Bieter müssen Vergaberechtsverstöße erst rügen, nachdem ihnen in rechtlicher Hinsicht bewusst wird, dass ein Vergaberechtsverstoß vorliegen kann. (OLG Frankfurt am Main vom 23. Juni 2016 – AZ 11 Verg 4/16)
Die Antragstellerin rügte nach Angebotsabgabe unter anderem ein intransparentes Wertungssystem und stellte einen Nachprüfungsantrag. Die Vergabekammer hat den Antrag wegen verspätet ausgesprochener Rügen nach Paragraf 107 Abs. 3 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB a. F.) abgelehnt. Der behauptete Vergaberechtsverstoß hätte nach dem Erhalt der Angebotsunterlagen oder jedenfalls vor der Angebotsabgabe gerügt werden müssen.
Zu Unrecht, entschied das OLG Frankfurt am Main. Der Bieter muss die Tatsachen erkennen können, die zum Verstoß gegen das Vergaberecht führen. Daneben muss das Bewusstsein des Bieters treten, dass ein Vergaberechtsverstoß vorliegen kann. Die Kenntnis der Rechtsprechung ist den Bietern nicht zuzumuten, weshalb die Rügefrist nicht mit dem Erhalt der intransparenten Vergabeunterlagen beginne.
Die Entscheidung ist auf das neue Vergaberecht übertragbar, da sie sich mit der Frage auseinandersetzt, wann ein Vergaberechtsverstoß erkennbar ist. Auch Paragraf 160 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB n. F. stellen auf die Erkennbarkeit ab.
Ute Jasper / Reinhard Böhle
Die Autoren
Dr. Ute Jasper ist Rechtsanwältin und Partnerin der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek in Düsseldorf und leitet die Practice Group „Öffentlicher Sektor und Vergabe“, Reinhard Böhle ist Rechtsanwalt der Kanzlei