Die Verkehrsunternehmen rechnen für die kommenden Jahre mit einem großen Bedarf an neuen Mitarbeitern. Was die Branche unternimmt, um Bewerber anzusprechen, und was die Jobbörse In-dir-steckt-Zukunft.de bietet, erläutert Ingo Wortmann, Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen.
Herr Wortmann, Fachkräftemangel kennzeichnet viele Arbeitsbereiche im öffentlichen Dienst. Sie sagen, die Verkehrsunternehmen brauchen in den kommenden Jahren, um wachsen zu können, 50.000 Mitarbeiter. Wo sollen die herkommen?
Wortmann: Im Grunde von überall her! Was kaum jemand weiß: Wir bieten in unserer Branche 78 verschiedenen Berufsbilder. Da ist vom Quereinsteiger bis zur hochqualifizierten Fachkraft alles gefragt. Natürlich müssen wir uns auf den Arbeitsmärkten umschauen – national und international. Und wir stehen auch in Konkurrenz zu anderen Branchen. Aber wir haben eben auch einiges zu bieten: sichere, oft regional verankerte Arbeitsplätze, die nachhaltig und – Stichwort Klimakrise – sinnstiftend sind.
Wie ist die Personalsituation bei der Münchner Verkehrsgesellschaft, der Sie vorstehen?
Wortmann: Was für die Branche gilt, gilt für uns in München natürlich auch. Dadurch, dass wir im Stadtbild stark verankert und damit bekannt sind, haben wir einen Vorteil. Und wir kennen als lokales Unternehmen die Bedürfnisse der Menschen, die dort leben. Bezahlbarer Wohnraum ist in München beispielsweise ein Dauerthema. Deswegen werden wir weiter Werkswohnungen bauen. Da sind wir im Stadtwerke-Konzern in München Vorreiter. Eine andere Maßnahme, die sehr erfolgreich angelaufen ist, ist unsere MVG-Bewerbungstram. Sie fährt das nächste Mal am 12. November – und ist außerordentlich erfolgreich. Dennoch müssen wir dranbleiben, dürfen uns keine Verschnaufpause gönnen. Unsere Leute sind unser Kapital.
Schichtdienst ist nicht jedermanns Sache, bei den langen täglichen Betriebszeiten im ÖPNV aber unabdingbar. Mit welchen positiven Aspekten werben die Verkehrsbetriebe um neue Mitarbeiter gerade im Fahrdienst?
Wortmann: In der Branche hat ein Umdenken stattgefunden. Auch bei uns haben dort, wo es geht, flexible Arbeitszeitmodelle Einzug gehalten. Diesen Weg werden wir weitergehen. Die Kollegen sprechen viel stärker beim Schicht- und Dienstplan mit. Das schafft Akzeptanz. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nimmt gerade bei jüngeren Kolleginnen und Kollegen einen immer höheren Stellenwert ein.
Einen Busführerschein zu erlangen, kostet bis zu 10.000 Euro. Das ist viel Geld. Zu viel, um damit Bewerber oder Auszubildende in großer Zahl anzusprechen?
Wortmann: Viele Verkehrsunternehmen bezahlen oder bezuschussen den Busführerschein für die künftigen Fahrerinnen und Fahrer. Kleinere Unternehmen versuchen, dieses Thema über den Qualifizierungsmarkt zu organisieren. Oft gibt es auch Förderprogramme von der Agentur für Arbeit, die diese Qualifizierung unterstützen.
Online-Stellenbörsen gibt es viele, auch die Option, nach Branchen und Regionen zu selektieren. Was bietet das neue Jobportal der Verkehrsbetriebe darüber hinaus? Was finden die Besucher unter www.in-dir-steckt-zukunft.de?
Wortmann: Ich kenne keine Branche, die ihren ganzen Sektor mit einer einzigen Stellenbörse abgedeckt hat, sie ist dementsprechend einzigartig. Bus- und Bahnverkehr und der Schienengüterverkehr sind hier nahezu komplett vertreten. Wir haben unsere Berufswelt vollständig abgebildet, stellen diese vor und natürlich auch unsere 600 Verkehrsunternehmen. Die offenen Stellen aus der gesamten Branche bundesweit werden automatisch gesammelt und auf dieser einen Plattform für potenzielle Bewerberinnen und Bewerber übersichtlich angezeigt. Aktuell sind dort über 5000 Jobs im Angebot.
Welche Möglichkeiten haben Arbeitgeber, sich auf dem Portal zu präsentieren?
Wortmann: Über unser Branchenverzeichnis ist jedes Unternehmen zu finden und es kann sein Profil und seine Alleinstellungsmerkmale individuell darstellen und pflegen. Besonders gut finde ich, dass wir unseren Mitgliedsunternehmen helfen, sich selbst zu helfen: Wir bieten zum Beispiel Lösungen an, um bundesweit mit wenigen Klicks Anzeigen zu schalten – inklusive Branchenrabatt. Das kommt gut an.
Wie bewerten Sie die Perspektiven der Verkehrsunternehmen im Blick auf den Wandel vom reinen Bus- und Bahnbetrieb zum Mobilitätsdienstleister? Welche, womöglich auch neue, Berufsgruppen spricht diese Entwicklung an?
Wortmann: Wenn die Unternehmen zu Mobilitätsdienstleistern werden – und das müssen sie – verändern sich auch gewisse Anforderungen an die dortige Arbeit. Es geht darum, wie Mobilitätsmöglichkeiten räumlich gestaltet werden können, sodass möglichst wenig Verkehr bei effizienter Flächennutzung entsteht. Ob mit Bus und Bahn, per Rad, Taxi oder zu Fuß spielt erstmal keine Rolle, das Ganze soll folgerichtig verkehrsträgerübergreifend erlernt und angewendet werden. Dieser Gedanke von Vernetzung verschiedener Angebote und Multimodalität entspricht ja auch längst dem Mobilitätsverhalten der Menschen, vor allem in Großstädten und Ballungsräumen. Teilweise ist dies schon lange Bestandteil bei Studiengängen im Bereich Bauingenieur- und Verkehrswesen. Dies müssen wir weiter schärfen, da diese Kenntnisse oft aufgrund der teilweise sektoralen Herangehensweise im Rahmen der Verkehrsplanung nicht abgerufen wurden.
Interview: Jörg Benzing
Zur Person: Ingo Wortmann (Jg. 1970) ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) und Geschäftsführer für den Bereich Mobilität der Stadtwerke München. Seit 6. November 2018 ist Wortmann Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV)