„Ein stetiger Lernprozess für alle“

Weit über 140 Nationen sind in der Einwohnerschaft der niedersächsischen Stadt Wolfsburg vertreten. Das verpflichtet, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Im Interview mit der Redaktion spricht Oberbürgermeister Klaus Mohrs über zentrale Aspekte der Entwicklungszusammenarbeit seiner Kommune.

Herr Oberbürgermeister Mohrs, warum engagiert sich Ihre Stadt in der kommunalen Entwicklungszusammenarbeit?

Mohrs: Wolfsburg ist eine sehr junge, moderne und vor allem weltoffene Stadt, in deren Bevölkerung 147 Nationalitäten vertreten sind. Wir sind stolz auf ein buntes Stadtbild, das friedliche Miteinander der Kulturen und Religionen und die gelungene Integration von Bürgerinnen und Bürgern mit Zuwanderungsgeschichte. Im Rahmen von inzwischen 15 Städte-freundschaften und -partnerschaften werden weltweit Verbindungen gepflegt. Entwicklungszusammenarbeit eröffnet ein neues und heute sehr wichtiges Standbein internationalen Engagements. Wir spüren als Kommune stark, welche Auswirkungen die globalen Probleme auf uns haben und zunehmend wird uns bewusst, dass wir globale Entwicklungen durch lokales Handeln beeinflussen können und deshalb hier Verantwortung übernehmen müssen.

Entwicklungszusammenarbeit ist zunächst einmal Sache des Bundes. Der fördert inzwischen kommunales Engagement auf diesem Gebiet. Wie muss man sich das für Wolfsburg vorstellen?

Mohrs: Kommunale Entwicklungszusammenarbeit gilt noch immer als freiwillige Aufgabe, die mit den vorhandenen Ressourcen nicht zusätzlich geleistet werden kann. Auf den Ruf nach Personal, Bereitstellung von Know-how und finanziellen Mitteln hat die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt mit dem Angebot Koordination kommunaler Entwicklungspolitik reagiert. Wir freuen uns, dass unsere Stadt seit Januar 2017 zu den ersten Kommunen gehört, denen eine Personalstelle aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für dieses Aufgabenfeld bewilligt wurde. Unsere neue Koordinatorin soll die Entwicklungszusammenarbeit in Wolfsburg als Querschnittsaufgabe etablieren. Dazu gehört neben der Bewusstseinsbildung in Politik und Verwaltung unter anderem der Aufbau funktionsfähiger Strukturen entwicklungspolitischen Engagements. Wir streben zum Ende des Jahres einen entwicklungspolitischen Ratsbeschluss an und werden die Entwicklungszusammenarbeit gezielt ausbauen.

Was versprechen Sie sich für Ihre Stadt durch das Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit?

Mohrs: Ich meine, der größte Mehrwert ist der stetige Lernprozess, den alle Beteiligten erfahren. Durch die Projekte können neue Kontakte geknüpft werden, fachübergreifendes und grenzüberschreitendes Denken und Handeln werden gefördert, ebenso sprachliche und interkulturelle Kompetenzen. Unsere alltägliche Arbeit profitiert davon, Nachhaltigkeit und globale Zusammenhänge in Maßnahmen mitzudenken und Menschen unterschiedlichster Kulturen besser verstehen und erreichen zu können. Diese Sensibilisierung schlägt sich gesamtstädtisch und ganz individuell im bewussten Umgang mit Ressourcen, der Reflexion des Konsumverhaltens und der Motivation zu gesellschaftlichem Engagement nieder.

Können Sie anderen Kommunen Entwicklungszusammenarbeit empfehlen?

Mohrs: Ja! Denn sie steht für eine weitsichtige gemeinsame Entwicklung von und in Kommunen, und zwar auf Augenhöhe. Sie fördert die lokale und globale Solidarität und nimmt die Menschen mit. Ein solches Engagement ist heute unabdingbar. Wir können mit unserem Handeln wirklich etwas bewirken: Durch Austausch und Kooperationen investieren wir in demokratische Werte, Freiheit und Gerechtigkeit. In Zeiten, wie wir sie erleben, ist es wichtig, Zeichen gegen die europäische Instabilität, gegen staatliche Eigeninteressen und internationale Konflikte zu setzen und den Zusammenhalt zu fördern.

Welche Ressourcen, monetär, zeitlich und gesellschaftlich, steckt Ihre Kommune in die Entwicklungszusammenarbeit?

Mohrs: Aktuell beteiligen wir uns an zwei zweijährigen projektbasierten Entwicklungspartnerschaften, die organisatorische sowie finanzielle Förderung erfahren und sich stark auf die Freistellung personeller Ressourcen konzentrieren. Wie die meisten Kommunen sind wir auf Unterstützung angewiesen. Mit unserer Koordinatorin steht uns nun eine vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit geförderte Vollzeitstelle mit Projektmitteln zur Verfügung, um Wolfsburger Maßnahmen zu koordinieren und umzusetzen. Die Auswahl erfolgt stets in Rücksprache mit relevanten Fachbereichen und Partnern, unter Berücksichtigung unserer Möglichkeiten und des Nachhaltigkeitsgedankens sowie des Aspekts des gegenseitigen Lernens.

Wie stehen Politik und Bürgerschaft zur Entwicklungszusammenarbeit?

Mohrs: Unser Anliegen, die internationalen Beziehungen der Stadt zu erweitern und mit dem zivilgesellschaftlichen Engagement zu verknüpfen, wurde von den Bürgerinnen und Bürgern sehr positiv aufgenommen. Unsere Aktivitäten in der Entwicklungszusammenarbeit stehen vor dem Hintergrund des Ratsbeschlusses zur Wolfsburger Agenda 21, die den Ausbau entwicklungspolitischen Engagements einschließt. Wir legen großen Wert darauf, Politik, Verwaltung und Bevölkerung von Beginn an einzubinden und Transparenz herzustellen.

Interview: Annika Wieland

Zur Person: Klaus Mohrs (Jg. 1952) steht seit Januar 2012 an der Spitze von Wolfsburg (rund 125.000 Einwohner, Niedersachsen). Der Diplom-Pädagoge hatte dort 1980 die Stelle als Stadtjugendpfleger angetreten, 1990 dann die Leitung des Jugendamtes übernommen. 2001 wurde er Erster Stadtrat (Ressorts Jugend, Schule, Integration und Personal). Seine Wahl zum OB im September 2011 erfolgte mit absoluter Mehrheit (63,1 %). Das SPD-Mitglied Mohrs ist verheiratet und hat zwei Kinder.