Naturnahe Grünflächen in Berlin

Insekten brauchen heimische Pflanzen als Nektar- und Pollenquellen. Die PikoParks – kleine, naturnahe Grün- und Blühflächen – werden daher mit diversen heimischen Arten gestaltet, zum Beispiel mit Nachtkerzen und Wilden Möhren. Foto: Thomas Englisch

Nur Grün war gestern: Cornelis Hemmer und Ann-Kathrin Scheuerle von der Stiftung für Mensch und Umwelt plädieren für PikoParks – für naturnahes Gärtnern jenseits von Rasenflächen. Erste Erfahrungen zeigen: Man muss für den neuen Ansatz werben, dann aber überzeugt er mit vielseitigen Vorteilen.

Ein naturnah gestaltetes Wohnumfeld bietet beste Voraussetzungen für Erholung. Zusätzlich fördert es die biologische Vielfalt und wirkt dem Klimawandel entgegen. Naturnah heißt, eine Bepflanzung beispielsweise mit Gewöhnlichem Natternkopf (Echium vulgare), Wiesen-Margerite (Leucanthemum vulgare) oder Blut-Weiderich (Lythrum salicaria). Diese Arten stehen stellvertretend für heimische Pflanzen, die mit ihrem Nektar und Pollen vielen bedrohten Insekten das Überleben sichern können.

Naturnah heißt aber auch, den heimischen Wildtieren mehr als Nahrung zu bieten: Totholz, Steinhaufen, Benjeshecken, Trockenmauern, Käferkeller und Eidechsenburgen halten Einzug in naturnahe Grünflächen. Diese attraktiven Mini-Lebensräume helfen Insekten, Vögeln, Reptilien und kleinen Säugetieren: Dort finden sie Ausguck, Versteck, Winterquartier, Rast- und Brutplatz.

Naturnahe Flächen sind zudem nicht versiegelt. Weder Asphalt noch Beton verhindern, dass Niederschlagswasser direkt in die Kanalisation abgeführt wird. Im Gegenteil: Dieses Wasser kann vor Ort verdunsten und führt so zu einem verbesserten Mikroklima. Der überschüssige Niederschlag gelangt in den Boden und trägt zur Grundwasserneubildung bei. Auch heizen sich mit Pflanzen bewachsene Flächen bei hoher Sonneneinstrahlung deutlich weniger auf. Sie haben im Sommer eine bis zu zehn Grad Celsius niedrigere Temperatur als betonierte Flächen. Naturnah geschaffene Flächen lohnen sich also mehrfach.

Die PikoParks in Berlin

Das zeigt sich deutlich bei einem neuen Grünflächentyp, der inzwischen in einigen deutschen Städten zu finden ist: der PikoPark – der Name ist abgeleitet von „piccolo“, klein. Er eignet sich besonders für Wohnquartiere, denn der Mini(N)aturpark schafft auf nur 300 Quadratmetern eine Blühoase inmitten von ödem „Abstandsgrün“, das meist aus kurzgeschorenem Rasen besteht.

In Berlin befindet sich ein solcher PikoPark unter anderem auf der Fläche des Beamten-Wohnungs-Vereins (BWV) zu Köpenick eG in Marienfelde. Seit Frühherbst 2022 ist das Areal entlang des Hauptweges der Wohnanlage nicht mehr wiederzuerkennen: Wo Anwohner bisher an Rasenflächen und nicht-blühenden Büschen vorbeieilten, schauen sie nun auf schön gestaltete Staudenbeete und Trockenmauern. Sie profitieren vom Naschobst und können auf großen Findlingen ausruhen.

Kleine informative Schilder erklären den Nutzen der neu gestalteten Fläche. Dieser PikoPark ist der dritte seiner Art in der Bundeshauptstadt, der vom Naturgartenteam der Stiftung für Mensch und Umwelt im Frühjahr 2022 geplant und mit einem Garten-bauunternehmen angelegt wurde.

Aufklären über die Blühoase

Naturnahes Grün, Natursteine und Totholz vor der Haustür empfinden viele zunächst als ungewohnt: Die Blüten sind meist kleiner, die Bepflanzung ist nicht so dicht wie bei der konventionellen Gartengestaltung. Umso wichtiger ist es, vor den Umbaumaßnahmen alle Betroffenen in Kenntnis zu setzen und das Prinzip Naturgarten zu erläutern. Es geht darum, Vorbehalte zu entkräften: „Die größte Sorge ist, dass die Gärten weniger gepflegt aussehen. Gefolgt von der Befürchtung, dass Jugendliche vor allem abends auf den neuen Sitzbänken Platz nehmen, laut krakeelen sowie Zigarettenstummel und Bierflaschen hinterlassen“, fasst Projektleiterin Dr. Corinna Hölzer zusammen.

„Wir laden bei allen Vorhaben die Mieterinnen und Mieter zu einem Info-Abend, zu kleinen Pflanzaktionen und zu Einweihungsfeiern ein“, sagt Nicole Schüler, Landschaftsarchitektin und Koordinatorin des PikoParks Marienfelde. „Außerdem verteilen wir Info-Blätter an die Anwohner und erklären den Interessierten unsere Vorhaben während der Baumaßnahmen.“

Der PikoPark in Marienfelde entstand überwiegend in Handarbeit. Maschinen sollten wegen der vorhandenen Baumwurzeln nur sehr wenig zum Einsatz kommen. Die Mühe hat sich gelohnt: „Wir haben nach anfänglicher Skepsis inzwischen viel Lob für die neue Fläche von unseren Mitgliedern erhalten und freuen uns auf die erste Blühsaison“, so Andrea Zwingelberg, kaufmännischer Vorstand des BWV. Der PikoPark zeigt: Auch wenn mehr investiert werden muss als für Rasen, ist der Wert des kleinen Parks für die Bewohner höher und nachhaltiger als der gezahlte Preis.

Natur kommt an

Die Erfahrungen mit den PikoParks in Berlin sind noch jung. Das Naturgartenteam der Stiftung für Mensch und Umwelt hat aber große Erwartungen – Anlass dazu geben die positiven Rückmeldungen aus einem anderen Projekt: „Treffpunkt Vielfalt – Naturnahe Gestaltung von Wohnquartieren“. Bei diesem Projekt, das die Stiftung auf Flächen von drei Berliner Wohnungsbaugenossenschaften mit finanzieller Unterstützung des Bundesprogramms Biologische Vielfalt realisierte, wurden fünf Flächen mit insgesamt über 6000 Quadratmetern naturnah gestaltet.

Begleitend dazu lief ein Monitoring, das Tagfalter und Wildbienen auf den Flächen erfasste. Auch eine sozialempirische Evaluation wurde durchgeführt. Die Ergebnisse sprechen für sich: Die Artenzahl der erfassten Wildbienenarten hat sich fast verzehnfacht; überwiegend sind die Bewohner zufrieden bis sehr zufrieden. Ein voller Erfolg! Allerdings müssen jetzt (bundesweit) dringend Garten- und Landschaftsbauer mit ihren Pflegeteams an die naturnahe Pflege herangeführt werden. Inzwischen gibt es einige Weiterbildungen dazu.

Wenn Kommunen und ihre Wohnungswirtschaft auf eine naturnahe Gestaltung von Freiflächen setzen, erzielen sie auf mehreren Ebenen positive Effekte:

  • Förderung der Nachbarschaft: PikoParks fördern den Austausch der Anwohner, ob beim kleinen Picknick, Kindergeburtstag, bei einer Insektenexkursion oder einer Sommerparty.
  • Zunahme der heimischen Artenvielfalt: Beitrag zum notwendigen Naturschutz.
  • Kein Hitzestau: Regional angepasste und trockenheitsverträgliche Stauden, Sträucher und Bäume spenden Schatten und kühlen die Wohnquartiere. Wässern ist nur in starken Dürreperioden nötig.
  • Erholungsfaktor: Natur entspannt und inspiriert. In Kombination mit Bänken entstehen Ruheoasen für alltagsgestresste Menschen.

Cornelis Hemmer, Ann-Kathrin Scheuerle

Die Autoren: Cornelis Hemmer ist Vorstand der Stiftung für Mensch und Umwelt in Berlin. Ann-Kathrin Scheuerle verantwortet die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung.

 

Der PikoPark in Berlin-Marienfelde (Weskammstraße):

„Treffpunkt Vielfalt“-Projekt:

Als Kommune aktiv werden: Diese ersten Schritte zum naturnahen Grün empfiehlt die Stiftung für Mensch und Umwelt

  1. Informieren: Handreichung zur „naturnahen Gestaltung“
  2. Inspirieren: Entsenden Sie interessierte Gartendienstleister zur Wochenendschulung „naturnahe Gestaltung von Wohnquartieren“ der Gartenakademie Grünberg. Ab März soll es zudem eine Online-Schulung zur naturnahen Gestaltung in Wohnquartieren geben.
  3. Mobilisieren: Binden Sie gern die Öffentlichkeit ein, gemeinsame Pflanzaktionen kommen beispielsweise immer gut an.