Zahlreiche Kommunen beklagen Personalmangel. Was tun? Andreas Hemsing, Bundesvorsitzender der Komba-Gewerkschaft, rät dazu, die Vorteile des öffentlichen Dienstes selbstbewusst darzustellen. Im Interview spricht er außerdem über die Entwicklung der Einkommen und zeitgemäße Ausbildungswege.
Herr Hemsing, viele Kommunen suchen heute lange nach Fachkräften. Das Problem wird sich mit den Pensionierungswellen in den kommenden Jahren verstärken. In welchen Bereichen ist die Personalnot aktuell am größten?
Hemsing: Vor allem in den sogenannten MINT-Bereichen – Mathematik, Ingenieurswesen, Naturwissenschaften, Technik – fehlt Personal. Das gilt sowohl für den akademischen Zweig als auch für die berufliche Bildung. Außerdem mangelt es an Fachkräften im Erziehungsdienst und der Pflege. Die allgemeine Verwaltung beklagt ebenso ein Fehlen von Personal in allen Bereichen. Der demografische Wandel macht sich dort bereits überall bemerkbar. Bei der Stadt Köln fehlen beispielsweise insgesamt rund 1900 Vollzeitstellen. So viele Stellen müssten besetzt werden, damit anfallende Aufgaben adäquat erledigt werden können. Das ist keine Ausnahme. In unterschiedlichen Größenordnungen beklagen zahlreiche Kommunen Stellen- und Personalmangel.
Benötigtes Know-how fallweise extern einzukaufen, wird zumal für jene Kommunen kaum infrage kommen, die finanziell nicht gut gestellt sind. Welche Perspektiven bietet in dieser Situation etwa die interkommunale Zusammenarbeit?
Hemsing: Das Outsourcing von Dienstleistungen, die in kommunale Hand gehören, war beliebt. Die in diesem Zusammenhang getroffene Aussage „Privat vor Staat“ erwies sich besonders im Bereich der Daseinsvorsorge als Irrglaube. Inzwischen wird wieder stärker rekommunalisiert. Durch Auslagerungen gingen den Kommunen allerdings Leistungen und die personelle Fachlichkeit verloren. Wer zum Beispiel eine Brücke bauen lässt und über keine eigenen Ingenieure verfügt, die für eine Überwachung sorgen, muss sich über Zusatzkosten nicht wundern. Klar ist auch, dass nicht jede Kommune jede Fachlichkeit vorhalten kann. An dieser Stelle könnte interkommunale Zusammenarbeit als eines von mehreren Puzzleteilen ansetzen.
Mit welchen Argumenten kann es der öffentlichen Verwaltung gelingen, künftig junge Leute für sich zu gewinnen und zu halten?
Hemsing: Dem öffentlichen Dienst fällt es schwer, selbstbewusst und offensiv mit den eigenen Vorzügen auf mögliche Bewerber zuzugehen. Seine Vorteile müssten schon in der Schule und auf Jobmessen klarer herausgestellt werden. Die Entwicklung sollte auch hin zu dualen Studiengängen gehen, damit potenzielle Beschäftigte bereits frühzeitig an den öffentlichen Dienst gebunden werden und seine Vorteile zu schätzen lernen. Denn ein guter Gehaltsscheck ist zwar ein wichtiges Kriterium, aber andere Faktoren wie flexible Arbeitszeitmodelle und familienfreundliche Arbeitsbedingungen sind ein immer wichtiger werdendes Pfund. Freizeit als Währung spielt eine zunehmende Rolle.
Welche Bedeutung messen Sie der Tarifpolitik und der Besoldung in der Personalgewinnung bei?
Hemsing: Zur Attraktivität eines Berufs zählt natürlich ein gutes Einkommen. Ein Instrument gegen den herrschenden Fachkräftemangel ist definitiv ein attraktiver Flächentarifvertrag, der sich wettbewerbsfähig gegenüber der Marktlage zeigt. Die Einkommensbedingungen müssen sich deutlich entwickeln. In allen Bereichen des öffentlichen Dienstes haben wir Nachholbedarf. Zudem verschärft die angespannte Bewerberlage die Situation unter den Kommunen. Es ist keinesfalls im Sinne der Bürger sowie einer funktionierenden Infrastruktur, wenn die Kommunen je nach Kassenlage übertariflich bezahlen und somit ärmere Gemeinden das Nachsehen haben. Eine derartige Verzerrung hilft nicht weiter.
Werden die Ausbildungswege und -abschlüsse im öffentlichen Dienst der Personalsituation gerecht?
Hemsing: Nein, das werden sie nicht. Die Ausbildungssituation ist aktuell nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Die Konzepte müssen modularer und flexibler ausgerichtet werden. Auch für Seiteneinsteiger sollten die Einstiegsmöglichkeiten attraktiver werden. Mit starren Systemen sprechen wir perspektivisch nicht genügend junge Leute und Fachkräfte an, um die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand, besonders auf kommunaler Ebene, zu erhalten.
In welchen Bereichen wünschen Sie sich zum Beispiel mehr Flexibilität, was die Anerkennung von Qualifikationen betrifft?
Hemsing: Ein großes Thema sind die technischen Studiengänge. Wir sollten überlegen, auch ein duales Studium in diesem Bereich anzubieten. Hinzu kommt, dass zahlreiche Bachelorabschlüsse noch immer nicht mit entsprechenden Eingruppierungsrichtlinien im Tarifvertrag hinterlegt sind. Da brauchen wir dringend eine adäquate Neuregelung. Für Fachkräfte, die sich weiterbilden möchten, müssen wir Sorge tragen, dass eine Weiterbildung am Arbeitsplatz sowohl monetär als auch aufgabenspezifisch honoriert wird. Dies ist häufig nicht der Fall. Wenn es um die Anerkennung von Qualifikationen geht, gehört ebenfalls, als ein Baustein gegen Fachkräftemangel, die Gestaltung grenzübergreifender Lösungen zwingend dazu.
Wenn aufgrund von mangelndem Personal Aufgabenbereiche in der Verwaltung zusammengelegt werden, steigen die fachlichen Anforderungen an die Entscheidungsträger. Ein Grund mehr, die Bedeutung des lebenslangen Lernens zu betonen?
Hemsing: Lebenslanges Lernen betrifft alle Beschäftigten, nicht nur die Entscheidungsträger. Lernen und Fortbilden muss zur Selbstverständlichkeit werden. Gerade auch im Hinblick auf die Digitalisierung wird sich die Personalsituation ändern. Der Einsatz von Beschäftigten in anderen als den bisher ausgeübten Aufgabenfeldern wird erforderlich sein. Dafür müssen die Kollegen allerdings über die nötigen Kompetenzen verfügen und rechtzeitig weitergebildet werden. Je generalistischer jemand aufgestellt ist, umso größer die Einsatzmöglichkeiten. Dies trifft vor allem auf kleinere Kommunen zu.
Haben Städte aufgrund ihrer Anziehungskraft Vorteile in der Gewinnung von Nachwuchs für die Verwaltung gegenüber Landgemeinden? Wo sehen Sie besondere Herausforderungen des kommunalen Personalmanagements im ländlichen Raum?
Hemsing: Ballungsräume sind auf den ersten Blick attraktiver für Nachwuchskräfte. Wenn es aber darum geht, das eigene Lebensmodell zu finden und Familie dazu kommt, ist bezahlbarer Wohnraum in den Städten bereits jetzt endlich und Prioritäten werden bisweilen anders gesetzt. Darin besteht eine Chance für ländliche Räume. Allerdings wollen Beschäftigte Entwicklungsmöglichkeiten haben. Sehen sie diese in kleinen Kommunen nicht, entscheiden sie sich womöglich doch für die größere Stadt. Mit interkommunaler Zusammenarbeit oder einem Zusammenschluss von Verbandskommunen lässt sich jedoch eine gewisse Vielseitigkeit im ländlichen Raum bewahren. Auch in diesem Bereich ist mehr Flexibilität gefragt.
Interview: Jörg Benzing
Zur Person: Andreas Hemsing (Jg. 1964) ist seit 2016 Bundesvorsitzender der Komba-Gewerkschaft sowie Landesvorsitzender der Komba-Gewerkschaft Nordrhein-Westfalen. Zudem ist er stellvertretender Vorsitzender der Bundestarifkommission des DBB Beamtenbund und Tarifunion.