In den angespannten Märkten haben über die Hälfte der Deutschen Probleme, eine bezahlbare Wohnung zu finden. der gemeinderat sprach mit Eva Lohse, der Präsidentin des Deutschen Städtetages, über die Hintergründe des Engpasses, die Wohnungspolitik der Kommunen und deren Handlungsoptionen in diesem wichtigen Bereich lokaler Infrastrukturpolitik.
Frau Lohse, lange Zeit wurde der kommunale Wohnungsbau vernachlässigt, jetzt, in der Zeit hoher Bauland- und Mietpreise, fehlen bezahlbare Wohnungen. Warum ist die Wohnraumversorgung als eine der zentralen lokalen Infrastrukturaufgaben aus dem Blick geraten?
Lohse: Ich würde nicht von Vernachlässigung sprechen. Während in den 1990er-Jahren noch sehr viele Wohnungen gebaut wurden, galt zu Beginn der 2000er-Jahre die Wohnungsfrage als gelöst. Sämtliche Prognosen wiesen eine schrumpfende Bevölkerung aus. In der Erwartung, künftig deutlich weniger planen und bauen zu müssen und wegen deutlich geringerer Investitionskraft der Kommunen insgesamt in den vergangenen 25 Jahren sank in der Folge auch das Personal in den Wohnungs-, Bau- und Planungsämtern. Mit derselben Begründung fuhren Bund und Länder ihre wohnungsbaupolitischen Förderinstrumente stark zurück. Inzwischen hat sich die Situation wieder verändert, der Wohnungsbedarf ist aus verschiedenen Gründen gestiegen. Der Markt reagiert darauf. Seit einigen Jahren steigt die Zahl der erteilten Baugenehmigungen wieder deutlich.
Allerdings nicht in dem Maße, um die hohe Nachfrage zu decken …
Lohse: Es reicht nicht überall aus, richtig. Vor allem in Groß- und Universitätsstädten mit wachsenden Einwohnerzahlen ist es für viele Menschen schwierig, bezahlbare Wohnungen zu finden. In anderen Städten und Regionen dagegen drohen Leerstände und Preisverfall. Die Städte müssen also immer wieder auf sehr unterschiedliche Entwicklungen reagieren. Um zukünftig dieses Auf und Ab zu vermeiden, setzt sich der Deutsche Städtetag für eine langfristige und ressortübergreifende Wohnungs- und Bodenpolitik ein.
Wie stellt sich Ihr Verband zur Forderung des Bundes an die Bundesländer und die Kommunen, sich stärker im Wohnungsbau zu engagieren und mit mehr personellen und finanziellen Ressourcen noch aktiver die Baulandentwicklung voranzubringen?
Lohse: Ein knappes Flächenangebot und hohe Preise für angebotene Bauflächen sind der Flaschenhals beim Wohnungsbau. Viele Kommunen bemühen sich deshalb um eine aktivere Baulandpolitik. Sie sind bestrebt, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu optimieren und die zur Verfügung stehenden Instrumente des Bau- und Planungsrechts konsequent anzuwenden. Sie entwickeln umfassende Baulandstrategien, setzen auf eine strategische Bodenvorratspolitik und die konditionierte preisreduzierte Abgabe von Grundstücken für bezahlbaren Wohnraum und verankern Quoten im Rahmen städtebaulicher Verträge. Der Schlüssel für eine sozial ausgewogene Stadtentwicklung ist eine aktive, dem Gemeinwohl verpflichtete Bodenpolitik. Hier ist der Bund gefordert, den Gemeinwohlgedanken auch stärker in die bodenrechtliche Bestimmungen einzubinden.
Wie beurteilen Sie die bisherigen Erfolge der Wohnungsbau-Offensive des Bundes?
Lohse: Sie hat tatsächlich Fortschritte gebracht, aber sie konnte die Spirale der steigenden Mieten in den Städten mit starker Wohnungsnachfrage nicht stoppen. Die aktuellen Zahlen der Baufertigstellungen, auch von Sozialwohnungen, reichen trotz positiven Trends bei weitem nicht aus.
Muss also mehr getan werden?
Lohse: Gerade die Ziele für den geförderten Wohnungsbau muss der Bund ambitionierter setzten. Es sind zahlreiche Prozesse zur Intensivierung der Bautätigkeit angestoßen worden, beispielsweise neue Ideen zur Baulandmobilisierung und Förderung der Innenentwicklung, flexiblere Stellplatzregelungen, serielles Bauen und eine abgestimmte, ressortübergreifende Auseinandersetzung mit Standards aus den Bereichen Energie, Umwelt und Technik. Nach wie vor bleibt aber viel zu tun! Die Ziele der Wohnungsbauoffensive müssen konsequent weiterverfolgt und weiterentwickelt und das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen fortgeführt werden.
Vielen Kommunen fällt es schwer, die Flächenpotenziale für Wohnungsbau zu erschließen. Wo liegen hier die Probleme?
Lohse: Zu der bereits erwähnten Flächenknappheit vor allem in Ballungszentren kommt hinzu, dass einfach zu erschließende Flächen absolute Mangelware sind. Oftmals hemmen Altlasten, sehr hohe Kosten für die Erschließung, komplizierte Eigentumsverhältnisse oder die fehlende Akzeptanz in der Nachbarschaft die Aktivierung potenzieller Wohnbauflächen. Vorschriften des Umweltrechts beeinflussen ebenfalls die bauliche Nutzbarkeit von Grundstücken. Hier wäre eine bessere Verzahnung von Umwelt- und Baurecht hilfreich. Sie könnte Städten etwa in Gebieten mit gewerblichem Lärm erlauben, mit Vorgaben zum passiven Schallschutz, etwa dem Einsatz besonderer Fensterkonstruktionen, geringere Abstände von Wohnen und Gewerbe zu ermöglichen, ohne dass es zu Konflikten kommt. Auch im Falle bundeseigener Grundstücke besteht Nachholbedarf. Da ist der Bund in der Pflicht, die verbilligte Abgabe seiner Liegenschaften an Kommunen für sozialen Wohnungsbau praktikabler zu gestalteten.
Was müssen die Städte jetzt unternehmen, um den Wohnungsbedarf vor allem im preisgünstigen Segment zu decken?
Lohse: Die Situation ist von Stadt zu Stadt sehr unterschiedlich. Deswegen gilt es, passgenaue individuelle Lösungen zu entwickeln. Das kann zum Beispiel bedeuten, die vorhandenen bauplanungs- und ordnungsrechtlichen Instrumente zur Bestands- und Milieuschutzsicherung zu erweitern und zu schärfen. Die Kunst besteht darin, notwendige Investitionen für energetische Sanierungen, generationengerechte Umbauten oder Standardverbesserungen zu ermöglichen und diese Erneuerungsprozesse gleichzeitig sozialverträglich zu gestalten. Das besondere Städtebaurecht bietet überdies gebietsbezogene Steuerungsmöglichkeiten. Basis der hierfür notwendigen integrierten Quartierskonzepte sollten sozialraumbezogene Analysen und Strategien sein.
Welchen Beitrag kann die Peripherie von Ballungszentren zur Lösung des Problems leisten?
Lohse: Städte, insbesondere in den Ballungsräumen, werden die genannten Herausforderungen nicht ohne die jeweils umliegenden Gemeinden bewältigen können. Hier sind daher Bund und Länder gefordert, Stadt-Umland-Kooperationen zu fördern und die rechtlichen Rahmenbedingungen entsprechend anzupassen.
Was erwarten die Kommunen zur Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus von den Ländern und vom Bund?
Lohse: Um mehr Wohnbauflächen aktivieren und nachfragegerechte Angebote zur Wohnraumförderung für breite Schichten der Bevölkerung entwickeln zu können, muss der Gemeinwohlgedanke auch beim Verkauf von Bundes- und Landesliegenschaften gestärkt werden. Dazu gehören auch die Prüfung eines angemessen ausgestatteten Wohnbauland- und Erschließungsfonds sowie die Einführung einer Tarifoption bei der Grundsteuer zur Mobilisierung erschlossener, aber unbebauter Grundstücke. Bund und Länder müssen ihr Engagement für mehr Wohnungsbau verstärken und diesen mittels geeigneter Förderinstrumente attraktiver gestalten.
Welche könnten das sein?
Lohse: Beispielsweise eine Investitionszulage für den Bau preisgünstiger Mietwohnungen, gegebenenfalls ergänzt um eine steuerliche Sonderabschreibung sowie Eigentumsförderung. Letztere muss allerdings differenziert erfolgen, um dort zu wirken, wo diese Form der Unterstützung notwendig ist: nach Zielgruppen, Objekten und Räumen.
Im Zuge der Föderalismusreform wird der Bund ab 2020 seine jährlichen Überweisungen an die Länder für die Wohnraumförderung von derzeit rund 1,5 Milliarden Euro komplett einstellen. Was bedeutet das für den sozialen Wohnungsbau?
Lohse: Insgesamt wird die Reform dazu führen, dass sich die finanzielle Situation der Bundesländer deutlich verbessert. Wir erwarten, dass die Länder die Gelder, über die sie dann zusätzlich verfügen, auch nutzen, um ihre Kommunen stärker zu unterstützen. Das gilt auch für den sozialen Wohnungsbau, denn die aktuelle Neubautätigkeit reicht nicht aus, um den anhaltenden Abgang an Sozialwohnungen zu kompensieren. In den angespannten Märkten ist die Bezahlbarkeit von Wohnraum für über die Hälfte der Bevölkerung eine finanzielle Herausforderung.
Die Situation bei der Wohnraumversorgung ist vermutlich nicht mit der Mietpreisbremse oder kleinen Anpassungen zu lösen. Braucht Deutschland eine komplette Neujustierung der Wohnungspolitik?
Lohse: Lösungen für die aktuelle Entwicklung kann nur ein ressortübergreifender Ansatz bieten, der Kommunen, Länder und den Bund umfasst. Ein Ansatz, der die Abhängigkeiten zwischen Wohnungs- und Bodenpolitik, Energie- und Umweltrecht, Verkehrs- und Raumordnungspolitik stärker berücksichtigt, als dies bislang der Fall ist. Deshalb müssen Bund und Länder ihr Engagement für mehr Wohnungsbau verstärken und ihn über einen geeigneten Mix von Förderinstrumenten attraktiver machen.
Interview: Wolfram Markus
Zur Person: Die Juristin Dr. Eva Lohse (Jg. 1956), Oberbürgermeisterin in Ludwigshafen am Rhein (rd. 168.000 Einwohner, Rheinland-Pfalz), ist seit 2015 Präsidentin des Deutschen Städtetags mit Sitz in Berlin und Köln. Zugang zum Kommunalen fand sie bereits 1987 mit der Tätigkeit als Verwaltungsjuristin bei der Kreisverwaltung Bad Dürkheim. Von 1994 bis 2001 war sie Mitglied des Ludwigshafener Stadtrates und stellvertretende Vorsitzende der CDU-Ratsfraktion. Im Mai 2001 wurde sie erstmals zur Oberbürgermeisterin gewählt, 2009 dann im Amt bestätigt. Seit 2006 ist sie Vorsitzende des Verbands Region Rhein-Neckar und stellvertretende Vorsitzende der Initiative Zukunft Metropolregion Rhein Neckar. Eva Lohse ist verheiratet und hat zwei Kinder.