Der moderne Mensch ist immerfort unterwegs und scheint doch niemals anzukommen. Tempo bestimmt sein Dasein, darunter leidet auf Dauer die Lebensqualität. Der Gegenentwurf heißt Entschleunigung. Auf diesen setzen „Cittaslow“-Kommunen. Berching in Bayern ist eine von ihnen.
Wir leben in einer Zeit, in der die Welt danach strebt, zu globalisieren, zu fusionieren und Kulturen, Gesellschaften sowie Machtstreben zu nivellieren. Die Menschen sind ständig unterwegs und kommen doch niemals an. Individualität wird von „immer mehr vom Gleichen“ verdrängt.
Als alternative Antwort auf diese Entwicklung versteht sich Cittaslow, ein internationales Netzwerk, das an die Slow-Food-Bewegung anknüpft. Die Idee dazu stammt von Paolo Saturnini, Bürgermeister des italienischen Ortes Greve in Chianti. Ihm haben sich schnell weitere Bürgermeister angeschlossen, um dieses Projekt zu realisieren, das in einer Zeit, in der Schnelligkeit um jeden Preis die Maxime ist, fast wie eine Utopie erscheint. Während Slow Food beim Geschmack und der Herkunft und Qualität der Lebensmittel ansetzt, werden die Grundideale bei Cittaslow um weitere Kriterien zur Verbesserung der Lebensqualität erweitert.
Die Cittaslows der Welt sind Städte und Gemeinden, die versuchen, den Zeitgeist für sich zu interpretieren und gleichzeitig den individuellen Charakter ihrer Gemeinde zu bewahren. Mit einem Netzwerk, das sich über 25 Länder erstreckt, ist Cittaslow seit 1999 das internationale Markenzeichen für Städte und Gemeinden, die sich um eine höchstmögliche Lebensqualität für ihre Bürger, Unternehmer und Gäste bemühen. Derzeit zählt das Netzwerk 14 deutsche Kommunen. Weltweit sind es über 150 Städte und Gemeinden. Jede Stadt, die der Vereinigung beitreten möchte, muss einen umfangreichen Katalog an Kriterien erfüllen, deren Einhaltung von einer Kommission überprüft wird. Gemeinsame Veranstaltungen sowie der Austausch von Erfahrungen stehen im Vordergrund.
Beispielhaftes Verhalten
Eines der deutschen Cittaslow-Mitglieder ist die bayerische Gemeinde Berching. Das Oberpfälzer „Kleinod des Mittelalters“ liegt im Naturpark Altmühltal inmitten einer ländlich geprägten Kulturlandschaft. Unverwechselbar ist das beeindruckende Stadtbild mit vollständig erhaltener Stadtmauer samt 13 Türmen. Die Bewahrung dieses charakteristischen Stadtbilds, die Pflege von Kultur und Tradition, das Eintreten für regionaltypische Produkte und eine nachhaltige Umweltpolitik werden in Berching seit Langem gelebt. So lag es auch nahe, dass sich Berching im Zuge der Erstellung eines Integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzepts (ISEK) in den Jahren 2010 bis 2012 zu einer Bewerbung für das Cittaslow-Netzwerk entschloss. Das Prädikat „Cittaslow“ gab Berching die Möglichkeit, sein beispielhaftes Verhalten auch nach außen zeigen zu können. Im März 2013 konnte die Aufnahme in das Netzwerk lebenswerter Städte gefeiert werden.
Eine Mitgliedschaft bei Cittasslow ist Auszeichnung und Verpflichtung zugleich. Der vierjährige Überprüfungsrhythmus gewährleistet, dass die Mitglieder bei allen anstehenden Entscheidungen die Verträglichkeit mit Cittaslow-Gedanken im Hinterkopf haben. Wer in das Netzwerk aufgenommen wird, macht bereits vieles richtig, um Einwohnern eine hohe Lebensqualität zu bieten.
Auch immer mehr Gäste von Berching wissen die hohe Aufenthaltsqualität zu schätzen und lernen dort Möglichkeiten kennen, etwas für Ihre Gesundheit zu tun. Eine große Auswahl an Wander- und Radwegen ermöglicht einen abwechslungsreichen Aktiv-Urlaub. Themenwege wie der Gluck-Wanderweg über den in der Gemeinde geborenen Komponisten Christoph Willibald Gluck, der Benediktusweg zum Ökokloster Plankstetten oder der Kapellenweg verbinden dabei geschickt Natur und Erholung mit Kultur und interessanten Themen. Entschleunigung also für Körper und Geist. Für die Einheimischen bietet in Berching ein „Soziales Netzwerk“ Unterstützung für Familien mit Kindern und Senioren und sichert so eine hohe Lebensqualität. Auch die Helios-Klinik für geriatrische Rehabilitation, Betreuungsangebote für Kleinkinder sowie eine Nachbarschaftshilfe sind wichtige Einrichtungen.
Gastronomen von Anfang an dabei
Treibende Kraft hinter dem Cittaslow-Prinzip sind in Berching neben der Stadtverwaltung die Gastronomen, die von Anfang an den Wert dieser Mitgliedschaft erkannt haben. Einige davon sind durch ihre langjährige Mitgliedschaft bei der Slow-Food-Bewegung authentische Verfechter der Themen „Nachhaltigkeit und Entschleunigung“. Ein Paradebeispiel ist hier die Benediktinerabtei Plankstetten, die in ihrem „grünen Kloster“ einen Ökohofladen mit Kreislaufwirtschaft betreibt.
Die Kultur des Reparierens wird in Berching seit 2015 in einem Repair-Café gelebt. In einem ungenutzten Gebäude wurde auf private Initiative ein Treffpunkt mit Werkstatt geschaffen, bei dem seitdem defekten Dingen eine zweite Chance gegeben wird.
Die Berchinger wollen das Thema zukünftig noch intensiver aufgreifen. Neben der stärkeren Kooperation mit anderen Cittaslows will die Stadt im nächsten Jahr ihre „Slow Spots“ präsentieren. Plätze und Orte zur Entschleunigung in und um Berching, abseits der typischen Routen, an denen man einfach mal im „Hier und jetzt“ verweilen kann.
Christian Eisner
Der Autor
Christian Eisner ist Projektmanager beim Stadtentwicklungsverein „GeMEINsam für BERCHING“
Info: Cittaslow-Ziele
Städte, die der „Internationalen Vereinigung der lebenswerten Städte – Cittaslow“ angehören, haben sich folgende Ziele gesetzt:
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Nachhaltige Umweltpolitik: Innovative Technologien fördern, Schonung der Ressourcen, regionalverträgliche Konzepte, Steigerung der Energieeffizienz
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Charakteristische Stadtstruktur: Stadtgeschichte als Entwicklungspotenzial erkennen, behutsame Stadterneuerung, nachhaltige Stadtentwicklung
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Gastfreundschaft: Qualitätsorientierte Gastronomie, Pflege von Städtepartnerschaften, Weltoffenheit und Herzlichkeit
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Kultur und Traditionen: Wahrung von regionalen Besonderheiten, Förderung von Veranstaltungen, kulturelle Einrichtungen erhalten
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Typische Kulturlandschaft: Vielfalt von Flora und Fauna schützen, Charakteristische Eigenart bewahren, Schönheit der Landschaft aufzeigen
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Regionaltypische Produkte: Bewahrung traditioneller Herstellung, Unterstützung natürlicher Produktionsabläufe, kurze Wege
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Regionale Märkte: Förderung der Direktvermarktung, Schaffung regionaler Wirtschaftskreisläufe
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Bewusstseinsbildung: Geschmacks- und Sinnesschulung, Förderung der regionalen Identität