Plädoyer für eine zirkuläre Bauwirtschaft

Aus alt wird neu: Das Rathaus in Korbach wurde abgerissen, Beton und Ziegel wurden ortsnah recyelt und für den Neubau wiederverwendet. Foto: Caspar Sessler

Recyceln und wiederverwenden statt abreißen und wegwerfen: Architektin Anja Rosen plädiert dafür, dass sich dieses Konzept im Baubereich durchsetzt.

Warum führt aus Ihrer Sicht kein Weg an Urban Mining vorbei?

Anja Rosen: Wir können es uns nicht leisten, aufwendig produziertes Material einfach wegzuwerfen. Der Bausektor ist unser größter Ressourcenverbraucher, die Ressourcen werden knapp, und wir haben nur die eine Erde. Zudem entstehen 40 Prozent aller Treibhausgase am Bau. Wir haben in den letzten Jahrzehnten unverantwortlich verschwenderisch gebaut. Urban Mining ist auch kein neues, sondern ein bewährtes Konzept: Menschen haben immer vorhandenes Material verwendet. Denken Sie allein an das Forum Romanum, das die Römer jahrhundertelang als Steinbruch genutzt haben. Dagegen haben wir in den letzten Jahrzehnten unverantwortlich verschwenderisch gebaut.

Das hessische Korbach hat für sein Rathaus einen anderen Weg eingeschlagen: Neubau durch Rückbau. Worum ging es dort?

Rosen: Das hessische Umweltministerium hat das Pilotprojekt gefördert: Das erste Urban Mining-Projekt dieser Art in Deutschland. Das Rathaus aus den 1970er Jahren war nicht sanierungsfähig, es musste abgerissen und neu gebaut werden. Bei diesem Projekt lag der Fokus auf den mineralischen Materialien. Das heißt: Beton und Ziegel des alten Gebäudes wurden ortsnah recycelt und wiederverwertet. Die Universität Kassel entwickelt ausgehend von den Erfahrungen mit diesem Projekt einen Leitfaden. Er wird für jeden verfügbar sein, der beim Bau zirkuläre Kreisläufe berücksichtigen will.

Sie haben den Urban Mining Index entwickelt und am Projekt Korbach angewandt. Was leistet er?

Rosen: Es geht darum, Baustoffe in möglichst geschlossenen Kreisläufen zu führen. Der Urban Mining Index ist ein Planungstool für Architektinnen und Architekten, mit dem die Kreislaufkonsistenz von Baukonstruktionen und Gebäuden in der Neubauplanung gemessen und bewertet werden kann. Hierfür wurden Parameter definiert: Für die Materialität und die Konstruktion, aber auch die Möglichkeit und Wirtschaftlichkeit des selektiven Rückbaus spielen eine Rolle. Der Urban Mining Index war meine Dissertation. Inzwischen wurde er an der Universität Wuppertal zu einem nutzerfreundlichen Tool weiterentwickelt, das demnächst frei zugänglich sein soll.

Geld spielt natürlich eine Rolle – wie steht es um die Wirtschaftlichkeit zirkulären Bauens?

Rosen: Beim Rathaus in Korbach lagen die Kosten 1,5 Prozent höher als beim konventionellen Bauen. Sie hätten geringer sein können, wenn der Markt nicht durch wenige Anbieter eingeschränkt gewesen wäre. Nicht berücksichtigt ist beim konventionellen Bau aber das, was aus meiner Sicht dazukommen müsste: Die Kosten für die Umwelt und für die nachfolgenden Generationen, denen wir kaum Ressourcen übriglassen.

So sinnvoll Urban Mining ist – abreißen und wegwerfen ist einfacher als recyceln und wiederverwenden. Kommt die Idee des zirkulären Bauens dennoch an?

Rosen: Ja, aber wir stehen noch ganz am Anfang. Zum einen fehlt das Bewusstsein dafür, dass sich grundlegend etwas ändern muss. Zum anderen stehen zum Teil 20 Jahre alte Regularien im Weg.

Was kann helfen, zirkuläre Baukreisläufe in Gang zu bringen?

Rosen: Wir müssen das Thema Bauen neu denken. Etwa Universitäten, Bibliotheken, Rathäuser: Um sie von vornherein im Kreislauf planen zu können, müssen Architekten entsprechend ausgebildet werden. Wir brauchen zudem ein anderes Gutachterwesen, und veraltete Regularien müssen überarbeitet werden. Vor allem aber sollten wir als Gesellschaft eine neue Haltung entwickeln. Nicht alles muss neu sein, es kommt darauf an, den Wert des Vorhandenen zu schätzen.

Interview: Sabine Schmidt

Zur Person: Dr. Anja Rosen ist Geschäftsführerin der energum GmbH (agn-Gruppe) und Honorarprofessorin der Bergischen Universität Wuppertal. Mit dem Generalplaner agn und der Uni Wuppertal hat sie den Urban Mining Student Award initiiert. Als Gründungs- und Vorstandsmitglied der re!source Stiftung e.V. und aktives Mitglied der DGNB setzt sie sich für eine Ressourcenwende in der Bau- und Immobilienwirtschaft ein.

Foto: Anja Rosen