Mobilität mit Hilfe von Simulationstools entwickeln

Fahrrad; Verkehr; Mobilität; Simulationstool; App
Radschnellwege, Elektroladestationen oder Tempo-30-Zonen: Sie gehören zu den Aspekten, die das MobileCityGame bei seinen Simulationen berücksichtigt. Foto: Adobe Stock/upixa

Wie lässt sich Stadtverkehr planen – und welche Auswirkungen hätten die jeweiligen Maßnahmen auf das Klima oder die Finanzen? Ein Simulationstool hilft weiter: eine App, über die sich jede Menge Szenarien durchspielen lassen.

Nicht zuletzt durch die Anforderungen der Mobilitätswende und durch finanzielle Engpässe wird die Strategiebildung in Kommunen immer komplexer. Wenn überhaupt kommen hierzu qualitative Entscheidungs- und Beteiligungsprozesse wie Workshops oder Fokusgruppen zum Einsatz. Deren Befunde müssen jedoch über Gutachten und die Anwendung von Verkehrsmodellen in konkrete Maßnahmenpakete und Wirkungen übersetzt werden.

Traditionelle Verkehrsmodelle etwa zur Aufstellung von Verkehrsentwicklungsplänen sind in der Regel komplex, teuer und zeitaufwendig und damit unflexibel hinsichtlich alternativer Szenarien und Zieljahre. Auch sind sie in Erstellung und Ergebnisnutzung nur Fachpersonal vorbehalten. Einfach zugängliche Tools für einen schnellen Überblick über die Wirkung von Mobilitätswendeszenarien fehlen bislang.

Hier setzt ein Simulationstool an. Zur Unterstützung in sehr frühen Planungsphasen entwickelt ein Team aus Forschenden der Fraunhofer-Gesellschaft und des KIT zusammen mit der Takomat GmbH seit September 2020 das MobileCityGame. Das Vorhaben wird vom Fraunhofer ISI (Karlsruhe) koordiniert und durch das BMBF gefördert.

App; Simulationstool; Mobilität; ÖPNV; Parkgebühren
Das MobileCityGame auf dem Handy: Links geht es um Finanzen – Jahressaldo, Einnahmen und Ausgaben durch ÖPNV und Parkgebühren. In der rechten Abbildung sind Punktekonten zu sehen (oben) sowie Modal Split (unten).

Das Simulationstool für Smartphones und Tablets erlaubt Anwendern, unkompliziert Szenarien der Mobilitätswende am Beispiel von Karlsruhe auszuwählen und deren Auswirkungen auf Klima, Lebensqualität und städtische Finanzen im Zeitverlauf zu verfolgen. Das Serious Game basiert auf einem vollständigen Verkehrsmodell, das Expertise, Daten und Modelle der Forschungspartner zusammenführt und soweit vereinfacht, dass es lokal auf mobilen Endgeräten lauffähig ist. Diese Kombination ist weltweit einzigartig und in keiner anderen App verfügbar.

Mit einer Rechenzeit von zehn bis fünfzehn Minuten kann das MobileCityGame in Strategie- und Abstimmungsworkshops, in Projektmeetings oder zum schnellen Prüfen von Alternativen eingesetzt werden. Ebenso ist ein Einsatz in der Lehre an Hochschulen und Universitäten oder zur Politikkommunikation denkbar.

Kern der „Game Engine“ des MobileCityGames (MCG) ist ein klassisches Vier-Stufen-Verkehrsmodell mit Verkehrserzeugung, Verkehrsverteilung, Modal- und Routenwahl:

  • Die Simulation bildet Stadtteile und Umlandbezirke ab. Für diese ermittelt ein Bevölkerungsmodell mittels Geburten-, Sterbe-, Migrations- und Wegeraten das Verkehrsaufkommen nach Altersgruppen und Fahrzweck.
  • Die Module für Verkehrsverteilung und Modalwahl wurden am mobiToppModell des KIT kalibriert und unterscheiden Pkw, Carsharing, ÖPNV, Fahrrad und Fußwege.
  • Hieraus ermittelt ein Flottenmodell den Mix von Antriebsarten, Besetzungsgraden, Personenkilometern und Emissionen.

Bewertet wird im Simulationstool MobileCityGame nach Klima, Lebensqualität und Finanzen

  • CO2– Emissionen betrachten die Kraftstoffnutzung sowie Emissionen der Stromerzeugung
  • Die Lebensqualität setzt sich unter anderem aus Mobilitätskosten, Erreichbarkeit, Verkehrsqualität und der Akzeptanz von Maßnahmen vor und nach deren Umsetzung zusammen. Zum Thema Akzeptanz führt das Forschungsteam aktuell eine repräsentative Umfrage durch.
  • Die Finanzen fassen Budgetzuweisungen von Bund und Land, Ausgaben und Einnahmen nach Hauptverkehrsmitteln in einem virtuellen Verkehrshaushalt von Stadt, Verkehrsbetrieben und Stadtwerken zusammen.

Alle Größen werden jährlich dargestellt und sind nach Spielende als Report verfügbar.

Spiel mit ernstem Hintergrund – und ab August frei Verfügbar

Ziel des MobileCityGame ist, Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen und gleichzeitig Lebensqualität sowie Stadtfinanzen zu optimieren. Hierzu lassen sich unterschiedliche Maßnahmen mit ihren spezifischen Bau- und Betriebskosten, Vorbereitungszeiten und Akzeptanzen im Zeitraum 2023 bis 2050 kombinieren.

Folgende Kategorien von Maßnahmen sind bislang verfügbar: Elektroladestationen, Radschnellwege, Straßenumbau in Quartieren, Parkgebühren, ÖPNV-Tarife und Tempo 30-Zonen. Zusätzliche Maßnahmen können aufgrund der Einfachheit des Modells mit begrenztem Aufwand definiert und integriert werden.

Daneben sind Maßnahmen wie ein Mindesthochlauf der Elektromobilität fest im Spiel hinterlegt. So sinken die CO2 -Emissionen stetig, verharren jedoch wegen der Emissionen der Stromerzeugung gegen 2050 bei etwa 40 t CO2 e/a. Am wirksamsten beeinflussen Maßnahmen der Preisgestaltung wie hohe Parkgebühren oder niedrige ÖPNV-Tarife die Bewertungskategorien, während Investitionen in Radwege oder E-Ladestationen nur wenig beitragen.

Die beiden Abbildungen mit den Bildschirmansichten geben einen Eindruck in die Oberfläche und Darstellung des MobileCityGame. Hierfür wurden für 2024 das 29-Euro-Ticket im ÖPNV und für 2028 Parkgebühren von 10 Euro in der Innenstadt mit 50 Prozent Rabatt für E-Fahrzeuge gewählt. Die Screenshots zeigen eine deutliche Verschiebung im Modal Split sowie in den Einnahmen durch ÖPNV und Parkgebühren.

Das MobileCityGame ist aktuell in einer Beta-Version in den Testumgebungen für iOS und Android verfügbar. Frei verfügbare Versionen in den Stores von Apple und Google sind für August 2023 vorgesehen.

Claus Doll, Susanne Bieker, Tim Wörle


Die Autoren

Dr. Claus Doll und Dr. Susanne Bieker sind am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI tätig, Tim Wörle am Institut für Verkehrswesen, Karlsruher Institut für Technologie KIT.