Stadtentwicklung: Wie sieht die Zukunft des Wohnens und Bauens aus?

Gerne Grün, aber richtig aufs Land soll‘s auch nicht gehen: Wohnen am Stadtrand – mit gutem ÖPNV, schnellem Internet und Versorgungseinrichtungen in der Nähe – ist und bleibt im Trend. Foto: Adobe Stock/mathias

Die Zukunft des Wohnens ist urban – so Horst Opaschowskis These vor 13 Jahren. Gilt das immer noch oder hat Corona unsere Bedürfnisse auf den Kopf gestellt?
Im Interview spricht der Zukunftsforscher darüber, was nach der Pandemie wichtig wird und welche Aufgaben auf die Kommunen zukommen.

der gemeinderat: Wie sieht die ideale Stadt aus?
Horst Opaschowski: Die ideale Stadt ist als Sehnsuchtsort ein Zeitlosthema zwischen Mythen und Utopien: Sie muss immer wieder weiter gedacht und teilweise neu erfunden werden. Sie garantiert das urbane Leben mit menschlichem Maß und gibt den Bewohnern ein Zuhause im Vertrauten. Und sie ist ein „Sesam-öffne-dich“, in dem Lebensqualitätswünsche mit den Attributen „zentral“, „nah“ und „kurz“ gelebt werden können.
Sie haben vor 13 Jahren die These aufgestellt, die Zukunft sei urban. Seit Beginn der Pandemie denken jedoch viele Bürger darüber nach, aufs Land zu ziehen. Hat sich Ihre Prognose geändert?
Opaschowski: Nein, die Zukunft ist und bleibt urban. Denn weltweit zieht es immer mehr Menschen in die Stadt. Die globale Verstädterung erscheint unaufhaltsam. In Pandemiezeiten findet allerdings ein Umdenken statt. Immer mehr Städter ziehen ins Umland – nah genug am Naturerleben und weit genug weg von innerstädtischen Verkehrs- und Umweltproblemen. Eigentlich suchen die Menschen nur das urbane Lebensgefühl, wo auch immer. Die beliebteste Wohnform der Deutschen ist ja nicht die Stadtwohnung oder der „bezahlbare Wohnraum“ in zentraler Lage, sondern das Wohnen am Stadtrand und im ländlichen Raum – mit gutem ÖPNV, schnellem Internet und Versorgungseinrichtungen in erreichbarer Nähe.
Während Corona arbeiten viele Menschen von zu Hause aus. Inwiefern verändert diese Tatsache, wie Menschen künftig wohnen und arbeiten?
Opaschowski: Die Corona-Krise hat die Arbeitswelt digital verändert und einen nachhaltigen Digitalisierungsschub ausgelöst. „Präsent“ und „digital“ ergänzen sich immer mehr. Homeoffice ist eine neue Normalität im Berufsleben geworden. Auf längere Sicht werden die Strukturen der Arbeitswelt regelrecht umgekrempelt. Die kommende Karrieregeneration wird ganz selbstverständlich veränderte Zeit- und Qualitätsansprüche an die Arbeit stellen. Flexiblere Arbeitszeitregelungen werden sich auf die Arbeitsort- und Wohnortwahl auswirken. Der neue Arbeitnehmertyp will Zeitpionier und Jobnomade zugleich sein. Aus dem vermeintlichen Home-Office-Notstand wird ein Zeit-Arbeits-Wohlstand. Erwerbstätigkeit und Familienmanagement werden zur Frauen- und Männersache. Neue Formen einer sanften Karriere kündigen sich an, bei der sich Privat- und Berufsleben zunehmend annähern und Lohnwert, Wohnwert und Freizeitwert wieder eine Einheit bilden.
Zu Beginn der Pandemie sagten Sie, dass die Themen Klimawandel und Umweltschutz wieder verstärkt in den Fokus der Bürger rücken. Nun dauert die Pandemie bereits seit über einem Jahr an. Was bedeutet das für umweltbewusstes Wohnen?
Opaschowski: In meiner neuen Repräsentativstudie über die „semiglückliche Gesellschaft“ weise ich nach, dass sich das Umweltbewusstsein der Bevölkerung grundlegend verändert. Die überwiegende Mehrheit der Deutschen fordert einen ökologischen Paradigmenwechsel. Umweltbewusstes Verhalten soll mehr zur Herzenssache werden und stärker emotional, nicht nur rational, verankert sein. Dann kann man auch weitgehend auf Verbote und Gebote verzichten. Die Bürger verabschieden sich vom unbequemen Feindbild Umwelt und entdecken klimafreundliches Verhalten für sich als persönliche Lebensqualität neu. Deshalb lässt sich auch umweltbewusstes Wohnen durch mehr Information und Aufklärung allein nicht mehr erreichen. Die Menschen wollen mehr mit Herz und Gefühl für Umweltfragen sensibilisiert und begeistert werden. Nur so kann aus ihrer Sicht- auch eine Lebensweise und eine gute Gewohnheit im Alltag werden.
Sie beobachten einen Wertewandel in der Gesellschaft: Gesundheit und soziale Beziehungen bekommen einen höheren Stellenwert. Wie beeinflusst dieser Wertewandel unser Wohnen?
Opaschowski: Gesundheit hat während der Pandemie in der Werteskala der Deutschen eine Bedeutung bekommen, die kein anderer Lebensbereich auch nur annähernd erreicht. Weder Geld und Güter noch Konsum und Eigentum oder Mobilität und Reisen können damit konkurrieren. Mit 93 Prozent Zustimmung steht Gesundheit an der Spitze der Lebensprioritäten.
Was bedeutet das für die Wohnpolitik?
Opaschowski: Wohnen muss zum Synonym für Wohlergehen werden und Wohlstand sollte neu gedacht werden. Wohlhabend ist, wer mit seiner Wohnsituation zufrieden ist und in einer Gesellschaft des langen Lebens gut und relativ sorgen- und beschwerdefrei leben kann. In Krisenzeiten wandelt sich die Erlebnis- zur Wohlfühlgesellschaft. Die kommunale Wohnungsbaupolitik muss ein Nähe-, Nest- und Heimatgefühl vermitteln. Und Kommunalpolitiker müssen sich auch als Kümmerer und Wohlfühlmanager verstehen, um in den Wohnquartieren eine drohende Epidemie der Einsamkeit zu verhindern.

Interview: Hannah Henrici

Zur Person
Prof. Dr. Horst Opaschowski ist Zukunftsforscher und Berater für Politik und Wirtschaft in Hamburg.