„Nachhaltigkeit geschieht in den Kommunen – oder gar nicht“

Gemeinsam an der Energiewende arbeiten – darum sollte es nicht nur innerhalb von Städten und Gemeinden, sondern auch interkommunal gehen. Foto: Adobe Stock/rh2010-

Um nachhaltig agieren zu können, werden technische Lösungen ebenso gebraucht wie gute Ideen, Engagement und Austausch. Hier setzt der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) an – dessen Vorsitzender Werner Schnappauf erklärt, worum es aus seiner Sicht jetzt gehen sollte.

Mit der Agenda 2030 hat sich die Weltgemeinschaft 17 Ziele für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung gesetzt. Das ist sehr groß gedacht, muss aber vor Ort umgesetzt werden. Welche Rolle spielt hier die kommunale Ebene?

Werner Schnappauf: Die Transformation geschieht vor Ort, in den Kommunen – oder sie geschieht gar nicht. Das wurde in der Vergangenheit im Design vieler Bundesvorhaben, ob bei der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie oder beim Klimaschutzgesetz, zu oft nicht bedacht. Ob Energie erneuerbar erzeugt wird, wird auch von den städtischen Gremien entschieden, und damit spielen die kommunalen Unternehmen eine wichtige Rolle. Wichtig ist neben dem Ausbau der Erneuerbaren natürlich das Thema Energieeffizienz. Das Gute ist, dass Investitionen in Energieeffizienz in den meisten Fällen auch höchst wirtschaftlich sind. Denn viel Energie wird durch unsanierte Gebäude und durch veraltete Anlagentechnik verursacht. Mit der Renovierungsoffensive packen wir den Moderni-sierungsstau unserer Infrastruktur an.

Worum sollte es in der nächsten Zukunft gehen?

Schnappauf: Im Neubau muss es darum gehen, nur noch kreislauffähige, krisenresiliente und klimapositive Quartiere zu bauen. Beton und Zement gehören zu den größten CO2-Emittenten, wir sollten sie also nur dort einsetzen, wo es unbedingt notwendig ist. Wir haben mit nachhaltigen Baustoffen sinnvolle Alternativen zur Verfügung. Lehm zum Beispiel ist vollständig recycelbar, widerstandsfähig, verursacht nur geringe CO2-Emissionen und schafft ein gesundes Raumklima. Holz wächst nach und speichert CO2.

Wo kann, wo sollte man die Akzente bei der Energie- und Wärmewende setzen?

Schnappauf: Gründächer, Photovoltaik-Anlagen, Wärmepumpen, Wärme durch Abwärme – es gibt technologisch so viel, was man machen kann, das muss jetzt zum Standard im Neubau werden. Aber das größte Potenzial liegt im Bestand. Wir können – und müssen – erhalten, sanieren, energetisch verbessern, aufstocken, erweitern und flexibel auf neue Nutzungsanforderungen reagieren.

Der Wille ist sicherlich da, es ist aber eine enorm komplexe Aufgabe. Wie unterstützt der Rat für Nachhaltige Entwicklung?

Schnappauf: Der Nachhaltigkeitsrat ist viel mit den Entscheiderinnen und Entscheidern auf kommunaler Ebene im Gespräch. In unserem Dialog Nachhaltige Stadt tauschen sich beispielsweise 40 Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister aus – zur Mobilitäts-wende, zum nachhaltigen Bauen oder zur Umsetzung der Energiewende vor Ort. An vielen Stellen passiert schon ungemein viel.

Können Sie Beispiele nennen?

Schnappauf: Das ostwestfälische Kalletal etwa produziert mehr Energie aus erneuer-baren Quellen, als lokal verbraucht wird. Die Stadt Köln experimentiert mit einem Nachhaltigkeitshaushalt. Ludwigsburg im Neckartal ist Vorreiter bei der klimafreundlichen und zirkulären Beschaffung. Aachen und Freiburg sind ebenfalls auf dem Weg zur Circular City, und in Heidelberg versucht man in einem Pilotprojekt, ein Gebäude-Materialkataster nach dem Urban Mining-Prinzip aufzubauen.

Was bringt das?

Schnappauf: So werden wertvolle Rohstoffe nicht einfach zu Abfall, sondern können wiederverwendet werden. Mit der ortsansässigen Heidelberg Cement AG unterstützt eines der weltweit größten Baustoffunternehmen das Vorhaben. Diese Art von Allianzen braucht es, wenn die Transformation das nötige Tempo bekommen und in der Fläche verankert werden soll.

Welche Rolle kann hier Ihre neue Onlineplattform spielen: das Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit?

Schnappauf: Die Idee ist, die Zivilgesellschaft, die Wirtschaft, die Kommunen, die Wissenschaft, die Jugend, ja alle Menschen zum gemeinsamen Handeln für nachhaltige Entwicklung zu ermutigen und es ihnen erleichtern, sich zu vernetzen und ihre Zukunft mitzugestalten. Wir brauchen diese Dynamik, insbesondere in den aktuellen Krisenzeiten.

Was haben Sie hier im Sinn?

Schnappauf: Kleine Projekte, wie die Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge in der Nachbarschaft, gemeinsame Baumpflanz-Aktionen, Volkshochschulkurse zu Klimawandel und Anpassung oder eine neue App für eine besser vernetzte Mobilität. Aber auch große Projekte, wie die Umstellung ganzer Wirtschaftszweige auf grünen Wasserstoff, eine Holzbauoffensive des Bundes und der Länder oder eine gemeinsamen Aktion der deutschen Immobilien-, Bau- und Recyclingwirtschaft zu zirkulären Baustoffen. Zu viele gute Ideen bleiben noch lokal. Lösungen gibt es, doch diese sind nicht immer leicht zu finden. Das soll sich mit der Webplattform des Gemeinschaftswerks ändern.

Wie können Kommunen jetzt schon ihre Bürger und ortsansässigen Unternehmen motivieren, Energie zu sparen?

Schnappauf: Zum Beispiel Mannheim: Die Stadt hat im Rahmen einer Ausstellung eine begehbare Musterwohnung konzipiert, die zeigt, wo sich die größten Energiefresser im Haushalt befinden. Mittelfristig müssen Kommunen Anreize zum Ausbau der Kreislauf-wirtschaft setzen oder die energetische Gebäudesanierung bei öffentlichen wie auch bei privaten Gebäuden fördern, Sharing-Angebote im Verkehrsbereich aus- und eine Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge aufbauen, regionale Wirtschaftskreisläufe fördern, Gewerbegebiete nachhaltig ausrichten und neue Formen einer gemeinschaftlichen und regionalbezogenen Nahrungsmittelproduktion in die Fläche bringen.

Worauf legen Sie vor allem Wert?

Schnappauf: Wichtig ist, dass die Menschen vor Ort jetzt aktiv werden, denn durch die multiplen Krisen steigt der Druck von außen. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sind gefordert, nicht auf Entscheidungen aus Berlin zu warten, sondern jetzt sofort kluge Maßnahmen für die Transformation zu ergreifen. Die Möglichkeiten, Ideen, Vorschläge liegen auf dem Tisch – jetzt gilt es, ins Handeln zu kommen.

Interview: Beatrix Drescher

Zur Person: Werner Schnappauf ist Vorsitzender des Rats für Nachhaltige Entwicklung (RNE).

Foto: Viviane Wild/Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE)

 

Online-Plattform Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit

Das Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit ist eine offene Plattform zur Förderung von Nachhaltigkeitsengagement in Deutschland. Ende September 2022 ist es offiziell bei der Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) mit einer Beta Version gestartet.