Problemanalyse für Abwasser

Problemanalyse für das Mainzer Abwasser: Pharmazeutische und industrielle Spurenstoffe werden mit den konventionellen Reinigungsstufen nur wenig reduziert. Wie das Problem genutzt wird, um die Anlage weiterzuentwickeln erklärt Herbert Hochgürtel für den Wirtschaftsbetrieb der Stadt Mainz.

Abwasser; Problemanalyse; Zentralkärwerk; Kläranlage
Im Zentralklärwerk in Mainz-Mombach wird die vierte Reinigungsstufe ausgebaut. Foto: WBM/Christian Schulze

Der Wirtschaftsbetrieb Mainz (WBM) unterhält das Mainzer Kanalnetz und betreibt das Zentralklärwerk in Mainz-Mombach. Im Zentralklärwerk werden die Abwässer der Haushalte im Stadtgebiet Mainz und in der Verbandsgemeinde Bodenheim gereinigt, die an das Kanalnetz angeschlossen sind, sowie die Abwässer der angeschlossenen Industrieunternehmen. Die Reinigung der Abwässer erfolgt derzeit konventionell in drei Reinigungsstufen (mechanisch, biologisch, weitergehende biologische Nährstoffelemination).

Untersuchungen und eine Studie im Jahr 2018 zeigten, dass übliche pharmazeutische und industrielle Spurenstoffe im Mainzer Abwasser vorhanden sind und mit den konventionellen Reinigungsstufen nur im geringen Umfang reduziert werden. Mit der in der Studie „Arrived“ der Technischen Universität (TU) Kaiserslautern dargestellten Kombination aus Ozonung und granulierter Aktivkohle wurden bei den trinkwasserkritischen Spurenstoffen Eliminationsleistungen von über 80 Prozent prognostiziert.

Der innovative Ansatz der Studie war, den für die Ozonung benötigten grünen Sauerstoff aus Überschussstrom mit einer eigenen Elektrolyse (Power to Gas) zu erzeugen. Der dabei entstehende grüne Wasserstoff sollte teilweise ins Erdgasnetz sowie an eine H2-Tankstelle vermarket werden. Auf Basis der Studie wurden im Jahr 2019 Förderanträge bei Bund und Land eingereicht.

In der Priorisierungsliste des Landes Rheinland-Pfalz zum Bau einer vierten Reinigungsstufe (4. RST) wurde Mainz als größte kommunale Kläranlage auf Grund der hohen Fracht mit aufgenommen. Die Untersuchungen, die Studie, die Fördersummen und die Priorisierung des Landes führten schließlich 2020 zu einem Verwaltungsrat/Stadtratsbeschluss zum Bau einer 4. RST in Mainz.

Für das Projekt wurde über ein VgV-Verfahren ein Planer ausgeschrieben. Die beauftragte Arge, ein Zusammenschluss zweier Mainzer Architekturbüros, hat die Genehmigungsplanung sowohl für die Elektrolyse als auch für die 4. RST erstellt und eingereicht. Im Oktober 2022 erhielt der WBM die Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG)-Genehmigung für die Elektrolyse. Im Oktober 2023 folgte die wasserrechtliche Genehmigung zum Bau und Betrieb einer 4. RST in Form einer gehobenen Erlaubnis.

Anpassung im Entwicklungsprozess

Anschließend wurde die Ausführungsplanung umgesetzt, und 2023 wurde die Elektrolyse europaweit ausgeschrieben. Die Ausschreibungsergebnisse zeigten erhebliche Kostensteigerungen für die Elektrolyse. Aufgrund der Angebote ist keine wirtschaftliche Produktion von eigenem Sauerstoff möglich. Die Installation der Elektrolyse wurde somit vorerst zurückgestellt; der benötigte Sauerstoff für die Ozonung wird künftig zugekauft.

Die Bau- und Maschinentechnik für die 4. RST wurde Anfang 2024 EU-weit ausgeschrieben. Die Angebote lagen im erwarteten Bereich und werden nun beauftragt. Die Inbetriebnahme der 4. RST ist für Ende 2026 geplant. Eine prognostizierte Reduzierung von Gesamtphosphor (Pges) beziehungsweise dem chemischen Sauerstoffbedarf (CSB) von mehr als 20 Prozent wird nach der Inbetriebnahme in einem Messprogramm bestätigt, sodass anschließend noch eine Abwasserabgabenverrechnung mit den Baukosten beantragt werden kann.

Energieneutraler Betrieb

Nach derzeitigem Stand wird mit Investitionskosten von rund 30 Millionen Euro für die 4. RST gerechnet. Vom Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität Rheinland-Pfalz liegt bereits ein Förderbescheid in Höhe von 6,5 Millionen Euro vor. Weitere vier Millionen Euro sind vom Land Rheinland-Pfalz bereits in Aussicht gestellt worden.

Die in Mainz auf dem Zentralklärwerk errichtete Klärschlammverbrennungsanlage der WBM-Tochter TVM GmbH ist seit 2022 offiziell in Betrieb und verwertet die Klärschlämme von rund 85 Kommunen. Dabei wird Eigenstrom für die Verbrennung, Überschussstrom für das Zentralklärwerk und Fernwärme für knapp 5000 Haushalte erzeugt.

Durch die Eigenstromerzeugung aus Mainzer Klärgas, den Überschussstrom aus der Verbrennungsanlage und den eigenen Photovoltaikanlagen ist das Zentralklärwerk Mainz bereits heute bilanziell energieneutral. In den beiden kommenden Jahren werden über die KIPKI-Förderung des Landes Rheinland-Pfalz weitere Photovoltaikanlagen sowie ein 3,5 MW/3,6 MWh Batteriespeicher mitfinanziert. Damit soll erreicht werden, dass das Zentralklärwerk Mainz auch nach der Fertigstellung der 4. RST weiterhin energieneutral betrieben werden kann.

Für die Umsetzung dieser und weiterer zukunftsweisender Projekte wird die aktuelle und zukünftige Gesetzgebung vorausschauend und kritisch beobachtet. So war es in der Vergangenheit schon mehrfach möglich, als „Frühstarter“ Förderungen zu erhalten und gleichzeitig Unternehmensziele in Hinblick auf neue gesetzliche Anforderungen zu erreichen.

Herbert Hochgürtel


Der Autor

Herbert Hochgürtel ist Leiter des Bereichs Zukunftstechnologien im Wirtschaftsbetrieb der Stadt Mainz.