Städte wiederbeleben

Der Einzelhandel ist nur eines der Transformationsthemen – dazu kommen insbesondere Mobilität, Digitalisierung und Klimaanpassung. Abbildung: Adobe Stock/TensorSpark

Was kann man tun, wenn (Innen-)Städte veröden? Antworten von Cordelia Polinna auf die nicht neue, aber brennende Frage: Die Stadtforscherin hat zahlreiche Projekte angestoßen, in Metropolen wie im ländlichen Raum.

Geschäfte schließen oder haben bereits geschlossen, die Innenstadtfrequenz nimmt ab, Ladenlokale oder ganze Gebäude stehen leer. Wie schätzen Sie die Situation der Innenstädte ein: Ist das erst einmal und vor allem ein Problem – oder doch eher eine Chance?

Cordelia Polinna: Es ist eine enorme Herausforderung, geradezu ein Hammerthema, eine Herkulesaufgabe. Der Einzelhandel ist enorm wichtig für Innenstädte – aber längst nicht das einzige Thema. Es geht ebenso um Mobilität, zum Beispiel darum, dass auch ältere Menschen und Kinder sich sicher bewegen können, dass Fußgänger und Radfahrer Raum haben, Städte nicht nur auf Autos eingerichtet sind. Oder ein weiteres zentrales Thema: Klimaanpassung, Städte auf Hitzeperioden und Starkregen einstellen, Gebäude- und Fassadenbegrünung. Es geht darum, Grünflächen wiederzubeleben oder neu herzustellen, Flächen zu entsiegeln, Bäche zu renaturieren, Brunnen- und Abkühlungsangebote zu schaffen – und vieles mehr.

Dennoch: Autoparkplätze sind vielerorts nach wie vor wichtiger als Radwege, leerstehende Gebäude werden nicht umgewidmet. Man könnte das dabei belassen – Städte haben sich ja immer verändert. Warum setzen Sie sich für die Wiederbelebung der Innenstädte ein?

Polinna: Sie sind das Herz unseres Landes, Orte, an denen man etwas erledigen kann, ein Restaurant besuchen oder ein Café – oder einfach nur da sein, schlendern, Leute beobachten, sich mit anderen treffen, ohne Mitglied in einem Verein zu sein oder sich eine Opernkarte kaufen zu müssen. Jeder kann dorthin, jeder kann sich dort aufhalten. Dieser öffentliche Raum ist enorm wichtig, und er sollte eine möglichst hohe Qualität haben.

Wenn wir beim Thema Einzelhandel anfangen – worauf kommt es an?

Polinna: Ein wichtiger Ansatz ist, dass wir vieles von dem, was wir uns zu Corona-Zeiten aus guten Gründen angewöhnt haben, wieder revidieren: nicht oder nicht nur online einkaufen, sondern wieder vor Ort in der Stadt – wobei es für den Einzelhandel natürlich besonders fatal ist, wenn Konsumenten vor Ort anprobieren und dann bei der Konkurrenz online kaufen. In diesen Kontext gehört auch, dass Kinos und Theater deutlich weniger Besucher verzeichnen als vor Corona.

Was empfehlen Sie?

Polinna: Man sollte dazu anregen, über die Stadt nachzudenken, übers Einkaufen, über Events und Kulturangebote: damit sich die Bewohner einer Stadt wieder darüber klar werden, wie wichtig die Belebung des öffentlichen Raums für uns alle ist.

Viele Entwicklungen lassen sich aber nicht mehr rückgängig machen. Wenn Geschäfte und Kaufhäuser geschlossen sind: Wie kann, wie sollte man mit Leerstand umgehen?

Polinna: Wir müssen nicht nur mit Leerstand umgehen – wir müssen uns auch darauf einstellen, dass wir möglichst mit dem Bestand auskommen und nicht neu bauen. Es gibt ja längst und auch aus guten Gründen den Wunsch nach Neubau-Moratorien. Es sind große Herausforderungen, leerstehende Autohäuser etwa für eine Kita zu nutzen. Andererseits gibt es viele gute Ideen und Beispiele, etliche leerstehende Kaufhäuser werden ja auch schon umgewidmet oder bereits neu genutzt. Davon kann man sich anregen lassen – nur Selbstläufer sind das nicht.

Wo sehen Sie vor allem Probleme?

Polinna: Eines ist das Baurecht: Eine Neunutzung von Bestandsgebäuden muss viele Hürden nehmen. Ein weiteres zentrales Thema ist die Immobilienwirtschaft. Viele Eigentümer, insbesondere Eigentümergemeinschaften, wollen unbedingt Rendite und die Mieten nicht reduzieren – oft ist der Leerstand über steuerliche Abschreibungen einträglicher als das Experimentieren mit Innenstadtinitiativen. Co-Working-Spaces, Pop-up-Stores oder Repair Cafés können hohe Mieten aber nicht bezahlen.

Was empfehlen Sie?

Polinna: Man muss mit den Eigentümern ins Gespräch kommen, sie überzeugen, sie mitnehmen. Dafür muss man sie erst einmal finden – gerade in den Metropolen ist das nicht immer ganz einfach. Eigentümer-Stammtische sind ein guter Weg, wobei hier kleinere Städte einen Vorteil haben: Oft leben die Eigentümer vor Ort und haben auch ein Interesse an der Wiederbelebung „ihrer“ Innenstadt.

Wie kann man vorgehen?

Polinna: Hier haben dann die kleineren Orte ein Problem: Solche Vernetzungen und Gespräche, ein solches Abholen der Eigentümer ist aufwendig. Man braucht Kümmerer vor Ort, Menschen, die das Gespräch suchen und pflegen, Ideen entwickeln und andere dafür begeistern und die einen guten Draht in die Verwaltung haben. Gerade kleinere Städte haben dafür aber kein Personal und keine Mittel.

Was kann man tun?

Polinna: Es gibt Fördermittel, die man nutzen kann, für die Innenstadtbelebung ebenso wie für die Anpassung an den Klimawandel – wobei es wichtig wäre, dass wir jetzt aus der Phase der Pilotprojekte zu einer Verstetigung kommen. Dafür braucht man aber eben Mitarbeitende, die sich engagieren. Man sollte Konzepte entwickeln, wie man gerade auch Hochschulabsolventen davon überzeugt, dass es nicht unbedingt Berlin, Hamburg und München sein müssen. Auch eine kleine Stadt kann anziehend, kann ein gutes Arbeits- und Lebensumfeld sein – dafür muss man aber werben. Auch die interkommunale Zusammenarbeit kann helfen. Wenn sich kleinere Städte zusammentun, haben gerade sie die Chance, dass ihre öffentlichen Räume zu einem beliebten dritten Ort neben dem Privaten und der Arbeit werden.

Welche guten Beispiele für Innenstadttransformation gibt es?

Polinna: Inzwischen gibt es viele – das ist die gute Nachricht. Wobei Stadttransformation immer individuell ist: Man kann vieles nicht einfach kopieren, man kann sich aber anregen lassen. Kopenhagen ist natürlich eines der berühmten Beispiele: Viele Touristen besuchen die dänische Hauptstadt sogar deshalb, um mal einen Tag lang das Radfahren dort auszuprobieren.

Und Beispiele in Deutschland?

Polinna: Wittenberge in Brandenburg: Dort zieht die Bibliothek, also ein großer Frequenzbringer, in ein leerstehendes Kaufhaus. Oder in der Lausitz in Herzberg gibt es den „Summer of Pioneers“ – das ist Landleben auf Probe: Man ist gut angebunden an Berlin und Leipzig, kann aber im ländlichen Raum ein halbes Jahr lang Coworking-Räume und anderes nutzen. Oder das Post-Corona-Projekt ZAM, Zentrum für Austausch und Machen in Erlangen: Die Stadt hat ein altes Hauswarengeschäft gekauft, eine Schlüsselimmobilie, und die wird jetzt von etlichen Nutzern mit ganz unterschiedlichen Konzepten bespielt und bearbeitet.

Interview: Sabine Schmidt


Zur Person

Dr. Cordelia Polinna ist Geschäftsführerin von Forward Planung und Forschung sowie Gründerin des Instituts für Resilienz im ländlichen Raum.