„Mit Wärmenetzen die Wertschöpfung im Ort halten“

Kommunen erhöhen mit Wärmenetzen ihre Versorgungssicherheit. Helmut Böhnisch von der KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg berichtet im Interview über beachtliche technische Fortschritte, die Vorbildfunktion Dänemarks und erläutert die staatlichen Förderangebote.

Herr Böhnisch, in jüngster Zeit spricht die Fachwelt immer wieder von Effizienzsteigerungen bei Wärmenetzen. Was hat sich da getan?

Böhnisch: Die technischen Fortschritte in den vergangenen Jahren sind in der Tat beachtlich. Seit Kurzem bieten Hersteller beispielsweise dreifach gedämmte Stahl-Doppelrohre an. Mit ihnen lassen sich die Wärmeverluste gegenüber Stahl-Einzelrohren mit Standarddämmung auf die Hälfte reduzieren. Die daraus resultierenden Energie- und Kosteneinsparungen sind erheblich, da Wärmenetze aus Stahlrohren eine Lebensdauer von 40 oder sogar 50 Jahren aufweisen.

Gibt es Innovationen in der Steuerungs- und Regelungstechnik?

Böhnisch: Auch da geht es voran. Der hydraulisch bisher als schwierig eingeschätzte Betrieb von Wärmenetzen mit mehreren Einspeisepunkten oder mit dezentralen Pufferspeichern lässt sich durch eine moderne Regelung mittlerweile gut beherrschen. Sie macht es teilweise möglich, die Rohrleitungsquerschnitte zu reduzieren. Das spart Material, senkt die Netzverluste und verringert die Kosten. Im Vergleich zu der Effizienz früherer Anlagen ist das ein riesiger Sprung.

Und wie sieht es mit der Einbindung erneuerbarer Energien in Wärmenetze aus?

Böhnisch: Hier geraten große solarthermische Anlagen immer mehr in den Fokus. Das Ergebnis einer Studie von Solnet-BW aus dem Jahr 2015 war, dass Wärmenetze in Baden-Württemberg bis zu einem Anteil von 15 Prozent kostengünstig mit Sonnenenergie versorgt und damit noch umweltfreundlicher werden könnten. Vor allem in Dänemark sind inzwischen zahlreiche Großanlagen installiert; dort ist die dezentrale Einspeisung durch Solarenergie am weitesten fortgeschritten.

In Dänemark?

Böhnisch: Richtig. Unser nördlicher Nachbar ist führend beim Ausbau von Wärmenetzen und der Einbindung erneuerbarer Energien wie der Solarthermie. Das ist hierzulande immer noch praktisch unbekannt. Inzwischen gibt es rund 400 Wärmenetze in ganz Dänemark, 100 davon sind solar unterstützt.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Böhnisch: Die Kommune Dronninglund etwa hat ein Wärmenetz errichtet, das mit 1350 Wärmekunden nahezu den gesamten Ort versorgt. Die benötigte Wärme liefert eine große solarthermische Anlage mit einer Fläche von 37 600 Quadratmetern. Überschüssige Energie speichert ein saisonaler Wärmespeicher mit 60 000 Kubikmetern Fassungsvermögen. Hinzu kommen eine große Wärmepumpe mit 2,1 Megawatt Leistung, ein Erdgas-Blockheizkraftwerk sowie Gaskessel. So etwas ist bei uns auch möglich: Wir haben ja vor allem in Süddeutschland eine sehr hohe Sonneneinstrahlung. Allerdings scheint bei uns die Flächenverfügbarkeit ein Hemmnis zu sein.

Warum sollten Kommunen den Auf- oder Ausbau von Wärmenetzen vorantreiben?

Böhnisch: Kommunen erhöhen mit Wärmenetzen ihre Versorgungssicherheit und halten die Wertschöpfung im Ort. Für Stadtwerke und Genossenschaften sind die langjährigen Verträge mit den Kunden interessant. Und Gebäudeeigentümer, die an ein Wärmenetz angeschlossen sind, müssen sich nicht um ihre Heizungsanlage kümmern. Auch sind sie weniger abhängig von Preissteigerungen bei fossilen Energieträgern. Bei richtiger Planung zahlen sie geringere Wärmepreise als bei dezentralen Versorgungsalternativen.

Welche Bedeutung messen Sie dem Aspekt des Klimaschutzes in der Wärmeversorgung bei?

Böhnisch: Deutschland steht vor der Herausforderung, bis 2050 den Gebäudebestand nahezu klimaneutral mit Energie zu versorgen. Das heißt, bis Mitte des Jahrhunderts müssen fossiles Heizöl und Erdgas aus der Wärmeversorgung weitgehend verschwunden sein! Wärmenetze können erneuerbare Energien, energieeffiziente Kraft-Wärme-Kopplung und Abwärme kostengünstig integrieren. Mit ihnen lässt sich die Energiewende im Wärmesektor besonders gut umsetzen.

Wann ist für Städte und Gemeinden der richtige Zeitpunkt, sich mit Wärmenetzen zu befassen?

Böhnisch: Wenn in einer Kommune eine Schule, ein Kindergarten oder das Rathaus saniert oder neu gebaut wird, sollten die Verantwortlichen immer die Errichtung eines Wärmenetzes prüfen. Das dabei entstehende kleine Netz kann eine Keimzelle für ein deutlich größeres sein. Gibt es in einer Gemeinde kein Gasnetz, ist es übrigens zu jedem Zeitpunkt sinnvoll, über ein Wärmenetz nachzudenken.

Ist die Investition in Wärmenetze nicht recht teuer?

Böhnisch: Umsonst ist es nicht. Die Investition wirft aber mittel- und langfristig für die Betreiber Gewinne ab. Die staatliche Förderung erleichtert die Finanzierung von Wärmenetzen enorm. Der Bund bietet zinsgünstige Darlehen der KfW und Tilgungszuschüsse an. Auch in den Ländern gibt es Förderprogramme. Das Land Baden-Württemberg etwa gibt für den Ausbau der Wärmenetzinfrastruktur seit diesem Jahr insgesamt 8,8 Millionen Euro Fördergeld hinzu. Geld für besonders innovative Modellprojekte gibt es seit 1. Juli 2017 vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Dort winken bis zu 15 Millionen Euro pro Vorhaben.

Interview: Axel Vartmann

Zur Person
Helmut Böhnisch ist Leiter des Kompetenzzentrums Wärmenetze der KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg mit Sitz in Karlsruhe.