Wuppertal ist eine der Modellkommunen für die Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen. 2018 wurde beschlossen, innerhalb von fünf Jahren die wesentlichen Bereiche der Verwaltung zu digitalisieren.
Wenn Sie sich in Deutschland umschauen: Wo sollte die Digitalisierung noch schneller voranschreiten?
Daniel Heymann: Ich glaube, dass Deutschland einiges an Nachholbedarf hat. Der öffentliche Sektor hinkt der Privatwirtschaft schon ein Stück hinterher, aber mittlerweile bewegt sich auch hier eine Menge. Unsere föderale Struktur macht es aus technischer Sicht nicht einfacher. Aus IT-Sicht sind zentrale Lösungen mit zentraler Datenhaltung viel schneller umsetzbar – insofern kann man die öffentliche Hand auch nicht mit einem Konzern vergleichen.
Wie weit ist Wuppertal in der Umsetzung der Digitalisierung?
Heymann: Die Anforderungen der E-Government-Gesetze haben wir heute schon weitestgehend umgesetzt – und sind damit weiter, als wir es sein müssten. Das aktuelle E-Government-Gesetz des Landes Nordrhein-Westfalen verpflichtet ja maßgeblich die Landesbehörden. Kommunen sind hier in vielen Stellen nur aufgefordert etwas zu tun, aber nicht gesetzlich verpflichtet. Wuppertal hat sich jedoch entschieden die Anforderungen umzusetzen und ist hier auch schon weiter als die meisten Landesbehörden. Den Digitalen Aktenplan haben wir bis zum Jahresende umgesetzt, die Einführung der Fallakten ist auf einem guten Weg und elektronische Bezahlmöglichkeiten bieten wir auch an. Beim Onlinezugangsgesetz (OZG) ist die Situation nicht ganz so optimistisch – auch hier ist man in der Verpflichtung der Kommunen sehr vage geblieben. Und das wohl maßgeblich, um der Frage aus dem Weg zu gehen, wer die Umsetzung bezahlt, wenn sie gesetzlich vom Land vorgeschrieben wird. Wir haben uns hier früh auf den Weg gemacht und haben mittlerweile rund 80 Leistungen in unserem Serviceportal umgesetzt. Als Kommune sind zwar nicht alle 575 Leistungen des Onlinezugangsgesetz für uns relevant, aber bis Ende 2022 werden wir auch nicht alle Leistungen umgesetzt haben.
Welche Leistungen sollen denn online verfügbar sein?
Heymann: Bis 2022 haben wir die wesentlichen Leistungen online, die, die Bürger auch in größerer Zahl nachfragen. Für uns ist es wichtig, nicht nur den Antragsprozess zu betrachten. Es ist zwar für die Bürger angenehm, Leistungen online zu beantragen, aber wenn die Prozesse im Backend nicht digitalisiert und medienbruchfrei ablaufen, ändert sich an den Bearbeitungszeiten nichts. Ich denke, dass es für Menschen spannender ist, deutlich schneller ihre Leistungen zu beziehen, als sie nur digital beantragen zu können. Das OZG hat diesen, für die Kommunen wesentlichen Teil, leider außer Acht gelassen.
Könnte die Stadt die Projekte auch ohne den Status als Modellkommune für Digitalisierung stemmen?
Heymann: Ja, aber langsamer. Die Ernennung zur Modellkommune hat uns zusätzliche Handlungsspielräume verschafft und Dinge beschleunigt – wir konnten in kürzerer Zeit Dinge umsetzen, die sonst einfach länger gedauert hätten. Neben den finanziellen Mitteln hat die Modellkommune auch viel Energie freigesetzt und viel Unterstützung mobilisiert. Man hat einen anderen Rückhalt – in der Stadtgesellschaft, in der Politik und auch bei den Beschäftigten in der Verwaltung. Das hat vielleicht sogar mehr gebracht als das reine Geld. Ohne das zusätzliche Personal, was wir durch die Projekte der Modellregion bekommen haben, wären wir aber heute nicht dort, wo wir sind.
Die Verwaltung von morgen zu entwickeln bedeutet, neue Wege einzuschlagen. Wie tun Sie das? Welche Vision haben Sie?
Heymann: Wir haben die Organisation des IT-Dienstleisters in den letzten Jahren angepasst – von einer Linienorganisation hin zu einer Projektorganisation. Heute arbeiten wir mit Methoden und Werkzeugen, die man vom öffentlichen Dienst nicht erwarten würde. Um dies zu ermöglichen, haben wir uns interdisziplinär mit Personal verstärkt. Wir betreiben immer noch Netzwerk, Endgeräte und Server, aber stehen heute unseren Leistungseinheiten auch in der Beratung zur Verfügung. Ziel ist es, die Verwaltung mit neuen technologischen Möglichkeiten der Digitalisierung zukunftsfähig aufzustellen und die Organisation mit Hilfe von Informationstechnologien aktiv zu gestalten. Die Verwaltung hat noch einen langen Weg vor sich, aber die letzten Jahren haben eine massive Beschleunigung gebracht.
Hat Corona die Entwicklung beschleunigt?
Heymann: Corona hat selbst die letzten Zweifler davon überzeugt, dass die papierlose Verwaltung nicht nur möglich, sondern nötig ist. Es ist schwer, an Aktenschränke im Homeoffice heranzukommen. Aktuell wird ein verwaltungsweites strategisches Projekt initiiert, um die Erfahrungen aus der Pandemie in Bezug auf künftige Arbeitsweisen aufzugreifen, zu prüfen, was dauerhaft beibehalten werden kann und neue Formen der Arbeitsorganisation in entsprechende Dienstvereinbarungen münden zu lassen. Erklärtes Ziel ist es, die Erkenntnisse und Erfahrungen zu nutzen, um die Modernisierung der Arbeitswelten erheblich zu beschleunigen.
Mit der Digitalisierung muss ein Umdenken im Kopf einhergehen. Wie können Mitarbeiter dazu ermutigt werden?
Heymann: Da gibt es nicht die eine Maßnahme. Wir haben sehr viel Kraft in internes Marketing gesteckt und dabei alle unsere Kommunikationskanäle – E-Mail, Intranet, Mitarbeitenden-App – genutzt, um die Beschäftigten dort abzuholen, wo sie stehen und sie aktiv mitzunehmen. Auch Hausmessen wurden veranstaltet, auf denen die Beschäftigten Dinge einfach mal ausprobieren konnten, um Berührungsängste abzulegen. Unserem Verwaltungsvorstand war es wichtig, von vornherein auch Projekte anzugehen, von denen die Beschäftigten direkt profitieren. Klar erklärtes Ziel war es, die Beschäftigten zu Gewinnern der Digitalisierung zu machen. Das spielt für die Akzeptanz eine große Rolle. Wir haben mehrere Mitarbeiterbefragungen durchgeführt, um insbesondere daraus Maßnahmen für ein aktives Changemanagement abzuleiten. In dem Zuge ist unser Angebot im Bereich der kommunalen Fortbildung extrem gewachsen. Mittlerweile müssen wir nicht mehr um Akzeptanz werben – wir können die Anfragen und Wünsche, die an uns gerichtet werden, gar nicht so schnell umsetzen, wie es die Beschäftigten sich wünschen würden.
Interview: Denise Fiedler
Zur Person
Der studierte Ingenieurinformatiker Daniel Heymann ist seit 2017 Leiter des Amtes für Informationstechnik und Digitalisierung der Stadt Wuppertal.