In Kooperation mit einem Landschaftsarchitekten wurden formularbasierten Erfassungsinhalte, wie beispielsweise Gebäudetyp, -alter und -nutzung, Anzahl der Vollgeschosse, Bauzustand und Fotovoltaik erarbeitet.
„Veredelung“ mit weiteren Geofachdaten
Ist eine Bestandserhebung für eine Gemeinde abgeschlossen, kann man die Leerstände zusätzlich mit weiteren Geo-Fachdaten „veredeln“. So werden unter anderem baurechtliche Aspekte analysiert (Baudenkmal, Bodendenkmal, Innen-/Außenbereich) und Erreichbarkeitsanalysen zu ausgewählten Infrastruktureinrichtungen (z. B. Ärzte, Kindergärten, Schulen) durchgeführt. Hierüber können automatisierte Aussagen über die Attraktivität eines Standorts getroffen werden. Im GIS-Programm wird anschließend für jeden so dokumentierten Leerstand ein semiautomatisches Exposé mithilfeeiner sogenannten Kartenserie erzeugt. Das Einbeziehen monetärer und sensibler Aspekte wie Bodenrichtwerte und -schätzungen wäre technisch machbar; ebenso eine Analyse der Altersstrukturen von Eigentümern und Bewohnern für mittel- und langfristige Planungen.
Die kreisangehörigen Gemeinden können eine interne Weiternutzung im Intranet des hiesigen kommunalen Behördennetzes betreiben. Die für eine Vermarktung geeigneten Objekte, natürlich im Benehmen mit den Eigentümern, sollen schlussendlich auf der Cloud-Plattform „ArcGIS Online“ attraktiv präsentiert werden.
Da es sich bei den verwendeten Daten und Analyseergebnissen teilweise um sensible Informationen handelt, werden alle personenbezogenen und personenbeziehbaren Inhalte ausschließlich intern und in anonymisierter Form verarbeitet. Außerdem betreibt der Landkreis das Projekt bislang pilothaft und formal als Auftragsdatenverarbeitung für seine kreisangehörigen Gemeinden in einem geschlossenen Nutzerkreis.
Der gesamte Prozess befindet sich noch in der Erprobungsphase, wobei bereits mehr als die Hälfte der 39 Gemeinden im Innen- und Außendienst bearbeitet wurde. Aktuell beginnt die Validierung der Ergebnisse über einen zweiten Berechnungslauf mit aktualisierten Datengrundlagen. So wird erstmalig eine einheitliche Grundlage für eine erfolgreiche Siedlungspolitik in einem kompletten Landkreis geschaffen. Seine Kommunen erhalten als Dienstleistung fundierte Kenntnisse über Quantität und Qualität von Leerständen und können diese Aspekte in ihrer Siedlungspolitik berücksichtigen.
Ulrich Huber / Jonathan Reger
Die Autoren
Dr. Ulrich Huber leitet das Sachgebiet Organisation, IuK, GIS beim Landratsamt Cham (Bayern), Jonathan Reger ist Projektmitarbeiter beim Landratsamt Cham