Berufliches Wissen veraltet zunehmend schneller. Daher müssen Lerninhalte laufend aktualisiert werden. Wie das Modell Microlearning hierauf reagiert und was die Corona-Krise für die Weiterbildung bedeutet, erläutert Michael Bursik, Experte für digitale Lernformen bei der Haufe-Akademie.
Herr Bursik, der Wandel der Arbeitswelt erfordert von den Beschäftigten beständige Weiterbildung. Welche Vorteile haben digitale Bildungsformate gegenüber klassischen Angeboten wie Seminaren oder Fachbüchern?
Bursik: Die Antwort steckt schon in Ihrer Frage, denn wo ständige Weiterbildung erforderlich ist, kommt man mit punktuellen Maßnahmen nicht wirklich weiter. Mit digitalen Formaten ermöglicht man einen kontinuierlichen Zugang zu Wissen und entkoppelt das Lernen vom klassischen „Klassenzimmer“. So holt man Weiterbildung direkt an den Arbeitsplatz und bleibt auf dem aktuellen Stand. Mit digitalen Angeboten wachsen Lernen und Arbeiten stärker zusammen. Doch am Ende ist es kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Eine gute Technologie unterstützt auch die Nachhaltigkeit klassischer Lernangebote.
Bildungsforscher betonen die wachsende Bedeutung informeller Lernprozesse. Was ist damit gemeint?
Bursik: Neueste Studien zeigen, dass nur 15 Prozent der Inhalte aus formalen Lernprozessen in die tatsächliche Anwendung kommen. Wesentlich mehr wird informell gelernt, doch es ist schwierig dies genau abzugrenzen. In der Theorie zählt man dazu den Austausch mit Kollegen, den Besuch von Netzwerkveranstaltungen oder die Übernahme von Stretch-Assignments. Letzteres sind besondere Arbeitsaufgaben, die den Aufbau von neuen Kompetenzen erfordern. Die einfachste Definition für den Begriff der informellen Lernprozesse wäre zu sagen, dass es all jene Lernprozesse sind, die ohne die offizielle Rolle eines „Lehrers“ stattfinden. Digitale Plattformen können den informellen Austausch fördern und so die Nachhaltigkeit von Wissensvermittlung steigern.
Die Corona-Krise zeigt gleichermaßen die Notwendigkeit und das Potenzial dezentral vernetzter Arbeitsorganisation. Erwarten Sie einen Schub für die Akzeptanz digitaler Weiterbildungsangebote?
Bursik: Wir spüren die gesteigerte Nachfrage bereits seit Wochen. Um Menschen dabei zu unterstützen, selbst eine Chance aus der Krise zu ziehen, haben wir einen Teil unseres digitalen Angebots auf unserer Plattform frei zur Verfügung gestellt. Die Resonanz ist unglaublich positiv und zeigt die breite Akzeptanz für digitale Weiterbildung: Innerhalb weniger Stunden hatten wir mehrere tausend Nutzer auf der Plattform, und seitdem steigen die Nutzungszahlen exponentiell. Die Corona-Krise hat hier definitiv eine Entwicklung beschleunigt, die sich schon seit Jahren abzeichnet.
Junge Beschäftigte bringen ihre digitalen Gewohnheiten mit an ihren Arbeitsplatz zum Beispiel in der Verwaltung und erwarten entsprechend modellierte Lernangebote. Wie sollte das kommunale Personalmanagement darauf reagieren?
Bursik: Die Nutzung digitaler Helfer ist keine Frage des Alters mehr. Mittlerweile verfügt fast jeder über ein Smartphone, und Dienste wie Google oder Youtube haben unser aller Lerngewohnheiten verändert. Lediglich die Toleranz gegenüber antiquierter IT-Infrastruktur und unzeitgemäßen Prozessen in der Arbeitsumgebung ist bei den „Digital natives“ nicht so hoch wie bei Menschen, die noch „analog“ beruflich sozialisiert wurden. Ein attraktives Arbeitsumfeld und eine gute Arbeitgebermarke sind auch für Kommunalverwaltungen wichtig. Gerade junge Mitarbeiter bringen viel digitales Know-how ins Unternehmen und konsumieren nicht nur digitale Medien, sondern produzieren auch wertvolle Inhalte. Personalmanager können hier beispielsweise mit Reverse-Mentoring-Programmen gegenseitiges Verständnis schaffen und so den Wissenstransfer in der Belegschaft fördern.
Die Lernkultur verändert sich bei unverändertem Bedarf an Wissenstransfer innerhalb einer Organisation. Bitte skizzieren Sie, was das Modell Microlearning in dieser Situation leisten kann.
Bursik: Die Aufspaltung von Lerninhalten in Kleinstteile ist schon seit mehreren Jahren ein Trend und hat sich in vielen Bereichen bewährt. Einerseits veraltet unser Wissen zunehmend schneller, das heißt Lerninhalte müssen laufend aktualisiert werden. Andererseits lassen sich kurze Bildungseinheiten, sogenannte Nuggets, sehr viel leichter in den Arbeitsalltag integrieren als langwierige Klickwüsten. Spannend wird es, wenn man die eigenen Mitarbeiter befähigt, selbst ihr Wissen zu teilen und dadurch zum Produzenten von Lerninhalten zu werden. Ein Update der Lernkultur lässt sich aber nur durch die Kombination von Maßnahmen erreichen. Neben der Wahl der richtigen Methode ist es auch die Abstimmung von organisationalen Maßnahmen und die Befähigung der Mitarbeiter. Für eine neue Lernkultur braucht es ein Wollen, Können und Dürfen oder auf Neudeutsch: Das richtige Mindset, Skillset und Toolset.
Die moderne Personalentwicklung versteht Weiterbildung als integralen Bestandteil des Arbeitsprozesses. Was bedeutet diese Flexibilisierung für die Konzeption von Lerninhalten?
Bursik: Digitale Medien befinden sich in einem ständigen Kampf um die Aufmerksamkeit des Nutzers. Will ich das Lernen in den Arbeitsprozess sinnvoll integrieren, dann konkurriere ich mit der „produktiven“ Zeit. Der Mitarbeiter muss entscheiden, ob er seine Zeit in eine Lerneinheit stecken möchte oder doch lieber erst den Stapel an Aufgaben abarbeitet. Wichtig bei der Konzeption von Lerninhalten ist es deshalb, den Nutzen der Lerneinheit möglichst schnell und klar zu transportieren. Denn im Gegensatz zu einem Präsenztraining, wo alle Störfaktoren für das Lernen entfernt werden können, ist die Ablenkung am Arbeitsplatz sehr groß. Dem kann man entgegenwirken, in dem man expliziten Raum für Lernen schafft. Ein großer Trend ist deshalb auch das Social Learning. Hier wird mittels digitaler Technologien gemeinsam gelernt, was die Motivation der Teilnehmenden wesentlich erhöht und eine Fokussierung erlaubt.
Wenn Beschäftigte künftig verstärkt selbstgesteuert lernen, zum Beispiel durch Teilnahme an individuell terminierbaren Webinaren oder Beteiligung an Wissensplattformen im Intranet, welche Rolle kommt dann den Führungskräften zu? Sind sie die Mentoren?
Bursik: Ich wäre vorsichtig damit, die Rolle der Führungskraft noch weiter zu überladen. Persönliche und berufliche Weiterentwicklung sind Dinge, die stark in der Eigenverantwortung des einzelnen Mitarbeiters liegen. Diese gilt es zu stärken, um Selbststeuerung zu fördern. Die Führungskraft kann Mitarbeitern als Coach zur Seite stehen und darauf achten, dass Raum und Zeit für Weiterbildung vorhanden sind. Als Mentoren eignen sich Peer Groups und Fachexperten besser. Denn für effizientes Lernen braucht man psychologische Sicherheit, also einen Raum, in dem man Fehler machen kann. Bei einem Mentor mit disziplinarischer Verantwortung kann dies schwierig werden. Die Stärke der Führungskraft zeigt sich darin, wie viel Führungsverantwortung sie an die Mitarbeiter abgeben kann.
Interview: Jörg Benzing
Zur Person: Michael Bursik (Jg. 1979) unterstützt Unternehmen dabei, ihr internes Wissen verfügbar zu machen. Er ist Senior Learning Strategist bei der Haufe-Akademie, einem Unternehmen der Haufe Group. Die Haufe-Akademie ist Lösungsanbieter für Qualifizierung und Entwicklung von Menschen und Unternehmen.
Info: Die Haufe-Akademie stellt einen Teil ihres digitalen Angebots frei zur Verfügung